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Mirjam Wilhelm:
Der Mann, mit dem ich fortging
Lübbe 2004
Euro 7,90

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"Der Mann, mit dem ich fortging":
Chronik einer Annäherung

Eine Deutsche flieht vor dem Gleichmaß des arrangierten Lebens, nach Israel, zu einem Fremden, zu sich selbst – eine leidenschaftliche Spurensuche in Zeiten des Terrors

Von Viola Keeve

"In der Liebe suchen die meisten ewige Heimat. Andere, sehr wenige aber, das ewige Reisen", schrieb Literaturkritiker und Schriftsteller Walter Benjamin. Wenn im Innern Leere herrscht, ein Ungenügen an dem, was man ist, bisher war, bricht sie um so heftiger herein. Jedenfalls ist das bei der 35-jährigen Lisa so, verheiratet mit einem Hochschullehrer, erfolgreich als Sachbuchautorin, mit Altbauwohnung in Hamburg-Harvestehude – einer Frau, die scheinbar alles hat, und
doch nichts besitzt.


"Ich glaubte, ich sei eine glückliche Frau", beginnt der Roman. Lisa ist eine moderne Spießerin, hat noch nie einen Termin versäumt, preußisch diszipliniert Bücher verfasst, keine Zeit vertrödelt mit Unnützem. Sie nennt sich selbst eine "Gallionsfigur der Anpassung", die ihrem linksliberalen Elternhaus in der Pfalz als Revolte nur bürgerlichen Karrierismus entgegensetzen kann. Ihr Leben, heißt es, "zerfloss in stetigen Bahnen, kein Sturzbach, kein Rinnsal, ein stilles, klares Wasser", auf dem sie "immer sorgsam oben trieb".

Flucht in die eigene Vergangenheit

Das Letzte, was ihr in den Sinn kommt, ist ein Ausbruch aus dem Gleichmaß des arrangierten Lebens. Die Liebe als ewiges Reisen entdeckt sie ausgerechnet an einem Abend und einer Nacht in München zwischen
Weißbier, Brezen, Schlachthöfen, Frösteln, Morgenmüdigkeit und Kehrmaschinen in Schwabing, als sie auf einem Kongress dem Israeli Daniel begegnet. Hals über Kopf verlässt sie alles, fliegt sie mit ihm nach Tel Aviv – unbewusst in ihr eigenes Land. Denn dort findet Lisa heraus: Sie ist Jüdin.

"Der Mann, mit dem ich fortging" ist Mirjam Wilhelms dritter Roman nach dem Kunst-Krimi "Bildersturm" (Eichborn) und dem historischen Roman "Die Theaterprinzessin" (Aufbau). Es ist ein Liebesroman und eine Reiseerzählung, vor allem aber die Aufzeichnung einer zögerlich-irritierten Annäherung ans Jüdischsein – eine leidenschaftliche Spurensuche in Zeiten des Terrors.

Da ist einerseits der israelische Mann, der Lisa fasziniert, bis zum Ende auch für den Leser ein Fremder bleibt, ein Schweiger. Daniel ist nicht wie ihr Mann höflich, verständnisvoll, sanft und redselig. Das Umkreisen der Wahrheit mit Worten bedeutet für sie Sicherheit: "Was sich benennen lässt, kann nicht erschrecken."

Mit Daniel ist Liebe, Sexualität anders, "kein berechenbares Geschaukel", sondern Gebet, Krankheit, Krieg und Versprechen, die große Suche, ein unverstandener Gleichklang. "Wenn man beschert ist, wird man sich immer finden", sagt er.

Und dann ist da noch Israel, das sie mit ihm entdeckt, ein seltenes, seltsames, blutgetränktes Stück Erde: "So viele Extreme. So kleine Entfernungen. Und so viel Einfluss auf die ganze Welt". Es ist ein Ort, an dem es keine Zeit für Trauer gibt, nur das Dennoch, das Weiterbestehen - allem Terror zum Trotz. "Gegen all diesen Tod", sagt Daniel, "kann man nur das Leben setzen." Darauf stoße man hier an: "L'Chaim! Auf das Leben!"

Die große Kraft des Romans liegt in den poetisch-präzisen, staunenden Beschreibungen einer fremden Welt. Auf Schritt und Tritt folgt man den Protagonisten der 36-jährigen Autorin nach Tel Aviv, Jaffa, Jerusalem, Mea Shearim, zum Toten Meer und nach Ein Gedi, in die berühmte Oase, in der David vor Saul Zuflucht suchte, vom das Hohelied im Alten Testament als Ort großer Schönheit beschrieben, sieht Haifa, Qumran und Masada vor sich – als sei man selbst vor Ort.

Es ist oft die Schlichtheit der Sprache, die bannt: Die Wüste am Toten Meer beschreibt die Autorin als eine "verbrannte, nackte, grandiose Weite unter hohem, weiten Himmel", hier weht ein "mythischer Wind, dieses Brausen der Wüste Juda, der Klang der Ewigkeit". Und Tel Aviv scheint wie "Stein gewordenes Leben. Ein weiter Lichterglanz bis zum Horizont, funkelnde Metropole im Mittelmeer, ein kleiner Abglanz von New York, sehr westlich, aber sehr viel wärmer."

In dieser Landschaft bricht für die Romanheldin alles auseinander. "Traumverloren" ist sie, "aus dem Leben gefallen wie ein Vogel aus seinem Nest". Daran ist nicht nur ihre neue Liebe schuld, sondern die Flucht vor der Vergangenheit, die sie hier einholt. "Ich merkte, dass mir kalt wurde. Jüdisch? Jüdisch waren immer die anderen. Jüdisch, das war nicht normal, irgendwie", heißt es.

Jüdisch, das war eine Wunde

Spanisch, Französisch, das hätte sich in Hamburgs Intellektuellenkreisen gut gemacht, denkt Lisa, aber Jüdisch? "Das sagt man nicht lässig dahin. Vielleicht sagt man es gar nicht. Denn Jüdisch, das war eine Wunde." Als sie ihrer kranken Großmutter in Speyer schließlich am Telefon erklärt, sie werde jüdische Kinder bekommen, hört sie nur wütendes Schnaufen: "Ich sag dir eins: Das ist doch so bedroht!"

Statt Freude erntet sie eine herbe Warnung: "Heute denkst du vielleicht, dass du sicher bist. Weil die Menschen aufgeklärt sind, weil es Israel gibt. Aber hör mir gut zu, Lisa:… Morgen können sie Israel von der Landkarte wischen. Und dann erzähl du mal der Welt, dass deine Kinder jüdisch sind. Erzähl das der Welt und schau was passiert." Der Rat der alten Frau ist unmissverständlich: "Behalt es für Dich, sag niemals ein Wort, und du weißt trotzdem, wer du bist."

Am Ende hat die Romanheldin das Unberührbare, den blinden Fleck, die Leerstelle ihres Lebens, um die sie kreiste, in etwas sehr Sichtbares verwandelt. Man kann den Schluß gewollt und kitschig finden, zum Genre paßt es in jedem Fall, oder
aber zwingend, als symbolisch verstandenen Wunsch, den man für Israel als Land, als Idee, als Hoffnung, aller Gewalt, aller Zerstörung zum Trotz, in jeder Sekunde aufbringt: "L'Chaim! Auf das Leben!"

hagalil.com 19-11-04











 

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