
Peter Kessen:
Von der Kunst des Erbens
Die "Flick-Collection" und die Berliner Republik
Mit einem Vorwort von Micha Brumlik
Philo-Verlag Berlin/Wien 2004
Euro 12,90
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Ein teuer bezahltes und ödes Prestigeprojekt:
Die "Flick-Collection"
Rezension von Christian Saehrendt
Seit Spätsommer vergangenen Jahres residiert die
umstrittene Kunstsammlung des Multimillionärs Friedrich Christian Flick in
den Räumen der Berliner Nationalgalerie. Die Eröffnung der Ausstellung wurde
zum Triumph des Sammlers: Flankiert vom Bundeskanzler und vom Bürgermeister
der Stadt, glänzte er inmitten der jubelbereiten Lokalpresse und Berliner
High Society.
Hunderte von Polizisten waren aufgeboten, um die früher
gefürchteten Kreuzberger Autonomen vom Sturm aufs Buffet abzuhalten, indes
niemand erschien, um zu stören. Dieser vorläufige Triumph über Gegner und
Kritiker der Ausstellung sollte jedoch nicht davon abhalten, über die
Argumente der Streitenden nachzudenken, vor allem aber darüber, was diese
Ereignisse über die politische Kultur aussagen.
Es erscheint im Rückblick rätselhaft, warum sich eine so
überwältigende Koalition bilden mußte, um diese Ausstellung gegen die
wenigen Kritiker aus dem Feuilleton und der Jüdischen Gemeinde
durchzusetzen. Bundeskanzler Schröder, die Bundesbeauftragte für Kultur und
Medien, Staatsministerin Christina Weiss, der Regierende Bürgermeister
Wowereit, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz warfen sich für Flick in
Bresche. Offenbar hofften sie, im Nachgang zur erfolgreichen
MoMA-Gastausstellung das gestiegene Interesse an moderner Kunst ausnutzen zu
können. Der fast brachiale Einsatz dieser peinlich anmutenden Übermacht wird
jedenfalls noch lange einen üblen Nachgeschmack hinterlassen.
Die Kritik an Flicks Ausstellungsprojekt speist sich aus
zwei Quellen. Die historisch-moralische Argumentationslinie nimmt Friedrich
Christian Flick bei seinem mehrfach geäußerten Wort, er wolle "mit einem
Kunstmuseum den Namen Flick auf eine dauerhafte, positive Ebene stellen."
F.C. Flick verdankt sein Vermögen seinem Großvater, dem in Nürnberg
verurteilten Kriegsverbrecher Friedrich Flick. Letzterer verdiente sein Geld
auch durch den Einsatz von Zwangsarbeitern. F. C. Flick weigerte sich, als
Erbe in den Fond zur Entschädigung der Zwangsarbeiter einzuzahlen. Er wolle,
so der einleuchtende Argumentationsschluß, mit Hilfe von Kunstwerken die
Erinnerung an die NS-Vergangenheit seiner Familie und seines Vermögens
tilgen, betreibe somit eine offiziell sanktionierte moralische Geldwäsche.
Diese Argumentation war auch Grundlage der Proteste gegen F. C. Flicks
Pläne, sich in Zürich ein Museum zu bauen und gegen eine 'Probeausstellung'
im Münchner Haus der Kunst.
Eine andere, gut nachvollziehbare, Argumentationslinie
betrifft das Verhältnis von Staat und Sammler, von öffentlichen und privaten
Interessen. Um dies nachzuvollziehen, sei einer kleiner Exkurs gestattet: F.
C. Flick ist nicht nur Erbe eines Vermögens, das z. T. in der NS-Zeit und
unter NS-Bedingungen erwirtschaftet wurde, er ist auch ein prominenter
Steuerflüchtling, der der Bundesrepublik seit seinem Umzug ins
Schweizerische Gstaad etwa 125 Mio. € schuldet. Nach spektakulären Gewinnen
in Aktiengeschäften beauftragt Flick in der 1990er Jahren Kunsthändler wie
Rudolf Zwirner und Iwan Wirth mit Ankäufen für eine Sammlung. Innerhalb von
fünf Jahren läßt Flick 2.500 Kunstwerke im Wert von geschätzten 250 Mio. $
kaufen, nur etwa 10% davon bekommt er zu Gesicht, der Großteil bleibt im
Depot.
Dahinter steckt offenbar seine Überzeugung, daß moderne
Kunst langfristig renditestärker als Aktien sei. Moderne Kunst habe zwischen
1970 und 2000 etwa 15% Rendite erzielt, zitiert der Autor Kessen einen
Kunstmarktexperten der Dresdner Bank. Flick sei also eigentlich mehr
Kunsthändler als Sammler, während er der Presse vermittelt, er habe mit der
Liebe zur Kunst seinem Leben neuen Sinn gegeben. Der eigentliche Skandal
besteht nun darin, daß der Händler Flick die staatliche Nationalgalerie
ausnutzen kann, um seinen Werken eine Wertsteigerung zu ermöglichen.
Für die öffentliche Hand, also den steuerzahlenden Bürger,
entstehen durch die Flick-Ausstellung hohe Kosten: Leihgebühren,
Transportkosten, Kosten infolge der wechselnden Präsentationen und Baukosten
für Anbau und Verkehrsverbindung zur neuen Halle mit den Flick-Werken. Bis
zu 15 Mio. € muß die Stiftung Preußischer Kulturbesitz aufbringen. Diese
Summe muß bei anderen Ausstellungsprojekten, bei der wissenschaftlichen
Arbeit und bei Personalkosten eingespart werden: Sparen für den
Multimillionär Flick. Die Nationalgalerie bezahlt, befiehlt aber nicht:
Flick besitzt bei der Hängung der Werke ein Vetorecht, kann jederzeit Werke
entfernen, verkaufen, neue hinzufügen.
Diese Faktenlage zeigt, daß hier der Staat in jeder
Hinsicht über den Tisch gezogen wurde. Es ist ein schwacher Staat und eine
schwache, auf oberflächlichen Glamour versessene Stiftung Preußischer
Kulturbesitz, die die Interessen der Bürger schlecht vertreten. Der
vergleichende Blick auf Frankreich zeigt: Es wäre dort unmöglich, daß ein
Sammler ein staatliches Museum in seinen privaten "Darkroom" verwandeln
dürfte, so der Kunsthistoriker Werner Spieß, langjähriger Direktor des
Centre Pompidou.
Am Ende steht die Frage: War die Kunst, die Berlin jetzt
zu sehen bekommt, diesen Knebelvertrag wert? Man muß sagen: Nein. In der
Rieckhalle wird der Mainstream der 1990er präsentiert, wie er in jedem
mittelgroßen Kunstmuseum schon vertreten ist, die Ausstellung ist im Prinzip
überflüssig und langweilig. Ein teuer bezahltes und ödes Prestigeobjekt.
Peter Kessen hat in seiner gut lesbaren Darstellung noch
einmal nachgezeichnet, wie es zu diesem Skandal kommen konnte -
Diskurshistorikern wird sein Buch als ergiebige Quelle dienen können. Seine
wirtschaftshistorischen und familiengeschichtlichen Passagen über die Flicks
hat er wirkungsvoll kombiniert mit biographischen Texten über die ungarische
Jüdin Eva Fahidi, die 1944 für ein Flick-Unternehmen mörderische
Zwangsarbeit leisten mußte. Vor diesem Hintergrund scheint die dreiste
Geschichtsvergessenheit und Gernegroß-Mentalität von Flick und seinen
politischen Freunden besonders grell auf.
Christian Saehrendt ist
Lehrbeauftragter am Institut für Geschichte der Humboldt-Universität zu
Berlin, Lehrstuhl Prof. Dr. Winkler, mit dem Schwerpunkt:
Kunstgeschichte im sozialen und politischen Kontext. Seit 2000 arbeitet
er in Kooperation mit Universitäten und Forschungseinrichtungen an
Forschungsprojekten über politische Denkmäler, internationale
Kulturbeziehungen und die Künstlergruppe 'Brücke'. Aktuelles
Forschungsprojekt: Kunstausstellungen als Mittel auswärtiger
Kulturpolitik in der DDR und der Bundesrepublik. 1995-2000 Künstlerische
Arbeit im Rahmen der Gruppe "Neue
Anständigkeit" in Berlin.
Und neu erschienen:
Christian Saehrendt, Steen T. Kittl:
Das kann ich auch! Die Gebrauchsanweisung für moderne Kunst
DuMont Verlag 2007, 220 Seiten mit 50 Abb., Euro 14,95
hagalil.com
03-04-06 |