Jerome Charyn:
El Bronx
Rotbuch Verlag 2005
Euro 9,90
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"Der große Jude":
Isaac Sidel in El Bronx
Von Julia Anspach
Der ehemalige Polizist Isaac Sidel ist nun
Bürgermeister der Bronx und als solcher konfrontiert mit Gewalt,
Kriminalität, Drogenabhängigkeit und Kinderprostitution. Aktuell hat er
haufenweise Probleme zu bekämpfen: Da die Baseballspieler sich im Streik
befinden, scheint die Existenz des Yankee-Stadiums auf dem Spiel zu
stehen. Gleichzeitig tobt ein Bandenkrieg, deren Toten Denkmäler gesetzt
werden.
Der Zwölfjährige Aljoscha schafft Wandgemälde, die vom
Leben und Sterben der Toten erzählen. An ihm ist Sidel gelegen und mit
ihm, seiner Tochter, dem Schwager und wenigen anderen Vertrauten an
seiner Seite kämpft Sidel gegen politischen Filz, gegen Machtkämpfe,
Korruption und Spekulation.
Zahlreiche Protagonisten sind in verschiedene
Handlungsstränge verwickelt, die parallel verlaufen, sich kreuzen oder
auch verwickelt sind. Sie werden zusammengeschlagen, erstochen, erwürgt
und erschossen. Ob Polizist oder Straßenkid: Irgendwie sind alle einmal
Täter. Irgendwie haben alle Dreck am Stecken. Übersichtlichkeit ist
etwas anderes.
Eine Frau, deren Leben vom eigenen Ehemann bedroht wird,
schläft mit ihrem potentiellen Mörder und mit dem Bürgermeister, ihre
Tochter kämpft engelsgleich mit ihrem Freund Angel/Aljoscha und einem
Holzschwert gegen das Böse. Er ist erfolgreich, nennt sich der Gute
Ritter und legt die Vermutung nahe, dass es sich bei "El Bronx"
vielleicht um einen Ritterroman handelt. Vielleicht auch um ein
Science-Fiction-Werk, wenn zum Showdown die Gang der Warlords mit
Scheinwerfern auf Dächern von Wolkenkratzern gegen Gladiatoren und Billy
the Kid kämpfen – oder ist es ein Western? Doch eine Romanze, wenn der
Auftragskiller mit Fantômas-Maske über das Balkongeländers des geliebten
und begehrten (und bald verführten) Opfers klettert?
Die Mitglieder in Isaac Sidels eigener Gang, bei der es
sich eher um eine Jugendgruppe als um eine Gang handelt, nennen sich
Merliner, benannt nach dem Zauberer Merlin. Nun befindet man sich mitten
in der Welt der Sagen, Legenden und Märchen.
Von all dem sind Elemente vorhanden, ein verwirrendes
Gemisch an Handlungssträngen mit dem Bürgermeister Isaac Sidel, genannt
der "Große Jude" oder auch "El Caballo" als Bindeglied. Ein
spannungsreiches Buch, dessen Spannung nicht zuletzt auf der Tatsache
beruht, dass jederzeit ein Mord geschehen kann, ohne dass im Einzelnen
verständlich wird, mit welchen Motiven oder Zielen. Auf realistische
Beschreibungen oder recht sachliche Dialoge folgen Szenen, die derart
überzogen und unglaubwürdig erscheinen, dass man sich ständig erneut die
Frage stellen muss, in welchem Genre man sich aktuell bewegt. Doch nicht
nur die Form, auch der Inhalt verwirrt.
Bei all den wirklichen, den Tarn-, Spitz- und
Bandennamen kann man den Überblick darüber verlieren, wer wer ist, wer
mit wem wie, wo, was zu tun hat und schließlich, wer lebt und wer starb.
Nicht zuletzt kann es passieren, dass man sich am Ende der Handlung
fragen muss, worum es eigentlich ging.
"El Bronx" ist das neueste Buch der Isaac-Sidel-Reihe,
die bei Rotbuch erschienen ist. Der Autor Jerome Charyn wurde 1937 als
Sohn osteuropäischer Immigranten in der Bronx geboren. In diesem Milieu
spielt nicht nur die Isaac-Seidel-Reihe, auch sein übriges literarisches
Werk ist hier angesiedelt. 1993 wurde Charyn "Chevalier de l'Ordre des
Lettre et des Arts" und lehrt heute als Professor für Filmgeschichte an
der American University of Paris. Er lebt in Paris und New York.
hagalil.com
12-10-05 |