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Alles ist erleuchtet

Der amerikanische Autor Jonathan Safran Foer kam zur Lesereise nach Deutschland

Franziska Werners

Selten haben sich Kritikerstimmen derart unisono überschlagen, was ihre Lobeshymnen auf den eben in deutscher Übersetzung erschienenen Roman eines jungen Amerikaners betrifft: "Everything is illuminated" zu deutsch "Alles ist erleuchtet" begeistert diesseits wie jenseits des Atlantiks das Publikum.

Die Geschichte mit der Widmung »Schlicht und unmöglich – für meine Familie« ist zum Teil die des jüdischen Autors Jonathan Safran Foer selbst. Geboren 1977 unternahm er knapp zwanzigjährig eine Reise in die Ukraine, um eine Frau zu finden, die angeblich seinen Großvater vor den Nazis gerettet hatte. Die Reise verlief ergebnislos - zunächst jedenfalls, bis Safran Foer begann, über eben diese Suche zu schreiben und sie damit gewissermaßen neu zu erfinden.

»Manchmal muß man sich weit von der Wahrheit entfernen, um die Wahrheit zu finden« erklärte Safran Foer bei einer Lesung in München.
So ähnlich mag auch jener SPIEGEL-Journalist gedacht haben, der den jungen Autor in einem kürzlich erschienenen Portrait darstellte, als habe dieser sich von seinen Buchtantiemen als erstes ein Haus und eine japanische Limousine geleistet. Der Moderator der Münchner Lesung, Richard Chaim Schneider, selbst Autor und Filmemacher, nutzte die Gelegenheit, diese Legende zurechtzustutzen. Das Haus, so Schneider, sei nur für den Sommer gemietet worden und das Auto hatte Safran Foer sich kurzfristig von einem Freund geborgt.

Jonathan Safran Foer
in München
Fotos fw

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Doch zurück zur Wahrheit im Buch oder besser, zu den verschiedenen Wahrheiten.

Da ist zunächst die Version des ebenfalls 1977 geborenen Ukrainers Alexander Perchow, genannt Alex. Aufgewachsen in bescheidenen Verhältnissen und mit mäßiger Schulbildung erscheint er zunächst als jugendlich-chauvinistischer Angeber: »ich habe mich immer als sehr stark und potent gefunden. Ich habe viele, viele Freundinnen, das können Sie mir glauben.« heißt es gleich auf der ersten Seite, und die holperige Sprache des Ich-Erzählers ist nicht etwa ein Versehen des Übersetzers. Safran Foer läßt Alex nicht in seiner Muttersprache berichten, sondern in einem reichlich fehlerhaften und dadurch unfreiwillig komischen Englisch, das der Übersetzer Dirk van Gunsteren meisterhaft in ein verdrehtes Deutsch übertragen hat, und weil das so schön ist, hier noch eine Kostprobe:

»Vater schuftet für ein Reisebüro, das Heritage Touring getauft ist. Es ist für Juden wie den Helden, die danach sehnen, das erhabene Land Amerika zu verlassen und bescheidene Dörfer in Polen und der Ukraine zu besuchen. Vaters Reisebüro beschafft einen Übersetzer, einen Führer und einen Fahrer für die Juden, die versuchen, die Plätze auszugraben, wo ihre Familien früher gelebt haben. Okay, bis zu dieser Reise hatte ich nie einen Juden kennen gelernt. Aber das war ihr Fehler, nicht meiner, denn ich war immer bereit - man könnte sogar schreiben: ich glühte darauf - , einen kennen zu lernen. Ich will auch diesmal wahrheitlich sein und erwähnen, dass ich vor der Reise vorgestellt hatte, dass Juden Scheiße zwischen den Ohren haben. Das liegt daran, dass ich von Juden nur wusste, dass sie Vater viel Geld dafür bezahlen, um im Urlaub von Amerika in die Ukraine zu fahren. Aber dann habe ich Jonathan Safran Foer kennen gelernt, und ich kann Ihnen sagen: Er hat keine Scheiße zwischen den Ohren. Er ist ein genialer Jude.«

Und ein genialer Autor ist er auch, wie er sich da namentlich so unvermittelt ins Spiel bringt. Ein gewisser Jonathan Safran Foer also, »der Held«, wie Alex ihn oft nennt, kommt in die Ukraine, um Augustine zu finden, die seinen Großvater vor den Nazis rettete, und Trachimbrod, jenen Ort, in dem der Großvater einst gelebt haben soll. Alex wird sein Dolmetscher und Alex‘ Großvater, ein depressiver alter Mann, der sich seit dem Tod seiner Frau für blind hält, der Fahrer. Begleitet werden sie außerdem von der »amtlichen Blindenhündin« Sammy Davis jr. jr., die sogleich mit dem amerikanischen Touristen Freundschaft schließen will. Doch der Held hat Angst vor Hunden, ist außerdem auch noch Vegetarier und stellt viele Fragen ...

Was vordergründig wie ein amüsanter Schelmenroman beginnt, erweist sich bald als eine komisch-traurige, naiv-intelligente Zeitreise in versunkene Welten. Safran Foer entwirft eine furiose Familien- und Schtetl-Chronik beginnend 1791 als seine Ur-ur-ur-ur-ur- Großmutter im Babyalter durch einen Unfall die Eltern verliert und ein bis dahin anonymer Ort durch Losverfahren seinen Namen erhält: Trachimbrod. Die Chronik endet gut 150 Jahre später mit der Zerstörung Trachimbrods durch die Nazis.
Safran Foers ebenso phantasie- wie humorvolle Schilderung der Ereignisse in und um Trachimbrod durchbricht und ergänzt Alex‘ Reisebericht und ist ihrerseits Gegenstand eines Dialogs, den Alex und der Held nach Beendigung ihrer Reise in Briefform fortführen. Während die Briefe Safran Foers im „OFF“ bleiben, ihr Inhalt sich also höchstens an Alex‘ Antworten ablesen läßt, werden dessen Briefkommentare in ganzer Länge wiedergegeben, wodurch sich die dritte Ebene des Romangeschehens eröffnet.
Die Verknüpfung dieser stilistisch höchst unterschiedlichen Erzählebenen, von Alex‘ Reisebericht über seine späteren Briefe an den Helden bis zu Safran Foers Geschichte Trachimbrods und seiner Einwohner, ist ein literarisches Meisterstück.

Wie Trachimbrod scheinbar unausweichlich seinem Untergang entgegengeht, so kann auch Alex‘ Großvater den Erinnerungen an die Vergangenheit nicht entkommen. Schon nach weniger als einem Drittel des Romans - die Protagonisten stehen noch am Beginn ihrer Reise - berichtet Alex von einer schlaflosen Nacht, die er und sein Großvater in einem Hotel verbringen: »Ich hörte sein großes Atmen. Ich hörte seinen Körper sich bewegen. So war es die ganze Nacht. Ich wußte, warum er nicht ruhen konnte. Es war derselbe Grund, warum ich auch nicht ruhen konnte. Wir dachten beide an dieselbe Frage: Was hatte er im Krieg getan?«

Alex Berichte werden zunehmend ernster und auch er selbst durchläuft einen spürbaren Reifeprozeß je weiter sie auf ihrer Reise in die Vergangenheit vordringen und je mehr er sich mit der Verstrickung des Großvaters in die Kriegsereignisse auseinanderzusetzen beginnt.

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So witzig und humorvoll sich viele Passagen dieses Romans einerseits lesen, es ist, wie der Autor nachdrücklich betont, keine Komödie über den Holocaust, so wenig wie der Holocaust das Hauptthema des Romans ist, womit Safran Foer indirekt auf vereinzelte Kritik in Amerika anspielt, die ihm vorhielt, er mache Witze über den Holocaust.
Eher trifft zu, was Alex in einem seiner Briefe formuliert, wonach »humorvoll die einzig wahrheitliche Art ist, eine traurige Geschichte zu erzählen«.
Es sind nicht zuletzt solche Sätze, die einen erstaunt innehalten lassen und man fragt sich, wie es sein kann, daß ein so junger Autor derartiges zu formulieren im Stande ist. Auch Richard Chaim Schneider, dem die ehrliche Begeisterung für den Roman und seinen höchst sympathischen Autor anzumerken ist, stellt diese Frage. »Vielleicht ist es eher einfacher, wenn man jünger ist« antwortet »der Held« gelassen. »Je älter man wird, desto mehr weiß man. Das macht es schwerer, Entscheidungen zu fällen. Dabei sollte man es eher machen wie Kinder. Im Alter denkt man oft zu viel nach.«
Bleibt zu hoffen, daß Jonathan Safran Foer sich diese jugendliche Unbekümmertheit noch lange bewahren kann.
Das Publikum im Münchner Literaturhaus schenkte ihm, aber auch dem etwa gleichaltrigen Schauspieler Johannes Zirner, der sich während der Lesung als ausgezeichneter Interpret der deutschen Übersetzung erwies, einen ebenso berechtigten wie herzlichen Applaus.

Franziska Werners - hagalil.com 24-03-03











 

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