Üppige Farben, bizarre Formen, vertraute Motive:
Balingen zeigt Meisterkeramiken Mark Chagalls
Stadthalle Balingen, 21.06.-28.09.2003
Bildwerke, Kirchenfenster, Wandmalereien – das sind die
gewohnten Ausdrucksformen eines Marc Chagall. Kaum bekannt dagegen, aber von
ebenso charakteristischem Farben- und Formenreichtum sind die "Meisterwerke
seiner Keramik", die die Stadthalle Balingen vom 21. Juni an präsentiert. In
verschiedenen Ateliers Südfrankreichs hergestellt, geben die irdenen Unikate
in üppigen Farben auf bizarr geformten Tassen und Krügen, aber auch
schlichten Vasen, Tellern und Wandfliesen vertraute Motive des russischen
Jahrhundertkünstlers wieder. 96 seiner rund 220 weltweit vorhandenen
Töpferkunstwerke werden bis Ende September zu sehen sein - flankiert von 21
zeitgleichen Gemälden mit verwandten Bildmotiven.
Ein in Deutschland einzigartiger und repräsentativer
Überblick von Exponaten, der in dieser Konzentration nur noch mit der
letzten großen Ausstellung seiner Keramiken 1979 in Paris vergleichbar ist,
betonte Ausstellungskurator Prof. Dr. Roland Doschka zu Ausstellungsbeginn.
Balingen habe sich mit dieser Werksschau gegen "harte weltweite Konkurrenz"
durchsetzen können. Damit werden in Balingen nun zum dritten Mal seit 1987
Aspekte des Chagall-Lebenswerks gezeigt, unterstrich Doschka.
"Eine wunderbare Vermählung aus Erde und Feuer", beschrieb
einst der Schriftsteller Gaston Bachelard Chagalls keramische Schöpferkunst.
Wie viele große Künstler seiner Zeit - mit Picasso teilte er ein Atelier -
zogen Chagall die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten des Keramikhandwerks
in Bann. Anfangs vor allem eine Übertragung vertrauter Bildmotive, wie Hahn,
Esel, Ziege, Wesen der Fabelwelt und biblische Szenen auf Ton- und
Schamotteflächen, konzentriert sich Chagall später verstärkt auf die
figürliche Gestaltung des Werkstoffs, die das keramische Schaffen des
Künstlers Anfang der 60er Jahre weitgehend abschließen sollte. Dabei nutzte
er gern die schwellenden Formen von Vasen und Gefäßen zur Darstellung
weiblicher Körper und Akte, wie beispielsweise bei seinem Spätwerk "Frau mit
Blumen" von 1962.
Chagall bediente ein breites Repertoire an
Herstellungstechniken, das er sich bei namhaften Töpfern in Südfrankreich
aneignete. Ob es die Farbgebung seines Paris-Zyklus von 1953 mit fein
abgestimmten Engoben und Oxiden betrifft, die Ritz- und Relieftechniken bei
vielen seiner Schalen und Tellern, oder die Wahl der Untergründe aus rauhem
Schamotte und weißem Feinton. Immer war Chagall darauf bedacht, eine
optimale Gesamtwirkung aus Material, Farbe und Form zu erzielen, dessen
Resultat den Betrachter häufig überrascht.
Die Stadthalle Balingen hat es verstanden, diesen
Ausdrucksreichtum in Szene zusetzen. Gut ausgeleuchtete, freistehende und
wandfixierte Vitrinen garantieren einen ungehinderten Blick auf die
einzelnen Kunstwerke und ihre Details. Die thematisch zusammengestellten
Objektgruppen werden von 21 Originalgemälden Chagalls flankiert, deren
Inhalte Aufschluss über Entwicklung und Parallelen in der Töpfer- und
Malkunst des Künstlers geben.
Möglich geworden ist die umfangreiche Keramik-Werkschau
vor allem durch die Chagall-Erben, die nahezu 80 Prozent der Exponate zur
Ausstellung beigesteuert haben. 20 weitere Werke konnten aus internationalem
Privatbesitz, an den Fuß der Schwäbischen Alb geholt werden.
Chagall wurde 1887 im russischen Witebsk geboren.
Die Anfänge seiner künstlerischen Laufbahn führen ihn mit 19 Jahren nach St.
Petersburg, wo er erstmals dem impressionistischen Malstil begegnet. Bereits
1910 zieht er nach Paris Stetig wächst sein Bekanntheitsgrad. Der erste
Weltkrieg und die Russischer Revolution erlebt er in seiner Heimat. 1923
wieder nach Paris umgesiedelt, zwingt ihn 1941 die Besetzung Frankreichs im
Zweiten Weltkrieg zur Emigration in die USA. Nach dem Krieg in seine
europäische Wahlheimat zurückgekehrt, versucht sich der auch schon vor dem
Krieg weltweit anerkannte Interpret der Klassischen Moderne an
unterschiedlichsten Materialien. Bei der Gestaltung von Kirchenfenstern
erlangte Chagall ab Mitte der 60er Jahre weltweites Renommee. Bis heute
wenig bekannt blieben jedoch seine keramischen Meisterwerke, die vornehmlich
in der Zeit zwischen 1950 und 1962 entstanden. Chagall starb am 28. März
1985 96-jährig im südfranzösischen St. Paul de Vence.
Informationen, Eintrittspreise und Ausstellungsführungen
unter Tel.: 07433/9008-413 und
www.stadthalle.balingen.de
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14-07-03 |