
Gilles Kepel,
Das Schwarzbuch des Dschihad.
Aufstieg und Niedergang des Islamismus.
Piper Verlag 2002
Euro 29,90
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Mehr als fünf Jahre recherchierte Gilles Kepel für sein
ehrgeiziges Projekt 'das Phänomen des Islamismus' in seiner Gesamtheit
darzustellen. Seiner Ausbreitung und Verflechtungen in den letzten 25 Jahren in
den diversen Ausprägungen nachzuspüren, sowie die unterschiedlichen Reaktionen
der davon betroffenen Länder aufzuzeigen. Dieses Buch, welches auf französisch
im Jahr 2000 erstveröffentlicht wurde und dieses Jahr auf deutsch erschien,
zeichnet detailreich von Kairo über Riad, Kuala Lumpur, Teheran, Karthum bis
Peshawar, Kabul und Algier, die Entstehung, Finanzierung und Unterstützung
dieser Bewegungen nach.
Ebenso wie es einigen dieser islamistischen Bewegungen gelang an
die Macht zu kommen, z. B. Khomeni im Iran oder den sudanesischen Islamisten und
anderen wiederum nicht, obwohl sie teilweise dieselbe Schlagkraft besaßen.
Jedoch, so das Fazit von Kepel, sei seit Mitte der 90er ihr allmählicher
Niedergang zu konstatieren, und das zunehmende Bestreben der islamischen Länder
einen Weg in eine 'muslimische Demokratie' zu suchen. Womit dem Autor in Bezug
auf die Regierungsebene vieler islamischer Staaten recht gegeben werden muss,
doch entgleitet parallel zu dieser Entwicklung, nicht nur staatlicherseits,
sondern ebenso den 'islamistischen Organisationen' selbst, die Kontrolle über
ihre einstigen Zöglinge, die Dschihadisten.
So ist denn auch dem Vorwort, welches Kepler der deutschen
Ausgabe noch voranstellte, eine gewisse Verunsicherung anzumerken. Letztendlich
kann er in diesem, im Januar 2002 geschriebenen, nur die Hoffnung formulieren,
dass Terrorismus nicht unbedingt Ausdruck einer Stärke der Bewegung sei. Zwar
spricht er von der weltweiten frappanten Zunahme des 'antiamerikanischen
Ressentiments' und dem Versuch der Dschihadisten diese in Verbindung mit der
Propagierung eines 'Ur – islams' zu dynamisieren. Um dann merkwürdig unbestimmt
und verallgemeinernd, besonders in Bezug auf den Nahen Osten, Formulierungen zu
gebrauchen wie: "Unabhängig davon, worin die Ursachen für dieses Wiederaufleben
der Gewalt zu sehen sind...", ohne auf die zunehmende Islamisierung und den
massenhaften Andrang der 'Märtyreranwärter' nur ansatzweise einzugehen.
Ausgehend von der Feststellung, der aufkommende Islamismus der
siebziger Jahre im 20. Jahrhundert sei als die Negation des Nationalismus der
vorangegangenen Epoche zu begreifen, teilt er die darauffolgenden 25 Jahre in
drei Phasen. Die erste Phase, welche bereits Ende der Sechziger von einigen
Ideologen – dem Pakistani Maududi, dem Ägypter Saiyid Qutb und dem Iraner
Khomeini - theoretisch fundiert wird und mit erfolgreichen islamischen
Revolution 1979 im Iran, in die nächste Phase eintritt, ist besonders vom
Dualismus zwischen Saudi – Arabien und dem Iran gekennzeichnet. "So wie der Iran
unter Khomeini den radikalen Pol verkörpert, die Massen elektrisiert und die
Entrechteten zum Kampf gegen die ungerechte Ordnung aufruft, so stellt die
saudische Dynastie als Hüterin der heiligen Stätten von Mekka und Medina ihren
sagenhaften Reichtum in den Dienst einer konservativen Gesellschaftsordnung; sie
preist die Sittenstrenge und finanziert in deren Namen die weltweite Verbreitung
aller Gruppen beziehungsweise Parteien, die sich darauf berufen." (S.28).
Erbittert kämpfen die Akteure, besonders bei der mittellosen städtischen Jugend
und zugleich beim frommen Mittelstand um die Definition des Begriffs
'Islamismus'. Die Regierungen diverser islamischer Staaten wie Ägypten, Pakistan
oder Malaysia, fördern die islamischen Aktivitäten in ihren eigenen Ländern, als
Bollwerk gegen den immer noch viel bedrohlich erscheinenden Sozialismus.
Allerdings gelingt es ihnen nicht immer, die von ihnen selbst angestoßenen
Massenbewegungen letztendlich zu kontrollieren, wie z.B. 1981 die Ermordung des
ägyptischen Präsidenten Sadats durch die Gruppe 'Al Dschihad' zeigte.
Seit den Achtzigern bestimmten dann die islamistischen
Bewegungen die Debatten über die zukünftige Organisation der Gesellschaft in der
gesamten islamischen Welt. In der Utopie eine 'neue, heile Welt' jenseits von
Materialismus auf der Grundlage des Urislams aufzubauen, die gerechte
Gesellschaft wiederherzustellen, einen Staat zu gründen der dem vom Propheten in
Medina errichteten, gleichen sollte, konnten sich alle wiederfinden. Nachdem den
Regierungen zunehmend deutlich vor Augen geführt worden war, welche
Anziehungskraft diese Bewegungen besaßen und wie gefährlich sie ihnen werden
konnten, setzten die Machthabenden alles daran, diese zu spalten indem sie die
verschiedenen sozialen Gruppierungen innerhalb der Islamisten gegeneinander
auszuspielen versuchten. Jedoch sehen sie sich in jenen Jahren zunehmend
gezwungen zumindest auf kulturellem und moralischen Gebiet Zugeständnisse an die
sich re – islamisierenden Massen zu machen. So sah sich die pakistanische
Regierung unter General Zia – ul – Haq 1979 genötigt die Schari’a einzuführen,
wie sie sich auch außerstande sah gegen die neu entstehenden islamistischen
Koranschulen (1) vorzugehen.
Der im Dezember 1979 erfolgte Einmarsch der Roten Armee in
Afghanistan, um der befreundeten, in Bedrängnis geratenem, kommunistischen
Regierung zu Hilfe zu eilen, bot allen militanten (sunnitischen) Islamisten, die
von einem Kampf gegen die 'Ungläubigen' träumten das lang ersehnte
Betätigungsfeld. Finanzielle Unterstützung erhielt dieser Dschihad, eben nicht
nur von den USA, sondern besonders von den Monarchien der arabischen Halbinsel,
die sich nicht nur daraus motivierten, die bedrohlich nahekommende Sowjetunion
von ihren Grenzen fernzuhalten, sondern sich zugleich der innenpolitischen
Bedrohung zu entledigen. Dem Kampf in Afghanistan wurde von islamistisch –
sunnitischer Seite zum aktuell weltweit wichtigsten erklärt.
Zunehmend setzte sich hier die Interpretation des
palästinensischen Muslimbruders Azzam von Dschihad durch, den er als die
Verpflichtung jedes Muslims begriff, selbst zur Waffe zu greifen, ohne jemandem
Rechenschaft darüber ablegen zu müssen – dazu sei er erst im Jenseits
verpflichtet -; "diese Pflicht erlischt nicht mit dem Sieg in Afghanistan, und
der Dschihad bleibt eine individuelle Verpflichtung, bis jedes andere Land, das
muslimisch war, an uns zurückfällt, damit dort wieder der Islam
regiert....Unsere jetzige Präsenz in Afghanistan [...] bedeutet nicht, dass wir
Palästina vergessen haben. Palästina ist unser schlagendes Herz, es kommt in
unserem Geist, unseren Gefühlen, unserem Glauben vor Afghanistan."(2)
1989 erreicht die islamistische Bewegung ihre größte Ausdehnung: Die Hamas
verdrängt die PLO aus ihrer Vormachtstellung, in Algerien geht die 'Islamische
Heilsfront' (FIS) aus der Wahl als Siegerin hervor, im Sudan putscht sich der
islamistische Ideologe Hassan Turabi unter Zuhilfenahme des Militärs an die
Macht und in Afghanistan tritt die rote Armee den Rückzug an, womit sie aller
Welt den Sieg des Dschihad bestätigt, während Khomeini seine Niederlage
gegenüber dem Irak, mit der Fatwa gegen den Schriftsteller Salman Rushdie zu
kompensieren versucht. Mit diesem Aufruf zum Mord wird die islamische
Gemeinschaft auf die westliche Welt ausgedehnt.
Doch mit der Invasion Kuwaits durch Saddam Hussein 1990
zerbricht der islamistische Konsens den das saudische System trotz der
iranischen Revolution, bisher aufrecht erhalten konnte. Neben der Spaltung der
‚islamischen Konferenz’, ist diese Phase vor allem durch den Kampf der
Dschihadisten gekennzeichnet, welche nach dem Sieg in Afghanistan, sich fortan
jeder Kontrolle entzogen, und versuchten ihren 'Gotteskrieg' in diversen Ländern
fort zu führen. Dabei kaprizierten sie, wie z.B. die algerische Gruppe GIA,
ihren Kampf zunehmend auf einem Kampf gegen die eigene Bevölkerung.
Das Manko dieses lesenswerten Buches besteht v.a. darin, dass
die diversen islamischen Ausrichtungen zwar benannt werden, aber ihr Verständnis
wie die zukünftige Gesellschaft auszusehen habe, sowie diese zu erreichen sei,
wenn überhaupt nur schlagwortartig abgehandelt wird. So findet der
Antisemitismus, der z.B. für die Muslimbrüderschaft unter ihrem Gründer Hassan
al Banna konstituierend war, keine Erwähnung. Ebenso wie das 'Zinsverbot' und
das daraus resultierende islamische Bankwesen zwar beschrieben wird, aber nicht
hinterfragt wird, inwiefern dies die – durchaus konstatierte - Ablehnung von
'Materialismus' 'des Abstrakten' etc. forcierte. Und der Hass auf Israel, der
als movens der islamistischen Bewegungen beschrieben werden muss, findet sich
höchstens in Nebensätzen wieder. Und genau deshalb – um den Bogen zu schließen –
kann das eingangs kritisierte Vorwort die breite Zustimmung, die die suizidalen
Massenmorde erfahren, nicht erfassen.
Anmerkungen:
(1) Aus diesen Medresen, den Deobandi –Schulen gingen dann die Taliban hervor
(2) A. Azzam zit. n. Kepel: S. 184. |