Thea Altaras:
Synagogen und jüdische Rituelle Tauchbäder in Hessen – Was geschah seit
1945?
Eine Dokumentation und Analyse aus 264 hessischen Orten
2., aktualisierte, kombinierte u. erweiterte Auflage 2007
Aus dem Nachlass hrsg. v. G. Klempert u. H.-C. Köster
432 Seiten, 1244 Abb., davon 218 farbig
Euro 39,80 EUR
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KIRBERG (Altkreis Limburg),
Gemeinde Hünfelden 22, 23
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Thea Altaras:
Synagogen und jüdische Rituelle Tauchbäder in Hessen –
Was geschah seit 1945?
Leseprobe: Schlusswort von 2004
Ehemalige Synagogen in Hessen, die 1938 vor der Zerstörung bewahrt
blieben und die sich überwiegend im ländlichen Raum befinden, sind bislang
sehr wenig und nicht im Zusammenhang mit ihrer Erhaltung berücksichtigt
worden. Wenn sie überhaupt erwähnt wurden, so lediglich in Verbindung mit
ihrer Entweihung als jüdische Kultstätten, wobei weder den Juden noch den
Christen das weitere Schicksal dieser ehemaligen Synagogengebäude
erforschungswürdig erschien.
Gewiß, die jüdische Bevölkerung auf dem Lande mit ihren Kleingemeinden
ist irreparabel und irreversibel vernichtet worden. Juden, die Mut hatten,
sich in Deutschland wieder niederzulassen, haben sich für das Leben in Groß-
und größeren Städten entschlossen. Um so mehr schien es angebracht, gerade
diese 1945 noch erhaltenen Synagogen aus kultureller und architektonischer
Sicht besonders zu beschreiben, denn durch ihr Vorhandensein können sie von
den übrigen 1938 zerstörten Synagogen getrennt werden, zumal sie ein
wertvolles jüdisches Erbgut der gemeinsamen deutsch-jüdischen Geschichte
darstellen.
Diese Synagogen geben durch ihr weiteres Schicksal Aufschluss über die
Auffassung und Stellungnahme der Behörden wie auch der Bevölkerung auf dem
Lande gegenüber der Jüdischkeit, womit der gesellschaftliche und politische
Grund für ihre Dokumentation weitgehend gegeben ist.
Da sich diese Arbeit auch auf Bestandsaufnahmen stützt, war für die
vorgenommenen Besichtigungen, Befragungen und Studien höchste Eile geboten,
denn noch lebende Zeugen, die über diese ehemaligen Synagogen berichten
können, gibt es immer weniger.
Wie sich die Geschichtsbeschreibung nicht nur am Schicksal einzelner
Persönlichkeiten darstellen lässt, so können Analysen von Stadt- und
Großstadtsynagogen nicht stellvertretend für alle, vor allem nicht für die
Vielzahl der Landsynagogen, zu einer richtigen Beurteilung führen.
Diese bislang stiefmütterliche Behandlung von Synagogen im ländlichen
Raum soll hierdurch aufgearbeitet werden, zumal die Synagogen in Dörfern und
Kleinstädten einen unschätzbaren Wert für die weitere Erforschung der
Geschichte des Landjudentums bedeuten, und dies besonders im Land Hessen.
Eine architektonische Analyse dieser Synagogen war somit erforderlich. Sie
sind in der reichen Innenausstattung, im Gegensatz zur äußerlich einfachen
Gestalt sehr interessant und vielfältig. In ihren Grundrißformen nähern sie
sich am deutlichsten den anfänglichen Bethäusern der ersten Jahrhunderte
nach der Neuen Zeitrechnung, was auf die tief religiöse Einstellung und die
bescheidenen Ansprüche der betreffenden Kleingemeinden zurückzuführen ist.
Die architektonischen Ausdrucksformen dieser Synagogen sind in
Abhängigkeit von der sozialen, wirtschaftlichen, religiösen und
gesellschaftlichen Stellung der jeweiligen Gemeinde aus dieser Zeit
bearbeitet worden, wobei auch die dorf- und städtebaulichen Voraussetzungen
dieser Ortschaften in der Abhandlung berücksichtigt worden sind.
Die abbildende, zeichnerische und beschreibende Wiedergabe einzelner
Synagogen zeigt auch ihre Behandlung innerhalb der Zuständigkeitsbereiche
der betreffenden Landbaumeister. Deren Einfluss durch Anwendung bestimmter
Bauformen bewirkte, dass das Aussehen der Synagogen von Kreis zu Kreis so
verschieden war. Zu dieser Verschiedenartigkeit trug auch die autonome
Organisationsform und Selbständigkeit der Gemeinden bei. Eine gemeinsame
Stilrichtung gab es nicht und konnte es deshalb nicht geben. Meistens zeigen
Synagogen den herrschenden Baustil ihrer Erstellungs- oder Erneuerungszeit.
Die Anwendung bevorzugter Stilelemente hing von der Sachkundigkeit und dem
Geschmack der Kreisbauämter ab, was die Vielfalt im Aussehen der
Landsynagogen erklärt. Synagogen sind in den letzten Jahren verstärkt in das
Blickfeld der Kunstgeschichtler und Historiker im In- und Ausland gelangt,
und das Schrifttum darüber – eingeschlossen diejenigen Werke, die in
Vorbereitung sind – wird immer umfangreicher. In dieser Literatur wird
versucht, die Synagogen in Baustile zu zwängen, um eine einheitliche
Architektur der jüdischen Kultstätten vorzeigen zu können. Dorf- und
Kleinstadt-Synagogen werden andererseits, wenn überhaupt erwähnt, in der
Beurteilungsskala am niedrigsten eingestuft.
Beides trifft für die hier dokumentierten Synagogen nicht zu, denn das
Ergebnis der durchgeführten Studie zeigt, daß auch bei gleicher Bauart kein
gemeinsamer Baustil nachgewiesen werden kann. Dennoch sind diese Synagogen
durch die regelmäßige Anordnung ihrer Bogenöffnungen, die Einfachheit der
verwendeten Baumaterialien, die guten Detaillösungen, die geschlossene
Formgebung, die verschiedenen, jedoch zusammenwirkenden Stilformen und nicht
zuletzt infolge des eingehaltenen Prinzips der Symmetrie mit einem hohen
Grad von Ganzheit ausgestattet. Dies bedeutet, dass sie vielerorts als gute
Architektur bezeichnet werden können.
Die nach 1945 durchgeführten Umbauten an den vielen ehemaligen Synagogen
lassen den Eindruck aufkommen, dass es sich um ein Anknüpfen an die 1938
vollzogene Zerstörung der Synagogen handelt. Obwohl diese Synagogen in der
Pogromnacht vom 9. zum 10. November 1938 bereits als Gotteshäuser entweiht
wurden, indem man die Thora und Kultgegenstände geschändet und demoliert
hat, erfolgte diese Umwandlung so drastisch und konsequent, daß sie den
Anschein einer Fortsetzung erweckt.
Diese Umbauten nämlich sind vorerst auf das Entfernen jeglicher baulichen
Merkmale einer Synagoge ausgerichtet gewesen, sei es die Entfernung ihrer
Insignien wie Davidstern, Gesetzestafeln oder ihrer hebräischen Inschriften,
sei es die Beseitigung ihrer Bogenfenster oder Rundöffnungen. Die Zahl von
59 abgerissenen Synagogen nach dem 8. Mai 1945 spricht eher für das
Festhalten an der übernommenen und gewohnten Auffassung, als für einen
Gesinnungswandel der ländlichen Bevölkerung.
Den Privatleuten und Besitzern der ehemaligen Synagogengebäude ist jedoch
nur ein stiller Vorwurf zu machen, denn sie haben die geschändeten Synagogen
käuflich erworben und sie haben nach dem Krieg an die Jewish Restitution
Successor Organisation (JRSO) beinahe alle nochmals bezahlt. Da die
jüdischen Liegenschaften, insbesondere Synagogen und jüdische Schulen
während des nationalsozialistischen Regimes in der Regel zu einem äußerst
niedrigen Preis erworben wurden, war das Entrichten des nun von der IRSO
festgelegten neuen Kaufpreises als eine Wiedergutmachung zu verstehen.
Ortsgemeinden, die Vertreter des Denkmalschutzes, die Intellektuellen und
Akademiker dieser Ortschaften und nicht zuletzt die Politiker hätten
eingreifen müssen, um die Durchführung dieser brutalen Umbauten gesetzlich
zu verhindern. Der gegenwärtig abschließende Überblick zeigt, dass es zu
spät ist, eine Wiederherstellung des Zustandes von 1945 herbeizuführen,
zumal die Denkmalpflege den kulturellen Wert der ehemaligen jüdischen
Kultstätten verkannt hat und sie somit [bis 1988] nicht unter ihren Schutz
genommen hat. Übrigens, mehr als ein Drittel dieser Synagogen hatte auch
ohnedies einen historischen und baulichen Wert, unter Denkmalschutz gestellt
zu werden.
Die Synagogen waren für Juden und Nichtjuden ein sichtbarer Ausdruck der
in christlicher Mitte lebenden jüdischen Minderheit. Die Juden in Hessen,
obwohl sie keine Landwirtschaft im Sinne hauptberuflicher Tätigkeit gleich
den christlichen Bauern betrieben, lebten mit ihrer christlichen Umgebung
eng verbunden, und ihre Synagoge mitten in der Ortschaft gehörte
selbstverständlich zu den baulichen Elementen eines Dorfes. Die Synagoge
vervollständigte das gewohnte Dorfbild, was gegenwärtig am Beispiel im
Freilichtmuseum "Hessenpark" bestätigt und verdeutlicht gesehen werden kann.
Nun, die Tatsache, dass sich Behörden wie auch einzelne Bürger über vierzig
Jahre um die ehemaligen Synagogen und Beträume nicht gekümmert haben,
spricht für sich. Auch von den jüdischen Institutionen kam leider keine
Anregung.
Das Landjudentum existiert heute nicht mehr, und das erst vor kurzem
auftretende Interesse an der Vergangenheit kann nicht die Gleichgültigkeit
der letzten Jahrzehnte gegenüber der Kultur einer Minderheit so schnell
überwinden.
Dies führte wohl dazu, daß man bislang so wenig oder gar nicht auf die
noch vorhandenen Synagogen geachtet hat. Es könnte auch sein, daß die
hessische Landbevölkerung ihre Vorurteile gegenüber den Juden noch nicht
abgebaut hat. Denn wie anders ist die Tatsache zu werten, daß sich einige
Besitzer ehemaliger Synagogen heute noch weigern, für das Anbringen einer
Gedenktafel an diesen Gebäuden ihre Einwilligung zu geben. Das Anbringen
einer Gedenktafel ist nach Meinung der Verfasserin jedoch das Mindeste, was
für die ehemaligen Synagogen wie auch für die damaligen deutsch-jüdischen
Mitbürger getan werden müßte.
Auch die Recherchen an Ort und Stelle zeigten, dass einige Besitzer von
ehemaligen Synagogen noch bis heute eine unfreundliche Haltung gegenüber dem
Judentum haben, was sie durch das Verbot der Besichtigung oder mit ihren
dürftigen und abweisenden Antworten zum Ausdruck brachten. Ebenso gab es
einzelne Institutionen und Behörden, die weder Bereitschaft zu informieren
noch Verständnis für die durchgeführten Nachforschungen aufbringen wollten.
Diese zu Bedenken Anlass gebenden Erlebnisse beschränkten sich jedoch auf
Einzelfälle.
Andererseits bekräftigt das Vorhandensein von ehemaligen Synagogen, die
äußerlich nicht verändert wurden, sowie der Stolz der Ortsgemeinde und des
Besitzers, eine unveränderte ehemalige Synagoge in ihrer Ortschaft
nachweisen zu können, unser Empfinden, dass bereits bei vielen Menschen auf
dem Lande ein Gesinnungswechsel eingetreten sei.
Denn Synagogen bleiben – gleich den Friedhöfen – Zeugen der
Vergangenheit, und ihr Erhalten und Kennzeichnen ist nicht nur für uns Juden
von großer Bedeutung. Es ist auch als ein aufkommendes Verständnis der
Deutschen für die jüdische Kultur zu werten, zumal die jüdische Kultur in
Deutschland ein Bestandteil der deutschen Geschichte und Kultur ist. Dies zu
ignorieren, bedeutet, die eigene Geschichte und Kultur leugnen zu wollen.
hagalil.com
16-10-07 |