Ethnokrimi:
Butchers Hill
Von Julia Anspach
"Butchers Hill", erschienen bei Rotbuch in der
Krimireihe der Journalistin und späteren Ermittlerin Tess Monaghan,
liegt die wahre Geschichte eines Mannes zugrunde, der einen unschuldigen
Jungen erschoss. Bei Rotbuch erschienen außerdem "Baltimore Blues" (Tess
Monaghans erster Fall), "Charm City" (der zweite Fall) und "In einer
seltsamen Stadt" (der sechste Fall).
Tess Monaghan ermittelt in ihrem dritten Fall: Die
ehemalige Reporterin hat inzwischen ihr eigenes Büro als
Privatdetektivin eröffnet. Es liegt in Butchers Hill, einer weniger
feinen Wohngegend in Baltimore. Sie erwartet ihren ersten Kunden, bei
dem es sich um den berühmt-berüchtigten Luther Beale handelt, den
sogenannten Schlächter von Butchers Hill. Fünf Jahre zuvor erschoss er
einen Jungen, als der mit seinen Pflegegeschwistern nachts Autos
aufbrach und Radios stahl. Nach einer vierjährigen Haft wurde Luther
Beale nun entlassen und will die übrigen Kinder finden, die in jener
Nacht an der Tat beteiligt waren, um sie finanziell zu entschädigen. Er
beauftragt Tess Monaghan, die Kinder zu suchen.
Gegen die Warnung eines Freundes nimmt Tess den Auftrag
an und hat sich kaum auf die Suche begeben, als das erste der Kinder
ermordet wird. Unter Verdacht steht erneut Luther Beale. Doch Tess
glaubt an seine Unschuld.
Fast zur gleichen Zeit taucht eine Frau in Tess' Büro
auf, die nur wenige Jahre älter ist als Tess selbst. Sie erteilt ihr den
Auftrag, ihre Tochter zu finden, die sie nach der Geburt zur Adoption
freigab. Bei den Ermittlungen stößt Tess bald auf wohlgehütete
Geheimnisse ihrer eigenen Familie.
Beide Aufträge ermöglichen Tess Monaghan einen Einblick
in das amerikanische Sozialsystem, das sich als problematisch erweist.
Kinder leben auf der Straße, stehlen oder sind drogenabhängig, Eltern
vernachlässigen ihre Kinder und werden vom Staat ignoriert, Pflegeeltern
sind überfordert und andere Menschen nehmen zahlreiche Kinder in Pflege,
um den staatlichen Zuschuss für Pflegekinder zu erhalten,
vernachlässigen jedoch ihre erzieherischen Aufgaben. Auch das
Adoptionssystem beinhaltet kritikwürdige Aspekte.
Während die Ermittlungen eher gemächlich beginnen,
gewinnen sie im Verlauf der Handlung an Tempo. Parallel nehmen die
privaten Konflikte der Ermittlerin zu und damit wächst die Spannung.
Insgesamt handelt es sich bei "Butchers Hill" um ein
unterhaltsames und lohnenswertes Buch. Die letzten Seiten allerdings
sind ein wenig fragwürdig: War so viel Kitsch wirklich notwendig? Hier
werden die Grenzen zum Dreigroschenroman berührt, in Teilen
überschritten. Vielleicht hätte die Autorin sie sich sparen können; das
Happy End wäre ohne Kitsch auch noch glücklich genug gewesen. Die übrige
Erzählung hingegen ist spannend, humorvoll, kurzweilig und überwiegt
positiv das unpassende Ende.
Der Krimi "Butchers Hill" wird unter das Subgenre der
Ethnokrimis gefasst. Die Protagonistin Tess Monaghan entstammt nämlich
einer jüdisch-irischen Familie. Im Verlauf der Handlung wird sie hin und
wieder mit Stereotypen und Vorurteilen konfrontiert. Trotzdem wirkt die
Behandlung des Themas nicht bedrückend oder schwerfällig. Im Gegenteil
kommt die Tatsache, dass die Protagonistin eine Jüdin ist, nur am Rande
und sehr dezent zur Sprache. Mit Stereotypen wird auf eine leichte,
lockere und humorvolle Art gespielt.
Dialoge über Bagel, Leber, Krebse und die
unterschiedlichsten Nahrungsmittel, koschere und unkoschere, sowie
Essgewohnheiten sind verflochten mit kleinen aufklärenden Details über
das Judentum, die beiläufig eingeworfen sind und unaufdringlich wirken.
Die Autorin Laura Lippman gehört zu den bekanntesten und
beliebtesten Krimiautorinnen der USA. Sie wurde 1959 in Atlanta,
Georgia, geboren und verlebte einen großen Teil ihrer Kindheit und
Jugend in Baltimore, Maryland. Nachdem sie für verschiedene
amerikanische Zeitungen, zuletzt für "The Baltimore Sun" schrieb, lebt
sie heute als freie Schriftstellerin in Baltimore. Für "Butchers Hill"
erhielt sie 1998 den "Agatha Award" in der Kategorie "Best Novel" und im
gleichen Jahr den "Anthony Award" für "Best Paperback Original".
hagalil.com
27-08-05 |