Zeruya Shalev:
Liebesleben
Berliner Taschenbuch Verlag 2004
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Zeruya Shalev:
Es gibt keinen
sicheren Ort mehr
VON JOACHIM FRANK
"Manchmal", sagt
Zeruya Shalev, "kommt es mir sehr banal vor und egozentrisch, mich mit
Schreiben zu beschäftigen, während um mich herum so Fürchterliches
passiert."
Das "Drama und
Trauma" vom 11. September hat die Jerusalemer Schriftstellerin
schockiert, natürlich. Aber schon viel länger und nicht minder
bedrückend lastet auf ihr das Gefühl der Bedrohung in einer Region, in
der fast täglich Menschen gewaltsam umkommen. Nach einem Jahr Intifada
habe die Bevölkerung in Israel die Ansprüche an das, was "Leben"
bedeuten könnte, stark heruntergeschraubt: "Wir wollen einfach bloß
existieren. Wir wollen, dass unsere Kinder den nächsten Tag erleben."
Kunst und Literatur sind zu Luxusgütern geworden. Das klingt wie ein
Abgesang auf die Kultur "inmitten einer chaotischen Wirklichkeit". Aber
Zeruya Shalev fasst den Begriff viel weiter: Auch der Frieden, für den
Nahen Osten wieder einmal in weite Ferne gerückt, ist "Luxus", und
selbst das "ganz normale Leben" ein schier unerschwingliches Gut. Ihr
Alltag sei "voller Angst". "Jeden Tag beim Zubettgehen danke ich Gott,
dass wir noch am Leben sind und dass nichts passiert ist. Und am Morgen
ist wieder die gleiche Unsicherheit da, weil irgendwo immer irgendetwas
passieren kann." Fast jede Nacht hört sie aus ihrer Wohnung in Jerusalem
Schüsse. Nicht weit vom Haus entfernt ist eine Autobombe explodiert.
"Unsere Kinder dürfen nicht einkaufen gehen, nicht Bus fahren. Sogar der
Schulweg ist gefährlich." Das alles sei in der Dimension nicht mit dem
Anschlag auf das World Trade Center vergleichbar. "Aber der Terror ist
derselbe." Seit dem 11. September hat sie das Gefühl: Es gibt keinen
einzigen sicheren Ort auf dieser Welt. "Vorher hatten wir so eine
Illusion, dass es anderswo - nicht in Israel - besser sein könnte. Aber
jetzt . . . Und es gibt keine Rückkehr zur Normalität. Das Unnormale ist
normal geworden, das Unerwartete höchst gewärtig."
Seit der neuen Intifada sieht Shalev die
israelischen Intellektuellen in einer tiefen Krise. "Viele von ihnen
hatten sehr ausgefeilte und hoffnungsvolle Ideen, wie es in der Region
weitergehen könnte. Und jetzt sehen sie sich zurückgeworfen auf die ganz
elementaren Fragen. Es geht um das nackte Überleben." Schuld daran sei
nicht der harte Kurs des amtierenden Premier Ariel Sharon, sondern
Palästinenser-Chef Jassir Arafat, der 2000 in Camp David israelische
Friedensangebote ausgeschlagen habe. Auch sie persönlich, sagt Zeruya
Shalev, befinde sich in einer schwierigen Lage: "Ich habe an den Frieden
geglaubt, habe geglaubt, dass die Palästinenser in Frieden mit uns leben
wollen. Jetzt aber habe ich - wie viele in Israel - den Eindruck, sie
wollen vielleicht gar keine Koexistenz in einem eigenen Staat, sondern
sie wollen das ganze Land. Das können wir ihnen nicht geben. Wo sollen
wir denn hin? Die Juden brauchen ein Land für sich. Wir können nicht
vergessen, was vor 60 Jahren in Europa passiert ist. "
Als die 42-Jährige vor zehn Jahren zum
ersten Mal nach Deutschland kam, fühlte sie sich unter der Last der
Geschichte. "Allein die Sprache zu hören war etwas Schreckliches. Es
gibt so viele deutsche Wörter, die für uns Juden mit furchtbaren
Erinnerungen verbunden sind. Jeder Blick, jedes Wort war so
bedeutungsschwer." Inzwischen kennt sie sehr viele Menschen hier. Einige
seien zu engen Freunden geworden, mit denen sie sich so unterhalte wie
mit Freunden daheim. "Als Israeli habe ich den Eindruck, die Deutschen
sind ausgewogener und haben sehr viel mehr Verständnis für unsere
Probleme als alle anderen Europäer. Deshalb fühle ich mich hier viel
wohler als bei meinen ersten Besuchen." Und sie genießt die herzliche
Aufnahme ihrer Bücher beim Publikum. "Darüber bin ich sehr glücklich."
Ihre Bücher, betont sie, handelten nicht
von Politik, sondern von der menschlichen Seele. "Ich bin sehr stolz,
dass so viele Seelen in Deutschland sich mit meiner treffen. Das ist
eine Art von Begegnung, die mir Hoffnung gibt. Die Unterschiede zwischen
uns sind nicht so groß, wie ich sie zu denken gewohnt war. Und das
bedeutet doch auch: Wir können die schrecklichen Erinnerungen irgendwie
überwinden und zueinander kommen - über die Brücke von Kultur, von
Literatur. Wenn ich eine Art Hoffnung habe, dann ist dies das beste
Stück davon."
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