Rafik Schami,
"Mit fremden
Augen. Tagebuch über den 11. September und den Palästinakonflikt".
Palmyros Verlag 2002, 148 Seiten,
Euro 19,90
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"Man muss die Zeit in Arabien in zwei
Epochen aufteilen: in die Zeit vor und die Zeit nach der Gründung von
al-Dschasira. Früher war der Informationsstand eines Arabers, der sich
vierundzwanzig Stunden täglich von einem arabischen Sender berieseln
ließ, gleich dem eines Gefangenen, der in derselben Zeit die Wand seiner
Zelle angestarrt hat. Heute kann man dank al-Dschasira jedem
europäischen Zuschauer die Stirn bieten", notiert Rafik Schami in sein
Tagebuch. Dieses Tagebuch über den 11. September, den Palästinakonflikt
und die arabische Welt hat der Schriftsteller, der seit über 30 Jahren
in Deutschland lebt, im Zeitraum von Oktober 2001 bis Mai 2002 verfasst.
Es sind Beobachtungen eines aufmerksamen Exilanten,
Gedanken eines kritischen Arabers und Empfindungen eines Betroffenen. Es
ist eine bunte Mischung aus persönlichen, politischen und nachdenklichen
Impressionen. Es ist auch der Blick eines in Deutschland lebenden
Intellektuellen - geboren in Damaskus - auf die arabische Welt, der
seine Seelenverwandtschaft, seine Trauer und sein Mitgefühl für eine
rastlose Krisenregion nicht verrät. "Der Palästinakonflikt ist nicht
irgendein Konflikt. Er ist die Wunde, die mein Leben schmerzhaft
begleitet und prägt. Und so wie jeder Araber ein Stück Wüste mit sich
trägt, tragen viele Araber und Juden diese Wunde mit sich", schreibt
Schami.
Er kritisiert die fehlende Selbstkritik, den dummen
Antisemitismus, die paternalistische Diktaturgläubigkeit der Araber
genauso wie die Demütigung der Palästinenser durch westliche Poltiker
oder die scheinbare Toleranz von selbst ernannten Nahostexperten in den
hiesigen Medien. "Da sie schwach auf der Brust sind, befragen sie extrem
rechte Israelis nach deren Meinung über den Islam. Herrlicher
Journalismus!" Rafik Schami polemisiert, kritisiert, leidet an der
Gewalt zwischen Israel und Palästinensern, trauert um die
traumatisierten Kinder. Er hört nicht auf, für zwei Staaten und
nachsichtige Geduld auf beiden Seiten zu plädieren. "Erst wenn die
Araber begreifen, dass sie ehrlich und von Grund auf radikal gegen jede
Art von Rassismus und Antisemitismus auftreten sollten, […], haben sie
einen ersten unentbehrlichen Schritt auf dem langen Weg in eine
friedliche Zukunft gemacht."
Rafik Schami baut Brücken zur arabischen Welt, die
seit dem Irakkrieg nun wieder von unzähligen Nahostexperten auf dem
Bildschirm zerpflückt und erklärt wird. "Der Unterschied zwischen einem
Intellektuellen und eine unbelesenem Schwätzer besteht darin, dass es
bei Ersterem eine feste Brücke zwischen seiner Zunge, seinem Herzen und
seinem Kopf gibt", meint Schami. "Beim Schwätzer sind Herz, Zunge und
Hirn voneinander abgekoppelt." Rafik Schami jedenfalls trägt im
Gegensatz zu vielen vor Selbstgewissheit strotzenden Experten das Herz
auf der Zunge. Möge ihm eine so legendäre Auflage beschieden sein, wie
es Oriana Falaci mit ihrem hasserfüllten Pamphlet gegen die arabische
Welt nach dem 11. September vergönnt war. Sein Buch hätte es verdient.
Natürlich ist es unspektakulärer, dafür konstruktiv, klug, emphatisch,
nahe dran und sehr empfehlenswert.
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