Die Zukunft jüdischer Gemeinden:
Bietet Zuwanderung eine Lösung?
Am 26. November 2002 lädt das Institut für Geschichte
der Juden in Österreich zur Buchpräsentation ein. Aus Anlass des
150jährigen Jubiläums des Statuts der Israelitischen Kultusgemeinde
Wien wird der Band "Jüdische Gemeinden/Kontinuitäten und Brüche"
vorgestellt. Dr. Ariel Muzicant wird mit einem/r Vertreter/in der
jüdischen Gemeinde Bratislava über Gegenwart und Zukunft jüdischen
Lebens in Europa diskutieren. Zwei Tage nach den österreichischen
Nationalratswahlen und der Neuwahl des Vorstands der Israelitischen
Kultusgemeinde Wien verspricht dies eine interessante Diskussion zu
werden.
Im Mittelpunkt des Buches, dem die Vorträge der
11. internationalen Sommerakademie des Instituts für Geschichte der
Juden in Österreich zugrunde liegen, steht die Frage, wie die
jüdischen Gemeinden die historischen Brüche des 20. Jahrhunderts
meistern. Die Gründung des Staats Israel, die Entkolonialisierung,
die kommunistische Herrschaft in Osteuropa und deren Fall stellten
und stellen für die Gemeinden bis heute immer wieder
Herausforderungen und Chancen dar. Die Auswirkungen waren in den
verschiedenen Ländern durchaus kontroversiell.
In Österreich bewirkte weder die langsame
Normalisierung der Beziehungen zur nichtjüdischen Umwelt seit den
1960er, besonders aber seit den achtziger Jahren, noch der
beachtliche Ausbau der jüdischen Infrastruktur eine wesentliche
Erstarkung der Gemeinden. Diese sind nach wie vor mit
Mitgliederschwund, bewirkt durch Abwanderung der Jugend und damit
verbundener Überalterung, konfrontiert. Die Frage, ob eine vermehrte
Zuwanderung eine zukunftsweisende Lösung bietet, wird in Wien und in
den anderen Bundesländern unterschiedlich beantwortet.
Diese Antworten werden mit den Erfahrungen, die in
Deutschland und Frankreich mit einer massiven jüdischen Zuwanderung
gemacht wurden, verglichen. Auch hier sind die Einschätzungen der
Auswirkungen nicht gleich. Sie weisen darauf hin, dass vor allem das
gesellschaftliche und politische Umfeld, in dem diese Gemeinden
wirken, sowie eine prinzipielle Bereitschaft zur Erneuerung für eine
erfolgreiche Integration und damit verbunden eine innere Erstarkung
oder gar Blüte entscheidend sind.
Wie wichtig Mitgliederzahlen für die Belebung
jüdischen Lebens sind, zeigen die Beiträge aus ehemals
kommunistischen Staaten. Allein in Ungarn, wo die Zahl der Juden auf
etwa 150.000 geschätzt wird, konnten Gemeinden in der Provinz
tatsächlich wieder gegründet werden. Die Bukowina kämpft nach wie
vor mit der schwierigen wirtschaftlichen Lage der Ukraine und der
Tatsache, dass die überwiegende Mehrheit der wenigen heute noch dort
lebenden Juden in anderen Teilen der ehemaligen Sowjetunion geboren
wurden. Daher haben diese Menschen keine Beziehung zu den alten
jüdischen Traditionen und konnten unter kommunistischer Herrschaft
auch keine eigenen entwickeln. In der neu gründeten Slowakei
versucht die kleine, aber aktive Gemeinde einen Beitrag zur
Herausbildung einer modernen slowakischen Identität, in der auch
Juden ihren Platz haben, zu leisten.
Auch in Österreich zeigt sich, dass von jüdischen
Gemeinden eine Öffnung erwartet wird, dass sie wichtige Mediatoren
im interkonfessionellen Dialog, aber auch im Kampf gegen
Antisemitismus und Rassismus sind. Dies sind Aufgaben, die weit über
eine Belebung jüdischen Lebens hinausgehen. Sie stellen gerade für
kleinere Gemeinden eine schwierige Herausforderung dar, zeigen aber
auch den zunehmenden Grad der Integration der Juden in die
Mehrheitsgesellschaft.
Einladung zur Buchpräsentation:
"Jüdische
Gemeinden/Kontinuitäten und Brüche" hrsg. von Eleonore Lappin,
Philo Verlag, Berlin, Wien, 2002
Am 26. November 2002 um 19 Uhr
im Gemeindezentrum der Israelitischen Kultusgemeinde Wien 1,
Seitenstettengasse 2
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19-11-02 |