Maurice Philip Remy,
Mythos
Rommel
Listverlag 2002
Euro 22,00
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Ich habe
alle Gründe, optimistisch zu sein, obwohl die Welt rund um mich in
Verzweiflung gerät. Einer der Gründe ist mit Erwin Rommel verbunden, dem
Held dieses Buches, das ich mit angehaltenem Atem las. Im Frühling 1942,
als der Jishuv, die vorstaatliche jüdische Gemeinschaft in Palästina, am
Rande der Zerstörung stand, musste man nur einen Blick auf die Landkarte
werfen, um zu begreifen, dass die Deutschen in wenigen Tagen hier sein
werden. Die Armeen Adolf Hitlers bewegten sich von drei Seiten auf uns
zu. Es war glasklar, dass sie sich in Palästina vereinigen würden.
Im Norden bewegte sich die
furchterregende deutsche Kriegsmaschine auf den Nahen Osten zu. Sie
hatte bereits den Kaukasus erreicht. Von dort war der Weg nicht mehr
weit: Türkei, Syrien, Palästina. Ein Jahr vorher waren deutsche Soldaten
mit Fallschirmen auf Kreta gelandet. Noch ein Sprung und die Truppen
landen in Palästina.
Die größte Bedrohung war
sogar noch näher: Rommel, der deutsche General – schon bei Lebzeiten
eine Legende – stieß von Libyen nach Osten vor und drang in Ägypten ein.
Seine Leute erreichten El-Alamein, ein paar Dutzend Kilometer westlich
von Alexandria. Es war keine Frage, dass er auf den Suezkanal zusteuerte
– und dann Palästina.
Die Briten schauten sich
die Karte genau an. Sie sandten ihre Familien aus Palästina in den Irak
und sogar hohe Offiziere packten ihre Koffer. Die britische Armee war
drauf und dran, sich in Panik zurückzuziehen, und war sogar bereit, die
Juden mit Waffen zu versehen, damit sie die Deutschen nach der Eroberung
auch hinter den Linien bekämpfen können. Die Führer des Jishuv waren
überzeugt, dass alles verloren wäre. Das Haganah-Hauptquartier stellte
verzweifelt einen Plan zusammen für ein "Zweites Massada" auf der Spitze
des Karmel. Jüdische Jugendliche bereiteten sich darauf vor, sich selbst
bis zum letzten Tropfen Blut zu verteidigen. Keiner glaubte, dass die
Juden in der Lage wären, dem berühmten Deutschen Afrika-Corps stand zu
halten. Aber sie könnten wenigstens einen hohen Preis verlangen und ihre
nationale Ehre gegenüber den zukünftigen Generationen verteidigen.
Der Rest ist Geschichte:
Ein großes Wunder geschah. Die Deutschen wurden in Stalingrad besiegt
und auf dem Weg zum Kaukasus gestoppt. Fallschirmspringer wurden nicht
von Kreta aus eingeflogen. Rommels Armee kam bei El-Alamein zum
Stillstand und zog sich an der afrikanischen Küste bis Tunis zurück, wo
sie eine verheerende Niederlage erlitt.
Nach dem Krieg, als die
deutschen Dokumente ans Licht kamen, kam heraus, dass es sich nicht um
ein Wunder handelte. Die Gefahr bestand nie. Die deutschen Truppen, die
den Kaukasus erreichten, waren erschöpft und unfähig, noch einen
weiteren Schritt zu machen. Von da ab ging es nur noch rückwärts bis
Berlin. Der deutsche Generalsstab erkannte, dass die Landung auf Kreta
ein Mißerfolg war und starteten nie wieder eine Invasion aus der Luft.
(Die einzige andere Operation dieser Art, die von den Briten in Holland
ausgeführt wurde, war auch ein Fiasko)
Und am wichtigsten: Rommel
erreichte El-Alamein mit dem letzten Tropfen Treibstoff. Seine wenigen
übrig gebliebenen Panzer waren in ihren Spuren stecken geblieben. Die
Briten hatten seine Nachschublinien übers Meer völlig abgeschnitten, und
das, was auf dem Luftweg ankam, war nicht der Rede wert. Die Panzer,
Kanonen und Flugzeuge, die es noch gab, genügten nicht einmal zu
Verteidigung.
Es war damals, als ich eine
lebenslange Entscheidung traf: Selbst wenn die Situation äußerst
hoffnungslos aussieht, mag sie es in Wirklichkeit nicht sein. Wir sehen
nur, was an der Oberfläche geschieht. Die Realität ist viel
komplizierter als das, was das Auge wahrnimmt – und in der Stunde Null
finden die wichtigsten Faktoren einen Weg, uns auszuweichen. Diese
Entscheidung fand ein paar Jahre später ihre Bestätigung. Als der
Unabhängigkeitskrieg ausbrach, sahen die Dinge sehr trübe aus. Wir
fühlten uns bei weitem unterlegen und stellten uns vor, dass ein zweiter
Holocaust vor uns liegt.
Heute wissen wir, dass
Israel in allen Etappen des Krieges die Übermacht hatte. Die
Palästinenser waren unbewaffnet und unorganisiert und hatten keine
Führung. Ägypten hatte nie vor, weiter als bis Ashdod vorzurücken, und
die arabischen Regierungen kämpften hauptsächlich gegeneinander.
Vor ein paar Wochen wurde in Deutschland das Buch "Der Mythos Rommel"
(von Maurice Philip Remy) im List-Verlag veröffentlicht. Es enthält eine
Menge von neu entdecktem Material aus Nazi-Archiven, sowie von neuen
Augenzeugen. Es wirft auch ein Licht auf die Zeit, in der Deutschlands
"Wüstenfuchs", unter dessen Namen Rommel bekannt war, ein untrennbarer
Teil unseres Lebens (in Israel) wurde.
Es stellt sich heraus, dass
Rommel wirklich eine riesige Zangenbewegung geplant hatte. Er
beabsichtigte, zum Suezkanal vorzudringen, über Palästina in den Irak
einzufallen und sich mit den von Südrussland kommenden Divisionen zu
vereinigen. Zu jener Zeit schien es noch ziemlich möglich, unter der
Bedingung, dass er den erforderlichen Nachschub erhielt. Zum Glück für
uns: er erhielt ihn nicht. Es stimmt, Hitler träumte auch von solch
einem Manöver, aber er hatte Nordafrika keine große Bedeutung
zugemessen. Er war mit der Russlandfront zu sehr beschäftigt. Palästina
kann warten – und so kam es, dass wir gerettet wurden.
Dieses neue Buch ist ein
Versuch, Rommel zu portraitieren, wie er wirklich war. Bis heute gehen
die Meinungen über ihn auseinander. Seine Bewunderer – nicht nur in
Deutschland – betrachten in als einen echten Helden, einen glänzenden
General, einen moralisch einwandfreien Mann und einen vortrefflichen
Soldaten, der sich mit den Verbrechen der Nazis nicht beschmutzt hat.
Andere denunzierten ihn als Hitlers Liebling, einen loyalen
Nazi-Kollaborateur, einen Offizier, der seiner verbrecherischen
Regierung fast bis zum bitteren Ende diente.
Beide Portraits sind
richtig. Der Autor sieht aufrichtig auf beide Seiten der Münze. Hitler
liebte Rommel und förderte ihn in schwindelerregender Weise, während
Rommel den Führer bewunderte und sklavisch seine Befehle ausführte,
obwohl er kein Nazi war. Aber in dem Augenblick als er davon überzeugt
war, dass Hitler Deutschland zerstören würde, wandte er sich ab und
schloss sich dem Widerstand an, wofür er mit dem Leben büßte. Hitler
schreckte nicht davor zurück, einen beliebten Feldmarschall vor Gericht
zu bringen. Er stellte ihn vor die Wahl: Begehe Selbstmord und du
erhältst ein Staatsbegräbnis – oder du wirst umgebracht und gefährdest
so deine Frau und deinen Sohn. Rommel nahm Gift. Die Ursache des Todes
wurde auf dem Totenschein als Herzschlag bezeichnet.
Eines der wichtigsten
Enthüllungen dieses Buches hat mit diesem letzten Akt des Aufruhrs zu
tun. Rommel wusste von der Verschwörung gegen Hitler, an der Dutzende
von Spitzengenerälen teil nahmen. Er war nicht begeistert von der Idee
des Mordes an Hitler, aber er stellte sich auch nicht gegen den Plan
oder wurde zum Verräter. Dies kostete ihn das Leben, als der Mordversuch
am 20. Juli 1944 scheiterte.
Das Buch enthüllt, dass
Rommel dabei war, einen beispiellosen historischen Akt auszuführen. Er
entschloss sich, Hitler um den Rücktritt zu bitten, damit Deutschland
mit Großbritannien und den USA einen separaten Frieden schließen kann.
Falls der Führer – wie erwartet - sich weigerte, würde Rommel in
Frankreich einen Befehl der Waffenruhe erteilen und die Front dem
englisch-amerikanischen Heer öffnen, um ihm die Möglichkeit zu geben,
Deutschland im Sturm zu nehmen und Berlin zu erreichen, bevor die Russen
dort ankommen.
Als alles bereit war –
Rommel hatte schon seine nächsten Assistenten informiert und
verschiedene Offiziere der Wehrmacht in Frankreich – da geschah einer
der Zwischenfälle, die den Lauf der Geschichte verändern. Die Piloten
von zwei britischen Kampfflugzeugen identifizierten Rommels Wagen auf
einer Straße und schossen auf ihn. Dies ließ ihn mit einer
Kopfverletzung mehrere Wochen im Krankenhaus verbringen.
Kein anderer
Militärkommandeur erfreute sich solch eines Prestiges, das ihn befähigt
hätte, solch einen einzigartigen Befehl zu geben. Die Folge davon: der
Krieg dauerte ein Jahr länger und weitere Millionen starben.
Eine andere Enthüllung:
Zwei Jahre vorher, als es Rommel klar wurde, dass die Schlacht von
El-Alamein eine verlorene Sache ist, schlug er Hitler vor, dass sich die
Armee zurückziehe und auf diese Weise gerettet würde. Hitler hat dies
bezeichnenderweise verweigert und verlangt, dass die Soldaten bis zum
letzten Blutstropfen kämpfen. Rommel überlegte 24 Stunden lang und tat
dann etwas Unerhörtes: Er gehorchte Hitlers Befehl nicht sondern befahl
seinen Truppen, sich zurückzuziehen. Dieses eine Mal vergab ihm Hitler.
Nebenbei ein Vergleich:
etwa zur selben Zeit schlug der Befehlshaber der 6. Armee, General
Paulus, vor Stalingrad einen Rückzug vor, den Hitler glattweg ablehnte.
Paulus gehorchte. Und eine Viertelmillion deutscher Soldaten wurde von
den Sowjets gefangen genommen. Nur wenige von ihnen kehrten heim.
Von diesem Augenblick an,
begann Rommel gegenüber Hitler gemischte Gefühle zu haben. Er bewunderte
weiterhin seine Person, hatte aber Zweifel an seiner Klugheit und
manchmal auch an seinem Verstand. Auch Hitler hatte gegenüber seinem so
sehr geschätzten General Hintergedanken, den er nun als einen Defätisten
ansah und als einen Propheten des Jüngsten Gerichtes. Trotzdem hörte er
nicht damit auf, Rommel und seinen großen Ruhm für seine eigenen Zwecke
auszunützen. Rommel war eben in erster Linie ein Soldat. Wie man in
diesem Buch sieht, war er kein Intellektueller oder ein Philosoph.
Politik interessierte ihn nicht. Und das Wesen des Naziregimes begann
er, erst in den letzten Monaten seines Lebens zu begreifen. Selbst
militärische Theorie war für ihn von keinem Interesse. Er lehnte eine
Möglichkeit ab, an der renommierten Militärakademie zu studieren, weil
er bei seinen Männern bleiben wollte, die ihn hoch verehrten.
Militärisch gibt es gewisse
Ähnlichkeiten zwischen Rommel und Sharon: er erfasst fast intuitiv die
Karte eines Schlachtfeldes, um schnelle Manöver auszuführen, nach vorne
zu stürmen, selbst unter dem Risiko, den Kontakt zu der nachkommenden
Formation zu verlieren und so seine Truppen und die Nachhut zu gefährden
- unter der Prämisse, wenn man schnell vorangeht, würde das die Flucht
des Feindes veranlassen. Dies war Rommels Operationsmodus 1940 in
Frankreich – und es war auch Sharons, als seine Truppen 1973 zum
Suezkanal stürmten. Beide Generäle brachten ihre Generalstabschefs in
Weißglut.
Wie Sharon wusste Rommel,
wie er den Respekt seiner Soldaten gewinnt. Aber auch er erregte die
Feindschaft seiner Vorgesetzten und Kollegen, die ihn als
unverantwortlich und undiszipliniert einschätzten. Wie Sharon war Rommel
ein ausgezeichneter Taktiker, hatte aber kein Verständnis für Strategie.
Wie Sharon liebte er Publicity und weigerte sich, ohne Journalisten und
Photographen sich zu bewegen. Militärhistoriker streiten noch immer über
seine Rolle.
Rommels Verbindung zu
Nazi-Kriegsverbrechen ist auch ein Streitpunkt in der Debatte. Dieses
Buch zeigt auf, dass er seinen Assistenten bat, seinen
Zigarettenanzünder herauszuholen und den von Hitler erhaltenen Befehl,
die Freien Französischen Kommandos, die er in Afrika gefangen genommen
hatte, zu erschießen. Dieser Befehl stellte klar ein Kriegsverbrechen
dar. Anscheinend tat er dasselbe während seines kurzen Aufenthaltes als
Militärkommandeur in Norditalien nach Mussolinis Fall. Hitler gab einen
Befehl, die italienischen Offiziere, die sich der deutschen Besatzung
widersetzt hatten, zu erschießen – und Rommel ignorierte dies.
In der frühen Zeit des
Naziregimes, als Rommel noch ein junger Offizier war, schützte er in
seinem Distrikt Juden vor der Gewalt der SA-Schergen. In Libyen geschah
der jüdischen Gemeinde nichts, und alle ihre Mitglieder überlebten. Da
er weder in Polen noch in Russland kämpfte, hatte er keine Verbindung zu
den Verbrechen dort. Tatsächlich scheint er, erst 1944 etwas über den
Holocaust gehört zu haben, und zwar von dem Bürgermeister von Stuttgart,
einem langjährigen Nazi, der nachforschte, was den Juden seiner Stadt
zugestoßen ist. Als er entdeckte, dass sie alle ermordet worden waren,
war er derart geschockt, dass er sich der Widerstandsbewegung gegen
Hitler anschloss – und gab Rommel den letzten Stoß in diese Richtung.
Die Erinnerungen, die
Rommel noch seiner Frau diktieren konnte, bevor er gezwungen wurde,
Selbstmord zu begehen, hatten den Titel "Krieg ohne Hass". Rommels
Nemesis: der britische General Bernard Montgomery hatte ein Foto von ihm
auf seinem Schreibtisch.
Die Mythen des
"Wüstenfuchses" gedeihen rund um die Welt. Aber - und daran erinnert uns
der Autor dieses faszinierenden Buches – hätte Rommel Palästina erobert,
dann wäre bald hinter ihm Adolf Eichmann erschienen.
(Aus dem Englischen
übersetzt: Ellen Rohlfs und vom Verfasser autorisiert)
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