Christoph Lind:
"Der letzte Jude hat den Tempel verlassen"
Juden in Niederösterreich 1938 – 1945
Mandelbaum Verlag Wien 2004
Euro 24,90
Bestellen? |
"Der letzte Jude hat den Tempel verlassen":
Juden in Niederösterreich 1938 – 1945
Rezension von Karl Pfeifer
Lange hat es gedauert, bis diese Geschichte der Juden
in Niederösterreich 1938 – 1945 vom engagierten Wiener Mandelbaumverlag
publiziert wurde.
Martha Keil schreibt in ihrem Vorwort: "Auf den Kopf
gestellt, erscheint der chronologisch vierte und letzte Band der Reihe als
erster: die vorliegende Arbeit von Christoph Lind, welche die Vernichtung
dieser bedeutenden niederösterreichischen Bevölkerungsgruppe darstellt.
Vielleicht macht gerade diese Diskrepanz derart betroffen: eine
Erfolgsgeschichte von hoffnungsvoller Einwanderung, enormen Fleiß und
Unternehmungsgeist, gelungener Etablierung, Akkulturation, aber auch
Eigenständigkeit von Religion und Kultur und andererseits Ausgrenzung,
Feindseligkeit bis zur beinahe restlosen Auslöschung."
Im Jahr 1938 gab es in Niederösterreich 15 jüdische
Gemeinden. Zwischen März 1938 und Mai 1940 wurden alle diese Gemeinden nach
und nach aufgelöst, die Mitglieder vertrieben beziehungsweise deportiert und
umgebracht. Viele der 15 Städte "arisierten" Synagogen, Friedhöfe und
sonstigen Gemeindebesitz. Die NS-Behörden lösten die jüdischen Vereine auf
und zogen das Vermögen ein. Während des Novemberpogroms schändeten
Niederösterreicher (Einwohner des damaligen Gau Niederdonau) Synagogen,
Bethäuser und Friedhöfe. 1940 war das Land im Wesentlichen "judenrein", und
lediglich Jüdinnen und Juden in privilegierten "Mischehen" sowie ganz wenige
so genannte "U-Boote" im Untergrund überlebten.
Im Zug des Anschlusspogroms mussten die Badner Juden
aufgemalte Parolen der Vaterländischen Front von den Straßen waschen. Die
"Wienerwald-Rundschau" berichtete am 10. April 1938: "Juden räumen
'Vaterländischen' Dreck weg. Am Samstag wurden die Juden Zimmer, Eisen,
Steinsberg, Breuer, Smetana, Baumsteiger abgeholt, mit Kübel, Bürsten,
Laugenessenz, ging es zur Arbeit, den vaterl. Schmutz am Pfarrplatz,
Frauengasse, Vöslauerstraße vom Asphaltpflaster wegzuputzen. Hunderte sahen
diesem Schauspiel zu, sogar Verkehrsstockungen traten ein. Leider gab es
auch einige Christen, die Mitleid hatten. Wie aber die Nationalsozialisten
bei jeder Kleinigkeit unter Schuschniggs Herrschaft herangezogen wurden, da
freute sich das Judentum herzlichst."
Dies lesend erinnerte ich mich an die Angst meiner Eltern,
auch abgeholt zu werden. Dieses Kapitel der Niedertracht, Grausamkeit und
Gewalt wird mit diesem Buch Christoph Linds hoffentlich in die
österreichische und insbesondere niederösterreichische Geschichte
integriert.
Heute gibt es in Niederösterreich nur eine jüdische
Gemeinde in meiner Heimatstadt Baden bei Wien.
hagalil.com
01-06-05 |