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Irene Heidelberger-Leonard:
Jean Améry.
Revolte in der Resignation. Biographie

Klett-Cotta Verlag 2004
Euro 24,00

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Revolte in der Resignation:
Jean Améry – eine Biographie

Rezension von Karl Pfeifer

Bevor ich die von Irene Heiderlberger-Leonard verfasste Biographie las, waren mir die blitzgescheiten Artikel von Améry, die in Schweizer und deutschen Zeitungen erschienen, ein Begriff. Besonders beeindruckt sein 1969 publizierter Artikel "Der ehrbare Antisemitismus", der leider bis heute aktuell geblieben ist.

Die Autorin hat gründlich recherchiert. Der in Wien 1912 als Hans (Chaim) Maier (es gibt mehrere Schreibweisen seines Namens) geborene, nach dem Krieg unter dem Namen Jean Améry schreibende und bekannt gewordene Journalist und Schriftsteller wurde katholisch erzogen und wuchs im Salzkammergut auf. Nach einer Buchhandelslehre studierte er unregelmäßig Literatur und Philosophie, war Buchhändler in der Buchhandlung des Wiener Volksheims Leopoldstadt. Er gab mit Ernst Mayer die kurzlebige literarische Zeitschrift "Die Brücke" heraus und flüchtete 1938 nach Antwerpen, wo er von der jüdischen Gemeinde Hilfe erhielt. Im Mai 1940 als feindlicher Ausländer festgenommen, wurde er in Südfrankreich im Lager Gurs interniert, von wo ihm 1941 die Flucht gelang. Nach seiner Rückkehr nach Brüssel nahm er teil an der Arbeit einer kleinen Gruppe österreichischer Kommunisten bei der Herstellung von Flugblättern, die unter deutschen Besatzungssoldaten verteilt wurden.

Améry erkannte 1965 lakonisch, "dass wir unser dürftiges Wort an taube Ohren richteten. Ich habe manchen Grund zur Annahme, dass die feldgrauen Soldaten, die unsere vervielfältigten Schriften vor ihren Kasernen fanden, sie stracks und hackenklappend ihren Vorgesetzten weitergaben, die ihrerseits dann mit der gleichen dienstlichen Fixigkeit die Sicherheitsbehörden verständigten. So kamen diese letztgenannten uns denn auch ziemlich schnell auf die Spur und hoben uns aus. Auf einem der Flugblätter, die ich im Augenblick meiner Festnahme bei mir trug, stand ebenso bündig wie propagandistisch ungeschickt: 'Tod den SS-Banditen und Gestapohenkern.'"

Améry, gab die anderen Mitglieder der Gruppe nicht preis und wurde der Folter unterworfen. Er hat dies im Essay "Die Tortur" (1965) literarisch aufgearbeitet. Als Jude enttarnt, traf er am 17. Januar 1944 in Auschwitz ein. In seinem Text "Zur Psychologie des deutschen Volkes" schrieb Améry:

"Konzentrationslager Auschwitz, im Januar 1944: Nach Ankunft eines Transportes von einigen hundert Juden, Männern, Frauen und Kindern, werden diese auf die gewohnte Weise durch SS-Leute eingeteilt. Man trennt zunächst die arbeitsfähigen Männer von Frauen, Kindern und Greisen und löst schließlich auch diese zweite Gruppe auf, indem man den Kindern die Mütter wegnimmt. (...). Eine Frau (...) löst sich plötzlich mit aufgelöstem Haar und tragischen Gebärden von ihren Genossinnen und fragt schreiend, bereits mit sichtlichen Anzeichen beginnender Geistesgestörheit, nach ihrem Kinde. (...) Sie gerät an einen wachthabenden SS-Mann. "Mein Kind", sagt sie, "haben Sie nirgends mein Kind gesehen?"
"Ein Kind willst Du" antwortet der SS Mann mit vollkommener Ruhe, "warte..." Und er geht sehr langsam auf die Gruppe (...) der Kleinen zu. Er bückt sich und ergreift einen etwa vierjährigen Knaben beim Fuß. Er hebt ihn hoch und wirbelt ihn einige Male durch die Luft, wobei der den kleinen Kopf an einem eisernen Pfeiler zerschmettert. (...)"

Améry hatte Glück im Unglück und durfte als der deutschen Orthographie kundiger Schreiber im Büro eines im Bau befindlichen I.G.Farben-Werkes arbeiten. Er musste stundenlang am Appellplatz stehen, bekam 200 Gramm Brot und zwei Wassersuppen am Tag. Aus Solidarität mit den anderen geschundenen Menschen empörte er sich bei seinem Vorgesetzten über die mörderischen Arbeitsbedingungen, unter denen die anderen Häftlinge weiterhin darben. "Ja, Mayer", meinte der Meister, "so darf man die Dinge nicht ansehen. Man kann es eben nicht allen recht machen. Aber die Arbeit, Mayer, die Arbeit muss gemacht werden, man verlangt sie ja von mir auch". Sein Einspruch hätte Améry das Leben kosten können, aber sein Vorgesetzter war ihm gewogen.

Ende Januar 1945 wurde er zu Fuß evakuiert und endlich am 15. April im KZ Bergen-Belsen von britischen Soldaten befreit. 25.437 Juden wurden aus Belgien, davon 23.000 nach Auschwitz deportiert. Hans Mayer ist einer der 615 Überlebenden. "Mit fünfundvierzig Kilogramm Lebendgewicht und einem Zebra-Anzug", kehrte er zurück nach Brüssel. Seine Frau Regina, die sich in Brüssel versteckt gehalten hatte starb am 24. April 1944.

Für Améry ist die Lager-Erfahrung eine rein destruktive: "Wir sind in Auschwitz nicht weiser geworden (...) nicht 'tiefer', (...) nicht besser, nicht menschlicher, nicht menschenfreundlicher und sittlich reifer". Die Rolle, eines Auschwitz-Überlebenden, der während der sechziger Jahre sich durch seine Essays und Stellungnahmen in Deutschland einen Namen gemacht hatte und deshalb zu Symposien und Konferenzen eingeladen wurde, war ihm zu tiefst zuwider.

Im Buch wird die faszinierende indirekte Diskussion zwischen Primo Levi und Jean Améry im Detail geschildert. Levi glaubt, der Autodidakt Améry wäre ein arrivierter deutscher Intellektueller und Améry sieht in Levi einen "Verzeiher". Das Leiden an der nicht erfolgten Rache hat sich als Ressentiment heillos nach innen gekehrt.

Hans Mayer weiß, er kann es bezeugen, dass sie, die Durchschnittsdeutschen , "wussten": "So steht es fest und kann hier voll verantwortlich bestätigt werden, dass die Arbeiter und Angestellten des Werkes 'Auschwitz' der I.G. Farbenindustrie genau wussten, dass in dem 5 km entfernten Ort Birkenau Hunderttausende von Juden, Polen und Russen mit Gas vergiftet und teilweise sogar lebend verbrannt wurden. In diesem Sonderfalle waren also ungefähr fünftausend Deutsche gewesen, die von den teuflischsten aller ersinnbaren Methoden Kenntnis hatten, aber nicht einer, der gerufen hätte: 'Halt! Das mach ich nicht mehr mit'."

Améry erwog auch eine Rückkehr in sein Geburtsland. 1946 schrieb er seiner späteren österreichischen Ehefrau: "Freilich das Herz, liebe Mitzerl, das Herz zieht mich trotz alledem nach Österreich, und es ist durchaus möglich, dass ich eines Tages über Nacht abreise." Ingeborg Bachmann setzte in ihrer vielleicht schönsten Erzählung "Drei Wege zum See" ein bewegendes Denkmal für Améry. Mit großer Selbstverständlichkeit nennt sie ihn einen "Österreicher".

Die Gleichgültigkeit der Österreicher hat ihn gekränkt. 1971 schrieb er an Ernst Fischer: "Was Sie mir über meine Arbeit sagten, war schön und hat mich bewegt, nicht zuletzt weil ihre Stimme für mich (...) aus Österreich zu mir herübertönt. (...) dem Lande der Herkunft, wo man sich freilich ansonsten so gut wie nicht um mich schert und mich in der schlechtsitzenden Rolle des bundesdeutschen Schriftstellers meine Sache tun lässt."

Hans Mayer erhielt die österreichische Staatsbürgerschaft, kehrte aber nicht zurück, denn "in a Wirtshaus aus dem ma aussigschmissn worn is, geht ma nimmer eini." Endgültig kehrt er in sein Heimatland nur zurück, um hier Selbstmord zu begehen und in einem Ehrengrab der Stadt Wien begraben zu werden.

Hannah Arendts Buch "Eichmann in Jerusalem" (1961) erregte seinen Widerwillen, insbesondere der Untertitel "Bericht von der Banalität des Bösen", ein Begriff, der dem Gefolterten, dem der sadistische Machtrausch seiner Peiniger noch so gegenwärtig war, wie damals, Stachel zur leidenschaftlicher Widerrede war. "Es gibt nämlich keine 'Banalität des Bösen', und Hannah Arendt, die in ihrem Eichmann-Buch davon schrieb, kannte den Menschenfeind nur vom Hörensagen und sah ihn nur durch den gläsernen Käfig."

Sein "Judesein" definiert Améry 1966: "Das hieß für mich von diesem Anfang an, ein Toter auf Urlaub sein, ein zu Ermordender, der nur durch Zufall noch nicht dort war, wohin er rechtens gehörte." Nach dem Sechs-Tage-Krieg schreibt er: "Links war er immer ausgeschritten, bis jetzt die Kraft der Beine erlahmte, wenn nämlich linke Geschichtsbesessenheit aus den weltbedeutenden Blättern ihn anredete und unter Sukkurs aller fortschrittlichen Geister von Universitäten und Kirchen ihm klarmachte, dass und warum das winzige Ländchen am Mittelmeer der Rechts- und Friedensbrecher war, ergo am besten tat, sich selber eigenhändig abzuwürgen, was doch ein schwieriges Unterfangen ist."

Sein "Katastrophen-Judesein" machte ihn zum Zionisten. Erst mit der Gründung Israels, erklärte er, haben die Juden aller Welt den aufrechten Gang wieder gelernt. Einem deutschen Freund vertraute er an, dass allein die Nachrichten aus dem Nahen Osten ihn interessieren, er sei "durcheinandergeraten – vor allem auch, was (s)eine linke Einstellung betrifft."

Die Autorin schildert auch das Schicksal seiner Bücher und die späten Ehrungen die Améry zuteil geworden sind. Auf seinem Grabstein im Wiener Zentralfriedhof steht lediglich:

"JEAN AMÉRY 1912-1978
AUSCHWITZ NR. 172364".

Irene Heidelberger-Leonard, die auch die Gesamtherausgeberin der bei Klett-Cotta erscheinenden Améry-Werkausgabe ist, schließt ihre Biographie mit folgenden Sätzen: "1938 wird er wie eine Ausgeburt des Teufels aus dem Land gejagt. 1978 wird der "Götterliebling" in einem Ehrengrab in Wien bestattet."

Das Buch regt an, sich mit dem Werk von Jean Améry auseinanderzusetzen.

hagalil.com 11-08-04











 

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