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Keil, Martha (Hg.):
Von Baronen und Branntweinern
Ein jüdischer Friedhof erzählt

Fotos von Daniel Kaldori
Mandelbaum Verlag 2007
Euro 24,90

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Im Buch verewigt:
Jüdischer Friedhof Währing

Von Alexandra Bader, CeiberWeiber

In Währing an der Grenze zu Döbling kann man einen Park durchqueren und plötzlich einen Friedhof sehen, der von Wohnhäusern umgeben ist. Dies ist der Jüdische Friedhof, welcher von jenem Friedhof übriggeblieben ist, der nun als Park dient. Der Währinger Jüdische Friedhof wurde ab 1784 bis etwa 1880 verwendet, da in dieser Zeit die Friedhöfe aus den Wiener Innenstadtbezirken verlagert wurden. Zuvor bestatteten die Juden der Stadt ihre Toten im neunten Bezirk Alsergrund (und danach auf dem Zentralfriedhof).

Während jüdische Gräber durchaus Vergänglichkeit zeigen sollen und traditionell nicht mit Blumen geschmückt werden, sollten sie nicht durch Überwucherung und umgestürzte Bäume verwahrlosen. Dies ist jedoch Realität bei vielen nicht mehr genutzten jüdischen Friedhöfen in Europa, um deren Pflege sich nach dem Holocaust nur wenige kümmern können, deren Zahl in keinem Verhältnis steht zur Summe an Gräbern, die zu betreuen wären. Österreich hat sich im Washingtoner Übereinkommen zur Restitution von 2001 verpflichtet, jüdische Friedhöfe zu sanieren, eben weil es daran beteiligt war, dass die Gemeinden heute zu klein sind, um solchen Aufgaben gewachsen zu sein.

Buchvorstellung im Jüdischen Museum

Freilich merkt man von dieser Verpflichtung sowohl am Zentralfriedhof (wo nach 1945 nur wenige Juden in der israelitischen Abteilung bestattet wurden, während anschließend an das Areal des überkonfessionellen Friedhofs ein neuer entstand) als auch erst recht beim Währinger Friedhof wenig. Bei diesem kann es auch nicht so auffallen, in welchem Zustand er sich befindet, da er mittlerweile unter anderem wegen Vandalismus nur mehr bei Führungen zugänglich ist. Somit sehen fast nur die BewohnerInnen der umliegenden Häuser, dass viele Grabsteine umgestürzt sind und überwuchert wurden oder dass Bäume im Sturm umfielen und Steine umwarfen.

Dies kann sich ändern, da nun ein schönes und informatives Buch ("Von Baronen und Branntweinern") des engagierten Mandelbaum-Verlags dem Jüdischen Friedhof Währing gewidmet ist. Am 30. Mai 2007 wurde es im Jüdischen Museum Wien vorgestellt, wobei die Fotos von Daniel Kaldori untermalt von klassischer Musik auf die Leinwand projeziert wurden. Dazu gab Autorin Martha Keil Erläuterungen, wobei sie ZeitzeugInnen von einst zu Wort kommen ließ - Menschen, die Lebenserinnerungen aufschrieben und selbst eine Beziehung zum Währinger Friedhof hatten oder andere erwähnten, die dort ihre letzte Ruhe fanden. Diese Personen werden auch im Buch zitiert, wobei ihre Texte meist bereits zuvor veröffentlicht wurden.

Anders verhielt es sich beim Tagebuch des Bernhard Benjamin Kewall (zuerst Lehrer, dann Journalist), der die Revolutionszeit 1848 beschrieb. Es wurde 2003 auf einer ländlichen Müllhalde gefunden, zusammen mit anderen Bänden, die leider nicht gerettet wurden. Es stellte sich heraus, dass es ein Tagebuch in hebräischer Schrift, aber auf Deutsch verfaßt darstellt, was die Übertragung nicht einfach machte, da das hebräische Alphabet mit unserem nicht identisch ist. Die Erinnerungen von Julius Oppenheimer, Wilhelm Ritter von Gutmann, Felicie Ewart, Moritz Güdemann, Jakob Ludwig Heller und Raphael König zeigen, wie die jüdische Bevölkerung Wiens zu Zeiten des Währinger Friedhofes lebte.

Manch ein Mann kam aus ärmeren Verhältnissen und schaffte es doch, im Alter wohlhabend auf sein Leben zurückzublicken und hierbei auch auf Wohltätiges etwa in der Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiter. Einiges klingt auch heute nicht selbstverständlich wie die Ansicht, dass Arme ein Recht auf Fürsorge hätten, die keine Gnade seitens der Reichen und kein Almosen sei. Frauen hatten, auch das spiegeln die Berichte wieder, das eigene Heim als Aufgabenbereich, wozu besonders bei älteren oder kinderlosen Frauen karitatives Engagement kam. DIese unterschiedlichen Lebenswelten zeigen sich auch bei den bislang entzifferten Grabsteinen, deren Inschriften entweder Hebräisch oder Hebräisch-Deutsch gemischt oder Deutsch sind.

Männergrabsteine zeugen von geplanten Lebenswegen und dem, was dazwischenkommen und auch geografisch woanders hinführen kann. So wird eines Rabbiners aus Sofia mit Worten gedacht wie "Hier ruht ein Mann, der an den Unbillen der Zeit litt". Ein Advokat wird als "wackerer Streiter im Dienste des Rechts" geehrt, der zu früh, da mit 45 Jahren verstarb. Bei Frauen wird gefühlsbetont vorgegangen, man beschreibt sie als "tüchtig, angesehen, gottesfürchtig, züchtig". Beliebte Formulierungen in jener Zeit fehlten wohl auch auf anderen Grabsteinen nicht wie "sie war die Krone ihres Mannes". Einer 29jährigen, die schwanger verstarb, wurde ein Gedicht gewidmet, da sie "im Jugendschmuck voll Herzensblüte" starb, sich aber mit der Schwangerschaft den größten Wunsch erfüllte.

Neben relativ jung verstorbenen Erwachsenen gibt es auch einige Kindergräber, berichtet Martha Keil. Inschriften zeigen nicht nur, wie angesehen jemand bei seinen Mitmenschen war, sie hängen wohl auch von finanziellen Möglichkeiten ab, etwa wenn sich eine Mutter mit Kindern nur kurz vom Ehemann mit einem Grabspruch "verabschiedet". Soziale Unterschiede gab es auf dem Währinger Friedhof in der Grabgestaltung, nicht aber in der Tatsache, dort bestattet zu sein. Anders als andere Gemeinden schlossen die Juden Selbstmörder nicht von der Bestattung innerhalb der Friedhofsmauern aus - und davon gab es besonders um den Börsenkrach 1873 doch einige zu beklagen.

Nach der Schließung 1880 war der Friedhof besonders bei der Wiener Vogelwelt beliebt (während die Juden ihre Toten auf dem Zentralfriedhof bestatteten, der so gross angelegt wurde, dass er auch heute noch in Verwendung ist). 1903 wollte die Kultusgemeinde einen Park aus dem Friedhof machen, ließ Wege anlegen und Sträucher pflanzen. Damals wurden die Gräber in 8.694 Abschriften in alphabetischer Reihenfolge erfasst, die heute in den Central Archives of the Jewish People in Jerusalem aufbewahrt werden. Danach wurde es wieder ruhig um den Friedhof, der vor allem die Aufmerksamkeit von Vogelkundlern verbuchte. In der NS-Zeit sollten 1942 alle jüdischen Friedhöfe Wiens aufgelassen werden, der Währinger Friedhof allerdings rechtzeitig in ein Vogelschutzgebiet umgewidmet. Der Bestand des Friedhofes war dem Archivar der Kultusgemeinde, Leopold Moses, bis zuletzt ein Anliegen, ist doch ein Manuskript vom ihm erhalten über die Gräberinschriften, das er vor seiner Deportation nach Auschwitz verfaßte, wo er 1943 umkam.

Die Umwidmung des Areals bewahrte den Friedhof zwar vor der Zerstörung, nicht aber vor Grabschändungen, bei denen gezielt bestimmte jüdische Familien exhumiert wurden, um rassenideologischen "Forschungen" der Nazis zu dienen. Die Rassenanthropologie der Nazis wollte beweisen, dass erfolgreiche jüdische Familien degenerieren, indem sie von Generation zu Generation schwächere Knochen haben. Besonders fatal war jedoch das Ausheben eines Löschteichs wegen der Bombenangriffe auf Wien, der ausgerechnet so erfolgte, dass 2000 Gräber zerstört wurden. Die Kultusgemeinde konnte während der Arbeit der Bagger unter Lebensgefahr die Knochen bergen und sie in einem Sammelgrab am Zentralfriedhof erneut bestatten. Die 220 exhumierten Leichen, an denen kriegsbedingt nicht mehr "geforscht" werden konnte, wurden im Naturhistorischen Museum aufbewahrt und 1947 der Kultusgemeinde übergeben, die sie in einem Masengrab an Zentralfriedhof beisetzte.

hagalil.com 27-06-07











 

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