Gérard Prunier:
Darfur
Der "uneindeutige" Genozid
Hamburger Edition 2006
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Darfur:
Der "uneindeutige" Genozid
Von Karl Pfeifer
Wer wirklich wissen will, was seit Jahren in der Region Darfur im
Sudan geschieht, der sollte unbedingt dieses Buch lesen. Gérard Prunier
berichtet vom komplexen ethnischen Mosaik, von der Geschichte dieser
Region, von der britischen Kolonialherrschaft, die nur sehr wenig zur
Entwicklung der Region beigetragen hat.
Der Sudan wurde erst am 1. Januar 1956 unabhängig, bald folgte eine
Militärdiktatur in Khartum. Die ersten Wahlen nach der Diktatur 1965
konnte die religiöse Umma mit 76 von insgesamt 173 Sitzen für sich
entscheiden. Die kommunistische Partei erzielte unter den Gebildeten,
die keine Sympathien für die religiösen Parteien hatten, einen großen
Erfolg. Damals sollte eine Verfassung beschlossen werden. Hassan
al-Turabi, der damals junge dynamische Führer der Muslimbrüder setzte
sich für eine islamische Verfassung ein. Der Hauptwiderstand dagegen kam
überraschenderweise nicht nur aus dem nichtislamischen Süden, sondern
auch von den Vertretern aus Darfur, den Nubabergen und der Bergregion am
Roten Meer, und zwar weil sie, "obwohl Muslime, eine islamische
Verfassung als einen Trick ansahen, die Vorherrschaft des Nord- und
Zentralsudans unter dem Schutz einer islamischen und arabischen Kultur
zu festigen, was die Marginalisierung der Bevölkerung im Süden, Westen
und Osten fortschreiben würde."
Der Autor beschreibt die Stämme des Darfur, die allesamt muslimisch
sind. Dabei spielte auch die dunkle Hautfarbe eine Rolle, so dass man
die Schuld für die Vernachlässigung Darfurs bei den "Arabern" ortete.
Die "Flussaraber" kümmerten sich nicht viel um die entlegenen
"schwarzen" Stämme, um die gleich weit entfernten "arabischen" kümmerten
sie sich indes auch nicht. Nicht ohne Einfluss in der Region blieb das
Nasser-Regime im benachbarten Ägypten und die Kämpfe im benachbarten
Tschad, die von Libyen angefacht wurden. Die Misswirtschaft, die
Versteppung, die dann zur Hungersnot von 1984 führte wird im Detail
beschrieben.
Die Lage in der Krisenregion hat sich in den letzten Jahren ständig
verschlechtert. Gewalt und Straflosigkeit stehen auf der Tagesordnung.
Humanitäre Helfer werden behindert und manchmal auch ermordet. Zunächst
kämpfte man um knappes Ackerland und Wasser. Doch jetzt geht es um viel
mehr.
Die sudanesische Führung will nicht jeden Schwarzafrikaner in Darfur
umbringen, sie wollen "nur" die totale politische und territoriale
Kontrolle über ein umkämpftes und mittlerweile strategisch wichtiges
Grenzland. Mit semantischen Diskussionen, ob die Ermordung von
wenigstens 200.000 und die Vertreibung von 2,5 Millionen Menschen ein
Völkermord sind oder nicht, wird von der fast Untätigkeit abgelenkt, mit
der die UNO darauf reagiert.
Präsident Omar al-Bashir kann sich allerdings auf die Unterstützung
Chinas und Russlands im Weltsicherheitsrat verlassen. China ist im
sudanesischen Ölgeschäft fest verankert. Die arabischen und muslimischen
Staaten sind nicht bereit den Massenmord und die Vertreibung zu
verurteilen und die sudanesische Regierung dazu aufzurufen, diesen ein
Ende zu bereiten.
Die von der Afrikanischen Union (AU) entsendete 7000 Mann starke
Friedenstruppe ist kaum in der Lage, die Bevölkerung zu schützen. Und so
gehen die Diskussionen weiter.
Die UNO sah sich veranlasst – vielleicht auch weil solche Bücher wie die
von Gérard Prunier – doch wirken, ein Verfahren beim Internationalen
Strafgerichtshof in Den Haag gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher in
Darfur einzuleiten.
Das mit Anekdoten angereicherte 275 Seiten umfassende Buch ist
hochaktuell und mit einem Glossar, Abkürzungen, Bibliographie, Liste der
themenrelevanten Websites und Register ergänzt.
hagalil.com
11-03-07 |