Gehörlose Juden:
Eine doppelte kulturelle Minderheit
"Mit Juden kann Pavel über das "Thema Jude" reden,
aber mit Gehörlosen sei dies nicht möglich. Als Gehörloser erfuhr Pavel
zuweilen auch unter Juden Stigmatisierungen. Als er sich in der
Jüdischen Gemeinde in Frankfurt als Gehörloser vorstellte, gingen die
dort anwesenden russischen Juden auf Distanz zu ihm. In der Jüdischen
Gemeinde blieb er bis auf wenige Ausnahmen isoliert. Er lebt mehr in der
Gehörlosengemeinschaft."
Das Beispiel von Pavel, der 1967 in Russland geboren
wurde und seit 1991 in Frankfurt a.M. lebt, ist ein typisches für die
Situation von einer wenig beachteten doppelten kulturellen Minderheit:
gehörlose Juden. Mark Zaurov, Vorsitzender der Interessensgemeinschaft
Gehörloser jüdischer Abstammung in Deutschland, hat eine Studie zu
diesem Thema verfasst, die ursprünglich als Magisterarbeit eingereicht
und im Verlag Peter Lang publiziert wurde.
Zaurov wurde in Russland in einer jüdischen Familie
geboren. Er ist selbst, ebenso wie seine Schwester, von Geburt an
gehörlos. Die Familie ging nach Israel und von dort nach Deutschland.
Zaurov kam so nicht nur mit verschiedenen Sprachen und Gebärdensprachen,
sondern auch mit unterschiedlichen jüdischen Identitätskonzepten in
Berührung.
Seine Studie stellt sowohl Kultur und Identität
Gehörloser, wie auch jüdische Identität vor und zeigt die besondere
Lebenssituation von gehörlosen Juden.
Zaurov geht dabei immer wieder auf die verschiedenen
Formen der Diskriminierung ein, denen gehörlose Juden ausgesetzt sind,
stellt Gehörlosigkeit nach jüdischem Verständnis dar und bietet
Lösungsansätze für eine jüdische Gehörlosenkultur.
Im letzten Teil des Buches sind die Auswertungen von
zahlreichen Interviews mit gehörlosen Juden zusammengefasst, die
Auskunft über deren natürliche Lebens- und Identitätswelten geben und
Unterschiede der einzelnen Nationalitäten deutlich werden lassen.
Mark Zaurovs Buch ist, von dem manchmal etwas sperrigen
Schreibstil und den sehr allgemeinen Definitionen abgesehen, was sich
durch die Vorlage der Magisterarbeit ergibt, sehr informative und gibt
einen wichtigen Einblick in Kultur und Leben einer in der breiten
Öffentlichkeit unbeachteten kulturelle Minderheit. Besonders die
Tatsache, dass der Autor eigene Erfahrungen und aktives Engagement
mitbringt, macht das Buch zu mehr als eine wissenschaftlichen Studie.
al / hagalil.com
04-11-04 |