
Lorenz Peter Johannsen:
Karl Leven, Kinderarzt. Lebensspuren – Todesspur
"Jüdische Memoiren" Band 13
Hg.: Dr. Hermann Simon, Direktor der Stiftung Neue Synagoge Berlin –
Centrum Judaicum
Hentrich & Hentrich Verlag 2005
Euro 24,00
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Jüdische Memoiren:
Kinderarzt Dr. Karl Leven
Der jüdische Kinderarzt Dr. Karl Leven (1895 – 1942)
ließ sich 1931 in seiner Heimatstadt Düren in eigener Praxis nieder.
Schon 1933, kurz nach dem Boykott-Tag, machte das Ehepaar Leven erste
Erfahrungen mit der brutalen Gewalt der Nationalsozialisten. Die
berufliche Entrechtung folgte: 1934 der Entzug der Kassenzulassung, 1938
das Berufsverbot. In der Pogromnacht wurde die Praxiseinrichtung
zerschlagen und verbrannt. Der Zwangsinternierung in Aachen folgte am
15. Juni 1942 die Deportation „nach dem Osten“. Zu diesem Zeitpunkt war
Dr. Leven 47 Jahre alt, seine Frau Else 35 Jahre, der Sohn Hans Hermann
9 Jahre, die Tochter Mirjam Charlotte 5 Jahre und der kleine Jona 11
Wochen.
Jahrzehntelang war fast jede Erinnerung an die Familie Leven erloschen.
Von 1995 an hat sich der Autor, selbst als Kinderarzt in Dr. Levens
Heimatstadt tätig, der Lebenswelt seines Kollegen angenähert. Die
Quellenlage war zunächst entmutigend. Aber in Gesprächen mit ehemaligen
Patienten und Zeitzeugen entstand allmählich das Bild eines beliebten,
kompetenten und sozial eingestellten Kinderarztes. Unerwartet
aufgefundene Verwandte vertieften das Persönlichkeitsbild. Genealogische
Recherchen belegen die Jahrhunderte alte Verwurzelung der Familie Leven
in der rheinischen Region. In Ausweitung der Individualbiographie macht
der Autor die Bedeutung jüdischer Pädiater für die Kinderheilkunde in
Deutschland vor 1933 deutlich, ebenso die bereitwillige Kooperation
eines großen Teils der nichtjüdischen Ärzteschaft mit dem
Nationalsozialismus. Trotz aller Detailtreue der historischen
Darstellung bleibt der Autor stets "auf Augenhöhe" mit seinem Dürener
Kollegen. Unausgesprochen durchzieht die Klage um Karl Leven, seine Frau
und ihre Kinder das bewegende Buch.
In zweiundzwanzig Kapiteln wird den Lebensspuren Dr. Levens und seiner
Familie nachgegangen. Drei weitere Kapitel folgen der Todesspur, die
nach Izbica und in das Vernichtungslager Sobibor führt. In drei weiteren
Kapiteln kann sich der interessierte Leser in die Hintergründe der
Berufswelt jüdischer Ärzte, besonders der Kinderärzte und in die Medizin
der NS-Zeit vertiefen.
Dass es sich um keine trockene akademische Abhandlung handelt, ist der
Struktur des Buches zu verdanken: Es ist ein "Werkstattbericht", der den
Leser mit auf die Suche nimmt. Die langjährige Arbeit hat den Autor
nicht nur in Archive und nach England, Israel und Polen geführt.
hagalil.com
07-10-05 |