
Peter Finkelgruen und Gertrud Seehaus:
Opa und Oma hatten kein Fahrrad
Eine Geschichte, bei der die ganze Welt eine Rolle spielt
BoD 2007
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Ein
Buch, das meine Fragen beantwortet
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Peter Finkelgruen und Gertrud Seehaus:
Eine Geschichte von Oma, Opa und keinem Fahrrad
Von Roland Kaufhold
Geschichte, gerade wenn sie schwierige, belastete Themen enthält,
vermag sich an die nächste Generation vor allem über Erzählungen zu
vermitteln. Die Kölner Schriftstellerin Gertrud Seehaus und ihr Ehemann, der
jüdische Journalist Peter Finkelgruen, blicken auf ein sehr ungewöhnliches,
dennoch produktiv verarbeitetes Leben zurück.
Dieses möchten sie nun an ihre Enkelkinder weitererzählen, an David und
Anna, deren Photos wir im Buch begegnen. So haben sie nun erstmals gemeinsam
ein Kinderbuch geschrieben. Der Schriftsteller Günter Kunert, dem das Buch
gefiel, hat ihnen hierzu Bilder gezeichnet.
Einen Schwerpunkt des Buches bilden die traumatischen
Erlebnisse, welche Peter Finkelgruen mit Glück überlebte. Parallel dazu
erzählt Gertrud Seehaus - sie wurde 1934 geboren - aus ihrer katholischen
Kindheit im Nationalsozialismus. Sie erzählen in einer leichten,
kindgemäßen, nicht anklagenden Weise:
"Wir wurden an schöne Dinge, aber auch an traurige erinnert. Schöne Dinge
- das waren Spiele und Freunde und lustige Ereignisse, traurige - das waren
Krieg und Verfolgung und der Tod der Menschen, die wir lieb hatten." (S. 9)
Und: "So war unser Leben - gibt es Übereinstimmungen mit Eurem", so ist die
Grundhaltung.
Gertrud Seehaus arbeitete lange in Köln als Lehrerin, bevor sie
Schriftstellerin wurde. Peter Finkelgruen wurde 1942 als Kind einer
jüdischen Familie in Shanghai - wo seine Eltern Zuflucht gesucht hatten -
geboren, ging 1946 zusammen mit seiner Großmutter nach Prag und siedelte
1951, nach dem Tod seiner Mutter, nach Israel über, wo er das Abitur machte.
Peter Finkelgruen wollte studieren; so kehrte er gemeinsam mit seiner
Großmutter nach Deutschland zurück, studierte politische Wissenschaft und
arbeitete seit 1963 in Köln bei der Deutschen Welle. In den 1980er Jahren
gingen die Finkelgruens für sechs Jahre nach Israel, wo Finkelgruen als
Korrespondent wirkte.
Vor gut zehn Jahren publizierte er die autobiographischen Bücher "Haus
Deutschland oder Die Geschichte eines ungesühnten Mordes" (1992) sowie
"Erlkönigs Reich. Die Geschichte einer Täuschung" (1997). Der Kölner
Filmemacher Dietrich Schubert hat ein
eindrucksvolles
filmisches Portrait über sein Leben erstellt. Seit einigen Jahren
gehört Peter Finkelgruen dem Vorstand des
P.E.N. Zentrum deutschsprachiger Autoren im
Ausland an.
Von diesen Erlebnissen nun erzählen die Finkelgruens in einer
persönlichen, einfachen, berührenden Sprache. Sie beschreiben in knappen
Sätzen das Erstarken des Nationalsozialismus, durch welchen Finkelgruens
jüdische Eltern ausgeschlossen, bedroht wurden: "Die anderen von damals
waren die Juden. Manche trugen schwarze Mäntel, hatten Schläfenlocken und
sprachen ein merkwürdiges Deutsch. Anders als Kölsch, Bayrisch oder
Hessisch. Man nennt es Jiddisch. Heute hört man es kaum in Deutschland. Die
meisten Juden aber sahen aus wie Eure Mütter und Väter, wie wir und Ihr."
(S. 18)
Woher kommen unsere Familiennamen, was erzählen sie uns? "Jetzt zu
Finkelgruen. Finkeln ist das jiddische Wort für funkeln. Und was funkelt
grün? Ein Smaragd! Der erste Herr Finkelgruen hat vermutlich Smaragde
geschliffen oder verkauft, war also eine Art Edelsteinschleifer oder
Juwelier. Gefällt Euch das?" (S. 24)
Die Finkelgruens schreiben über Peters Kindheit im Shanghaier Getto. Es
wird ein Abbildung vom ersten Getto gezeigt, in Venedig, 1531. Unter der
Überschrift "Nicht alle Betten sind Himmelbetten" schreiben sie: "Der kleine
Peter im Getto hatte ganz sicher keine Wiege und auch keinen Kinderwagen. Er
hatte auch kein Himmelbett. Er schlief, wo sich gerade Platz fand. Und das
waren keine Kuschelecken. (...) Der kleine Peter, der heute, David und Anna,
Euer Opa ist, weiß nicht mehr, wo er damals schlief. Aber ganz sicher waren
es abenteuerliche Schlafplätze. Ihr könnt Euch ja welche ausdenken." (S. 33)
Gertrud hingegen lebte in diesen Jahren in Bonn, suchte Schutz in
Bunkern. Wir sehen ein Gruppenphoto mit dem dreijährigen Peter in einer
Gruppe von Kinder aus Shanghai. Mit diesen hat er damals gespielt. Er sieht
wirklich sehr fremd aus, unter all diesen Asiaten. Aber sein Leben bleibt
dem Leser nicht lange fremd. Peter erzählt einige kurze Geschichten nach,
welche ihm seine Großmutter - welcher er sein Überleben verdankt - damals
erzählt hat.
Und den allfälligen moralischen Einwand, dass man Kindern nicht solche
traurigen Geschichten erzählen dürfe, wissen die Autoren gleich zu
entkräftigen: "Stop! Halten wir unseren Gedankenteppich für kurze Zeit an
und steigen herunter. Bevor es nämlich weitergeht, wollen wir Euch etwas
sagen: Wir sind ein bißchen traurig, daß wir Euch keine lustigere Geschichte
erzählen können. Aber schließlich können wir nur das erzählen, was sich
ereignet hat." (S. 49)
Und wenig später schreiben sie: "Manche Erwachsene wollen nicht, daß man
Kindern so traurige Geschichten erzählt, wie wir sie Euch erzählen,
Geschichten über Konzentrationslager. Aber es ist doch unsere Geschichte, ob
wir wollen oder nicht!" Es ist unsere Familiengeschichte." (S. 59)
Geschichte ist ein Teil von uns. Und sollte erzählt werden. Und so
erzählen Gertrud und Peter auch von ihren Haustieren. Und von den
Abenteuern, die man mit einem Fahrrad erleben kann - wenn auch Peter
seinerzeit keines hatte. Aber auch von dem gelben Stern, den Juden damals
tragen mussten.
Wir sehen ein Photo von der zerstörten Hohenzollernbrücke, mit dem wie
durch ein Wunder erhalten gebliebenen Kölner Dom. Und Peter erzählt von
seiner abenteuerlichen Rückreise von Shanghai nach Prag, wo er vierjährig
beinahe in einer Toilette ertrinkt - und so zum bewunderten Helden des
Schiffs wird.
Das kleine, ansprechende, rührende Kinderbuch endet mit den Worten: "Und
ihr, die mitreisenden Freunde und Freundinnen von Anna und David, könnt mit
Euren Großeltern und Eltern deren Reisen machen und Euch gegenseitig davon
erzählen. Denn wer seine Geschichten erzählt, kann verstanden werden. Und
selbst, wer gestorben ist, wird nicht vergessen werden, wenn seine
Geschichten weiterleben." (S. 69)
Die Finkelgruens sind gerne bereit, in Kölner Schulen im Rahmen längerer
Unterrichtsprojekte aus ihrem Buch vorzulesen. (Mailkontakt:
gertrudseehaus(at)gmx.net)
hagalil.com
17-02-08 |