Arik Brauer:
Die Farben meines Lebens
Erinnerungen
Amalthea Verlag Wien, 2006
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Erinnerungen von Ottakring bis Ein-Hod:
Arik Brauer zeigt uns die Farben seines Lebens
Von Thomas Schmidinger
So ungewöhnlich wie seine künstlerischen Arbeiten, sind
auch die "Erinnerungen" die der 1926 in Wien geborene jüdische Maler,
Musiker, Tänzer, Gelegenheitsarchitekt und leidenschaftlicher Umweltschützer
Arik Brauer nun vorgelegt hat.
Brauer, der in den 1957 Naomi Dahabani, eine aus einer
jemenitisch-jüdischen Familie stammende Israelin, heiratete und die
Sommermonate immer in seinem Haus in Ein-Hod am Karmel verbringt, würde
keine klassische Autobiographie schreiben. Vielmehr legt er mit den "Farben"
seines Lebens so etwas wie die literarische Version seiner Malerei vor, die
der Kunsttheoretiker Hans Muschik als "Wiener Schule des phantastischen
Realismus" bezeichnet hatte und zu der neben Brauer u.a. auch Rudolf
Hausner, Ernst Fuchs, Anton Lehmden und Wolfgang Hutten gerechnet werden.
Arik Brauers Lebenserinnerungen sind in genau diesem "phantastischen
Realismus" gehalten, in dem er Bilder malte, Lieder im Wiener Dialekt sang
oder Häuser entwarf. Seine Lebensgeschichte und die seiner Familie erzählt
er dabei nicht einfach anhand trockener Fakten, sondern in Gleichnissen und
Bildern aus denen doch immer klar hervorgeht was nun eben Faktum ist und was
er anhand seiner Bilder und Gleichnisse, seiner Märchen und Geschichten
besser umschreibt.
Der Wiener Antisemitismus und die nationalsozialistische Herrschaft sind
dabei von Anfang an immer wieder präsent, wurde doch nicht nur sein Vater
Simche in Lettland von Deutschen ermordet, sondern konnte er selbst die
letzte Zeit der NS-Herrschaft in Wien nur als U-Boot überleben. Dabei ist es
gerade seine trockene und beinahe beiläufig erzählende Sprache, die einem im
ersten Teil des Buches immer wieder kalte Schauer über den Rücken laufen
lassen. Brauer erzählt über das Grauen nicht in einer Sprache des gespielten
Entsetzens, wie dies bei so vielen nichtjüdischen Nachgeborenen der Fall
ist, sondern so, dass man die Alltäglichkeit die die Deportationen für den
jungen Erich Brauer – wie er von seinen Eltern genannt wurde – herauslesen
kann. Seine einfache am mündlichen Erzählen orientierte Sprache macht das
Trauma der Überlebenden vielleicht deutlicher als viele andere Erzählformen
es könnten.
Brauer beschreibt Personen aus seiner Jugend im Wiener Arbeiterbezirk
Ottakring. Das Ende eines Rom, der sich mit einem Kunststück mit einem
Frosch über Wasser halten konnte, erzählt Brauer etwa so: "Unter dem Hitler
konnte es so etwas natürlich nicht geben. Der Führer war ja bekanntlich ein
Tierfreund und warf den Roma in ein Konzentrationslager, obwohl dieser der
einzige echte Arier in ganz Ottakring war." (S. 41)
Zu den bewegendsten Stellen des Buches zählt wohl das in ebenso einfachen
Worten geschilderte Ende seiner ersten Liebe Litzi, deren Urteil er als "Tod
durch Genickschuss als Strafe für den Besitz zweier dunkler Zöpfe" (S. 70)
beschreibt.
Brauer schildert Opfer und Täter aus seinem Umfeld. Seine Täter sind nicht
die großen Kriegsverbrecher, sondern die vielen kleinen: Der Nazilehrer, der
immer schon gerne Kinder auf die Finger schlug um sie zu "Zucht und Ordnung"
zu erziehen (S. 60ff), der Waffen-SS-Mann aus der Nachbarschaft, der nach
1945 rechtzeitig zu den Kommunisten wechselte (S. 71ff), oder SS-Scharführer
der Brauers Freundin "Dummerl" wegen ihrer Musikalität erschießt und
schließlich Alpträume davon bekommt.
Brauer erzählt aber auch von jenen wenigen, die sich in der Vorstadt
verweigerten und zwar keineswegs nur aus politischen Gründen, sondern auch
aus vermeintlich unpolitischen, wie dem Haarschnitt der Schlurfs aus Brauers
Bubenbande: "Dass ein Hitlerjunge im gleichen Alter einem sagt, was man tun
soll, wie man stehen, gehen und marschieren soll, das hat der Halbstarke vom
Platz gar nicht gern. Besonders die Frage des Haarschnitts war ein heikler
Punkt im Verhältnis der Halbstarken zum NS-Regime." (S. 50) Simsanreut, der
Schlurf aus Brauers Jugendbande wurde schließlich von einer HJ-Streife
eingefangen und landete in einer Strafkompanie an der Ostfront. Für sein
Überlaufen zur Roten Armee "musste er sich noch im 21. Jahrhundert als
Verräter und Kameradenmörder beschimpfen lassen." (S. 54)
So bleibt Brauer in seinen Erinnerungen nicht einfach nur in der
Vergangenheit stehen, sondern spricht in seiner einfachen Sprache auch die
NS-Kontinuitäten und das drückende gesellschaftliche Klima im
Nachkriegsösterreich an, vor dem Brauer in die Kunst- und Kulturmetropole
Paris entflieht, ehe er als etablierter Künstler wieder nach Wien
zurückkehrt und mit seiner Frau und seinen drei Töchtern ein Leben zwischen
Wien und Israel beginnt. Brauers Verbundenheit mit Israel kommt immer wieder
zum Ausdruck. Gerade in der Stunde der Not, zeigte er sich immer auch dem
jüdischen Staat verbunden, dessen Armee er auch schon einmal als Unterhalter
diente.
Dass er trotz seiner Abscheu gegenüber Islamisten, Terroristen und anderen
Feinden Israels nicht zum Feind der Araber wurde, sondern gerade auf die
Reformkräfte innerhalb der arabischen Welt hofft, mag vielleicht zum
gegenwärtigen Zeitpunkt für manche Leserinnen und Leser ein wenig naiv
klingen. Das Buch ist jedoch vor dem aktuellen israelisch-libanesischen
Krieg erschienen und seine Worte klingen gerade jetzt umso nachdenklicher,
wenn er meint, dass der Terrorismus nicht durch die US-Armee, die UNO oder
Geheimdienste besiegt werden kann, "sondern nur durch eine bereits
angebrochene Entwicklung innerhalb der islamischen Welt. Eine Entwicklung,
die vor allem auch von den Frauen vorangetragen wird." (S. 154)
Seiner Zukunftshoffnung in Bezug auf die palästinensische Gesellschaft
schwingt zugleich die Gefahr mit in der sich Israel befindet: "Wenn die
Demokratisierung und Emanzipation der Palästinenser rasch vorangeht, hat
Israel gute Chancen weiter zu existieren – nur dann." (S. 154)
Erich Brauer, der sich seit seiner Zeit in Israel Arik Brauer nennt, hat in
seinem Buch aber eben nicht nur politische Einschätzungen oder persönliche
Erinnerungen gesammelt. Das mit zahlreichen Liedtexten und Zeichnungen aus
der Feder des Autors versehene Buch ist viel mehr als das: Ein
Gesamtkunstwerk das Leben, Denken und künstlerisches Schaffen dieses großen
Menschen, Weltenbummler, Bergsteiger, Naturschützer und Künstler schildert
und Lust macht endlich wieder einmal eine der alten Arik Brauer
Schallplatten hervorzuholen und sich das "Froschermandl" oder die
Gassenhauer "Sie ham a Haus baut" und "Hinter meiner, vorder meiner"
anzuhören und dabei eines seiner Bilder anzusehen. Wenn man sich dabei
keines im Original leisten kann, so hängt vielleicht - wie bei mir zuhause -
noch ein von Arik Brauer gemaltes Plakat zum Erhalt des osttiroler
Dorfertals an der Wand, ein Tal das Ende der Neunzehnachzigerjahre von
österreichischen Kraftwerksbauern mit einem Speicherkraftwerk geflutet
werden hätte sollten und gegen das sich der Vordenker der österreichischen
Ökobewegung ebenso zur Wehr gesetzt hatte wie gegen Atomkraftwerke oder den
Bau des Donaukraftwerks Hainburg.
hagalil.com
14-08-06 |