Klaus Briegleb: Missachtung und Tabu.
Eine Streitschrift zur Frage: "Wie antisemitisch war die Gruppe 47?"
Philo Verlag Berlin 2002
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"Missachtung und Tabu":
Die Shoah ausgeblendet
Wo hört Vergesslichkeit auf und
wo beginnt die Ignoranz? Am vergangenen Montag stellte Klaus Briegleb in
Hamburg seine umstrittene Studie zum Antisemitismus in der Gruppe 47 vor
Von Andrea Blechschmidt
Nur selten dringen
literaturwissenschaftliche Debatten über einen kleinen Kreis
philologisch Interessierter hinaus. Im Fall der jüngsten Publikation des
emeritierten Hamburger Literaturwissenschaftlers Klaus Briegleb ist das
anders. Seine Untersuchung Missachtung und Tabu. Eine
Streitschrift über die Frage: Wie antisemitisch war die Gruppe 47?
stieß auf gereizte Ablehnung im etablierten Feuilleton. Die betraf
allerdings weniger den Inhalt, als sie vielmehr auf die Person des
Autors zielte. Grund genug für Klaus Briegleb, am vergangenen Montag auf
Einladung der Heine-Buchhandlung sein Buch einer interessierten
Hamburger Öffentlichkeit vorzustellen.
Die Gruppe 47 war fraglos der
einflussreichste Zusammenschluss von LiteratInnen in Deutschland nach
1945, und ihre Mitglieder gelten bis heute als linke und
antifaschistisch orientierte Intellektuelle, Hans Werner Richter,
Günther Grass und Alfred Andersch als ihre bekanntesten Protagonisten.
Doch jenseits des öffentlichen Mythos, der in einem erheblichen Maße aus
der unkritischen Übernahme des stilisierten Selbstbildes der Gruppe
entstand, gibt es durchaus Beunruhigendes zur Kenntnis zu nehmen.
Es ist das Verdienst Brieglebs, diese Spur
mit dem Gang in die Archive aufgenommen zu haben. Mit der Präsentation
seiner Recherchen bringt er ins öffentliche Bewusstsein, dass auch die
Gruppe 47 "die Shoah ausblendete (...) und sie zur Tabuzone erklärte",
wie Briegleb notiert. Diese Missachtung, Desinteressiertheit und
Verdrängung sind ursächlich der sehr deutsche Kontext der
"Vergesslichkeit und der Ignoranz gegenüber Juden und Judentum nach
1945", den die Gruppe 47 Zeit ihres Bestehens pflegte. Objekte dieser
Ausgrenzungspolitik, die maßgeblich durch Hans-Werner Richter forciert
wurde, waren bedeutende jüdische Schriftsteller deutscher Sprache wie
Paul Celan, Wolfgang Hildesheimer, Hermann Kesten und Peter Weiss. So
beschied Richter beispielsweise: "Kesten ist Jude, und wo kommen wir
hin, wenn wir jetzt die Vergangenheit miteinander austragen..."
Trotz der scheinbar eindeutigen Sprache
"des" Archivs, möchte Briegleb auf seine Frage nach einem virulenten
Antisemitismus in der Gruppe 47 keineswegs vorschnelle Antworten
liefern. Briegleb eröffnet sein Buch jedenfalls mit der Feststellung,
den alten Vorwurf des Antisemitismus in der Gruppe 47 wolle er so nicht
wiederholen. Vielmehr versucht er zuerst, die Nichtthematisierung der
jüdisch-deutschen Differenz nach der Shoah innerhalb der Gruppe 47
nachzuzeichnen. Erst hieraus ergibt sich die Frage, in welchem
Verhältnis die Gruppe 47 zum deutschen Antisemitismus nach 1945 steht.
Denn gerade für eine offene Auseinandersetzung über den konkreten
Charakter und die Ausformung eines Antisemitismus nach 1945, in dessen
gesellschaftlichen Wirkungszusammenhang die Gruppe 47 steht, warb
Briegleb auf der gut besuchten Veranstaltung. Stereotype Etikettierung
würde da nur einmal mehr die immer noch ausstehende Auseinandersetzung
über Erinnerungsverweigerung und Verdrängung verdecken.
Eine Streitschrift nennt Briegleb selbst
sein Buch, und fraglos hat er damit den Widerstreit von kontroversen
Argumenten gewollt. Doch auf seine Intervention hin ist bis jetzt wenig
im Sinne einer Auseinandersetzung um die Sache passiert. Sollte es
wirklich so trivial sein, dass die ablehnende Rezeption im Wunsch nach
Verdrängung und Abwehr des Gegenstandes an sich zu suchen ist?
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