Gerd Wiegel,
Die Zukunft der Vergangenheit. Konservativer Geschichtsdiskurs und
kulturelle Hegemonie
PapyRossa Verlag Köln 2001
Euro 26,00
Bestellen? |
Konservativer
Geschichtsdiskurs:
Die Zukunft der Vergangenheit
Von Andrea Übelhack
Der große
britische Historiker Eric Hobsbawm sieht Historiker als Hauptproduzenten
des Rohmaterials, das zu Propaganda und Mythen umgewandelt wird.
"Jedenfalls beruht die Geschichte von großen - nationalen sonstigen -
Kollektiven nicht auf Erinnerungen der einfachen Leute, sondern auf dem,
was Historiker, Chronisten oder Altertumsforscher über die die
Vergangenheit geschrieben haben (...). Es ist sehr wichtig für
Historiker, sich daran immer wieder zu erinnern. Die Pflanzen, die wir
auf unseren Feldern anbauen, können sich am Ende als das Opium des
Volkes erweisen."
Setzt man einen
weitgehenden Einfluß von Wissenschaft im allgemeinen und Historikern im
besonderen auf die kollektiven Geschichts- und Vergangenheitsbilder
einer Gesellschaft voraus, muß man auch eine entscheidende Bedeutung für
das Bild der faschistischen Vergangenheit in Deutschland annehmen.
Historikern fällt damit besondere Bedeutung zu, "denn das Bewußtsein
der Vergangenheit ist eine entscheidende Prägung für die Zukunft."
Vor diesem Hintergrund
untersucht Gerd Wiegel in seiner Studie "Die Zukunft der Vergangenheit",
eingereicht als Dissertation im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften
und Philosophie an der Universität Marburg, die Wechselwirkungen von
wissenschaftlichem und öffentlichem Diskurs in Deutschland in Bezug auf
den Nationalsozialismus. Die Arbeit ist insofern eine orginäre
Darstellung, weil sie eine enge Beziehung zwischen Politik und
Wissenschaft verdeutlicht, die konsequent und erfrischend deutlich
nachgewiesen und erforscht wird.
Dabei stellt
Wiegel die Grundfragen:
"Läßt sich eine Verschiebung von einer
linksliberalen Deutungshegemonie, wie sie vor allem für die sechziger
und siebziger Jahre vorherrschend war, hin zu einer neokonservativen
Deutungshegemonie, die ihren Ausgang in den achtziger Jahren nahm,
behaupten? Und lassen sich diese Veränderungen als eine generelle
Verschiebung im hegemonialen Gefüge der Bundesrepublik bewerten?"
Das Buch ist in zwei
große Teile gegliedert, die Entwicklung der Faschismusforschung bis zur
deutschen Wiedervereinigung und die Tendenzen nach 1989/90. Um das Ende
vorweg zu nehmen, Wiegel geht von einer gravierenden Veränderung im
hegemonialen Gefüge der Bundesrepublik aus. Sein Fazit beleuchtet die
Verleihung des Konrad-Adenauer-Preises an Ernst Nolte im Jahr 2000 durch
die konservative Deutschland-Stiftung. Daß die Laudatio ausgerechnet
Horst Möller, Leiter des Instituts für Zeitgeschichte, hielt, schließt
für Wiegel "gewissermaßen der Kreis neokonservativer Geschichtspolitik".
Die
"geistig-moralische" Wende, von der neuen konservativen Regierung 1982
so postuliert, setzte schon ab Mitte der 70er Jahre ein, für
entscheidender und gefährlicher hält Wiegel aber die ökonomische Krise
der Zeit, Innere Absicherung gewann dadurch an neuer Bedeutung, und
damit einhergehend das wiedererwachte Interesse an nationaler
Geschichte. Die "geistig-moralische" Wende sollte eine Umorientierung
bringen, die den Herausforderungen der Zeit gewachsen ist. Die nationale
Frage wurde dabei gleich zweifach wichtig, nicht nur in Stoßrichtung
gegen die faschistische Vergangenheit, sondern auch gegen den anderen
deutschen Staat.
Wiegel analysiert
ausführlich und mit scharfer Beobachtung politische Handlungen, deren
Symbolcharakter entscheidend ist oder einen Tabubruch bedeutet. Die
Untersuchung umfaßt Kohls Auftritt vor den Vertriebenenverbänden, die
Uraufführung von "Der Müll, die Stadt und der Tod" und Kohls Besuch auf
dem Bitburger Soldatenfriedhof 1985. Die Versöhnungsgeste von Kohl und
Reagan an einem Friedhof, auf dem auch Angehörige der SS begraben sind,
und die anschließende Diskussion sieht Wiegel "als das wichtigste
politische Symbol für eine Neubewertung der faschistischen deutschen
Vergangenheit".
Einen wichtigen Teil
des Buches nimmt der Historikerstreit ein. Dabei untersucht Wiegel
jedoch nicht nur Ernst Nolte, dem er ein eigenes Kapitel widmet, sondern
auch die anderen Protagonisten. Nolte nimmt jedoch klar die
Führungsrolle ein. Neben der Frage nach der Einzigartigkeit der Shoah
behandelte der Historikerstreit aber auch Fragen zum Krieg, die sich vor
allem unter der sog. "Präventivkriegsthese" subsumieren lassen.
Insgesamt muß der Historikerstreit klar in der Tradition der
Blockkonfrontation gesehen werden. Trotz einer Niederlage im
intellektuellen Diskurs 1986, wertet Wiegel den Historikerstreit als
Erfolg für die Konservativen, da deren Thesen nachhaltigen Eingang ins
öffentliche Bewußtsein fanden.
Die
Faschismusdarstellung bei Nolte wird in einem gesonderten Kapitel
untersucht, das zwar keine neuen Ergebnisse vorstellt, aber durch eine
detaillierte und kompromißlose Entlarvung der Nolteschen Argumentation
überzeugt. Neben den bekannten Thesen Noltes, die den Faschismus als
Antimarxismus darstellen und Angst vor der Moderne als primäre Emotion
Hitlers postulieren, zeigt Wiegel weniger offensichtliche und trotzdem
entscheidende Punkte in Noltes Deutung des Faschismus und der Shoah auf.
Beispielsweise die Wortwahl: "Zur Schilderung bolschewistischer
Greueltaten benutzt Nolte ein ganzes Arsenal von Schreckensvokabeln:
"matern", "vernichten", "Annageln von Opfern", "Pfählungen",
"abschneiden von Ohren und Nasen", nichts wird ausgelassen, um den
unzivilisierten und eben "asiatischen" Charakter des Bolschewismus
herauszustellen." Die Shoah wird demgegenüber sprachlich völlig
emotionslos dargestellt, die Juden hätten beispielsweise in
Theresienstadt ein "erträgliches Dasein" geführt. Dem entspricht die
extreme Ausweitung des Begriffes "Genozid", die Nolte ermöglicht, auch
die alliierten Bombenangriffe als "Genozid" darzustellen.
Auch die Analyse der
Geschichtsdiskurse nach 1989 legt Wert auf detaillierte Untersuchung der
Protagonisten. Für den konservativer Wandel, der sich durch den
Zusammenbruch des Ostblockes extrem schnell durchsetzen konnte, spielt
die Presse eine große Rolle. Wiegel führt vor allem die Bedeutung des
Spiegels und seines Herausgebers Rudolf Augstein, der 1989/90 einen
aggressiven Nationalismus vertrat und erst kürzlich wieder in diese
Bresche einschlug, an. Doch auch andere Medien, wie beispielsweise der
Ullstein-Verlag, damals noch mit Cheflektor Rainer Zitelmann, weiteten
ihren Einfluß aus. Die Zeit schien gekommen, den Hegemonialanspruchs
Deutschland unterstreichen zu können und auch die ökonomische
Vormachtstellung der Bundesrepublik auszuweiten.
Neben den großen
öffentlichen Diskussionen um Goldhagen, Wehrmachtsausstellung und Martin
Walser, stellt Wiegel ausführlich neokonservative Tendenzen der
Faschismusforschung dar. Dabei wird deutlich, daß viele neuen Ansätze in
der Forschung, beispielsweise der Versuch, den Nationalsozialismus als
Revolution darzustellen, Tendenzen der NS-Sozialpolitik hervorzuheben
oder den Nationalsozialismus als Form der Modernisierung zu zeigen, dazu
dienen, den Nationalsozialismus in eine Kontinuität der europäischen und
deutschen Geschichte zu setzen, was letztendlich einer Verharmlosung des
NS-Regimes gleichkommt.
Gerd Wiegels Arbeit
ist insgesamt eine scharfe und erfrischend deutliche Analyse des
Geschichtsdiskurses in Deutschland, die die Verbindung von
wissenschaftlichem Diskurs und Politik analysiert und konservatives
Gedankengut hervorhebt. Gerade die politischen Reaktionen auf
wissenschaftliche und öffentliche Diskussionen geben über deren
Intentionen Auskunft. So wie es auch im Fall der
Walser-Bubis-Auseinandersetzung war. Denn schließlich wurde Walser in
der Paulskirche keineswegs ausgebuht, sondern sogar noch in Schutz
genommen: "So scheint es, als wenn auch die neue Generation der Berliner
Republik die faschistische Vergangenheit nur als nationale Last
wahrnehmen kann, der man sich zu entledigen hat, so gut es geht, um dem
neuen Jahrhundert ohne "Lasten" entgegengehen zu können."
|