Dietrich Schulze-Marmeling (Hrsg.),
Davidstern und Lederball. Die Geschichte der Juden im deutschen und
internationalen Fußball
Verlag Die Werkstatt 2003
Euro 26,90
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Verschwörungstheorien sind eine heikle
Sache. Wer den aktuellen Debattenverlauf linker Theorieclans verfolgt,
der weiß, daß der dicke Knüppel des Antisemitismusvorwurfs dieselben mit
ziemlicher Zwangsläufigkeit trifft. Organisatorisch und begrifflich zwar
diffus, stellt die sogenannte "antideutsche" Position derzeit dennoch
eine (rein quantitativ gesehen) relevante Strömung in der Linken dar.
Nicht wenige, die sich auf die Chiffre "antideutsch" berufen, bezeichnen
Verschwörungstheorien sogar per se als antisemitisch. Das ist zwar
völliger Humbug, dennoch gilt prinzipiell: Antisemitische Stereotypen
sind hier allzu oft nur einen Steinwurf entfernt.
Ein besonders plumpes Beispiel hierfür lieferte jüngst
das populäre satirische Fußball-Webportal "blutgraetsche.de". Ein als
"Herr Semmelmann" auftretender Mainz-05-Fan läßt sich dort über den
mißglückten Bundesligaaufstieg seines Clubs aus. Der Feind – na, klar –
sitzt 25 Kilometer mainaufwärts: "Eintracht Frankfurt heißt auch immer
Klein- und Großganoventum und an die Mafia angelehnte Strukturen im
Vereinsgebälk. Stimmt es eigentlich, daß Michel Friedman auch Mitglied
der Eintracht ist?", fragt Herr Semmelmann. Jeder weitere Kommentar
überflüssig.
Darstellungen derartigen antisemitischen Alltags im
Jahr 2003 sucht man in "Davidstern und Lederball", der gerade
erschienenen Aufsatzsammlung zur "Geschichte der Juden im deutschen und
internationalen Fußball" leider vergeblich. "Die Spurensuche nach fast
vergessenen Leistungen und Namen", hat sich Herausgeber Dietrich
Schulze-Marmeling zum Ziel gesetzt. Er beklagt, seine eigene Generation
wisse "von Juden häufig nur im Zusammenhang mit dem Holocaust". Knapp 30
Essays zum Thema hat er daher zusammengestellt – es handelt sich nicht
um eine systematische Aufarbeitung der Geschichte der Juden im Fußball,
sondern zum überwiegenden Teil um Porträts einzelner Vereine und
Personen mit dem historischen Focus auf die Zeit bis 1945.
Aktuelle Ausformungen des Antisemitismus, wie etwa die
auch überregional beachteten Bedrohungen und Beleidigungen, denen
Jugendspieler des Frankfurter Clubs Makkabi im Jahr 2000 ausgesetzt
waren, kommen dagegen leider zu kurz. Nur die kommunalpolitische
Groteske aus dem Jahr 2001 um den Namensgeber des Schweinfurter
Fußballstadions Willy Sachs, ein altes NSDAP- und SS-Mitglied, und der
fast schon obligatorische Hinweis auf den nach wie vor an der
Aufarbeitung seiner Nazi-Kollaboration nicht interessierten DFB widmen
sich explizit der Gegenwart.
Dafür erfährt man jedoch einiges über historische
Zusammenhänge, in die sich auch der antisemitische Ausfall des
verbitterten Mainzer Anhängers einordnen läßt. Daß etwa Eintracht
Frankfurt (wie auch der FC Bayern, TeBe Berlin, Austria Wien und Ajax
Amsterdam) bereits seit den 1920er Jahren das Stigma des "Judenclubs"
anhängt. In diesen Vereinen spielten in der Gründungsphase und
Entwicklung bis 1933 jüdische Fußballer, Funktionäre und Sponsoren eine
maßgebliche Rolle.
Ihre jeweilige Geschichte wird in "Davidstern und
Lederball" erzählt, fraglos ein längst fälliger Beitrag zur
Sporthistorie. Schade jedoch, daß die Qualität der einzelnen Essays
enorm variiert. Vor allem in dem Teil, der sich mit der Situation in
Deutschland auseinandersetzt, dominiert leider häufig eine Variante der
Geschichtsschreibung, die sich in schlechter Sportjournalistenmanier in
der Aufreihung von Zahlen, Namen und Ereignissen erschöpft. Um in der
Sprache des Metiers zu bleiben: Tumbe Spielberichte, wo hintergründigere
Nachdreher angemessen gewesen wären. Mag sein, daß hier die Quellenlage
dünner als in dem ausgezeichneten Part über Juden im österreichischen
Fußball ist, doch der Erzählgestus eines dörflichen Heimatkundemuseums,
den vor allem Autor Werner Skrentny ein ums andere Mal anschlägt,
langweilt einfach nur. Ungleich lesenwerter und auch in Sachen
politisch-kultureller Kontextualisierung kompetenter dagegen
Schulze-Marmelings Geschichte über Ajax Amsterdam, der hervorragende
Aufsatz von Matthias Marschik über "Muskel-Juden" oder Erik Eggers’
Porträts der Brüder Hugo und Willy Meisl. |