
Amos Elon,
Zu einer anderen Zeit. Porträt der jüdisch-deutschen Epoche 1794 -1933
Hanser Verlag 2003
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Bereits der Titel des Buches läßt
aufmerken: "Andere Zeiten" sind "vergangene Zeiten" und diese werden
nicht selten zu "besseren Zeiten" stilisiert. Dieser Gefahr begegnet
Amos Elon geschickt in seiner umfassenden Untersuchung der
deutsch-jüdischen Epoche zwischen 1743 und 1933.
Der Autor widmet sich damit einer Zeitspanne, in der
die Juden um Aufnahme in die deutsche Gesellschaft baten, in dieser
sodann mehr oder weniger geduldet wurden, um schließlich aus ihr
verstoßen zu werden. Diese Entwicklung lässt der Autor Revue
passieren, wobei letztlich zwei Begrifflichkeiten das Buch sowohl
kontinuierlich durchziehen als auch den Beginn und das Ende dieser
Epoche flankieren, nämlich Legalität und Illegalität.
Bereits in den ersten Zeilen des Buches bittet der
junge Moses Mendelssohn am Rosenthaler Tor in Berlin legal um
Einlass, während am Ende des Werkes Hannah Arendts erzwungenermaßen
illegale Ausreise geschildert wird. Ludwig Bamberger engagiert sich
für die legale Revolution von 1848, und verlässt auf illegalem Wege
Deutschland und die vermeintlich legale Zählung der jüdischen
Teilnehmer der ersten Weltkrieges diente dem Ziel die Juden als
„Feiglinge“ und „Drückeberger“ zu desavouieren. Bereits diese kurzen
Schlaglichter zeigen, dass das hauptsächliche Interesse des Autors
dem jüdischen Bürgertum bzw. Großbürgertum gilt.
Spätstens in diesem Zusammenhang muß jedoch die
Frage erlaubt sein, ob es diesbezüglich eines neuen und umfassenden
Werkes bedurfte, das die Geschichte von Moses Mendelssohn, Salomon
Maimon, Henriette Herz, Ludwig Bamberger, den Gebrüder Rothschild,
Heinrich Heine, Karl Marx, Albert Ballin, Walther Rathenau, Rosa
Luxemburg und vielen anderen in einem neuen Gewand präsentiert, wo
inzwischen selbst Bildbände höchst informative Textbeiträge
enthalten. In der Tat: Amos Elons Werk überzeugt weniger durch neue
Forschungen als vielmehr durch die Art, wie der Leser durch die
Geschichte und die Geschichten geleitet wird.
In der Mark Brandenburg gab es seit der Vertreibung
im Jahre 1573 nur noch wenige Juden. Nach dem Dreißigjährigen Krieg
lag das Land brach und so förderte der Große Kurfürst Friedrich
Wilhelm die Ansiedlung von Hugenotten, Holländern und Juden. Diese
unterstanden unmittelbar seinem Willen, der zu jener Zeit Gesetz und
damit legal war. Angesichts dessen, konnte der Herrscher auch die
Kriterien für den Zuzug von Juden beliebig bestimmen. Willkommen war
aber nur, was auch nützt und Geld war es allemal.
So erlaubte Kurfürst Friedrich Wilhelm von Preussen
fünfzig jüdischen Flüchtlingsfamilien aus Österreich den Zuzug nach
Brandenburg-Preussen unter der Maßgabe, dass sie an ihn jährlich pro
Kopf 2.000 Taler zu zahlen hätten. In diesem Zusammenhang findet man
nicht selten den Hinweis, es habe sich um reiche Familien gehandelt.
Aber was ist reich? Dankenswerterweise hat Amos Elon hier eine
allgemeinverständliche Umrechnung vorgenommen. 2.000 Taler
entsprechen nach heutigem Wert etwa 90.000 Dollar. Das bedeutet,
legt man eine vierköpfige Familie zugrunde, dass der Kurfürst mit
einer Erhöhung seiner jährlichen Einkünfte um umgerechnet 18
Millionen Dollar rechnen konnte.
Dass weder wissenschaftliche Brillianz noch
persönliche Integrität gegen den Willen des Herrschers etwas
auszurichten vermochten, musste Moses Mendelsohn erfahren. Obwohl
unzweifelhaft ein Gelehrter von europäischem Ruf, verhinderte das
Veto Friedrichs des Großen einen Ruf an die Preußische Akademie der
Wissenschaften. Moses Mendelssohns lakonische Antwort, dass es
besser von der Akademie geehrt und vom König abgelehnt zu werden als
umgekehrt, nimmt seine Bedeutung und seinen Einfluss für die
kommenden jüdischen Generationen bereits vorweg. Andererseits ist es
aber auch Moses Mendelssohn, der als "Nathan" zum mustergültigen
Juden stilisiert wird und damit das Klischee nährte, dass ein Jude
um gut zu sein, besser als die meisten anderen Sterblichen zu sein
hatte und nicht mehr er selbst sein konnte.
Die Juden waren damit Gefangene zwischen dem
unberechenbaren - aber gleichwohl legalem - Willen des Herrschers
und der sich manifestierenden Erwartungshaltung ihrer bürgerlichen
Umgebung. Daher verwundert es nicht, dass es gerade Juden waren, die
die deutsche Revolution von 1848 mit ihren
Demokratisierungsbestrebungen maßgeblich unterstützten. Denn die
Revolution versprach zweierlei, nämlich sowohl den endgültigen
Erwerb der bürgerlichen Rechte und somit die legale
Gleichberechtigung als auch die lange erhoffte Chance, sich als
"gute Deutsche" erkennen zu geben.
Dass eben jenes Anliegen selbst in der
Paulskirchenversammlung auf Mißfallen und Widerstände traf, wird
daran ersichtlich, dass ein "linker Abgeordneter" (sic!) die
bürgerlichen Rechte der Juden in Anbetracht ihres "nationalen
Charakters" in einem eigenen Gesetz regeln wollte. Dem stellte sich
Gabriel Riesser mit einem eindringlichen Appell entgegen: "...Wir
sind nicht eingewandert. Wir sind eingeboren, und weil wir es sind,
haben wir keinen Anspruch anderswo auf Heimat. Wir sind entweder
Deutsche oder wir sind heimatlos...Wer mir den Anspruch auf mein
deutsches Vaterland bestreitet, der bestreitet mir das Recht auf
meine Gedanken, meine Gefühle, meine Sprache, auf die Luft, die ich
atme, darum muß ich mich gegen ihn wehren wie gegen einen Mörder."
Letztendlich scheiterte die Verfassungsgebende Versammlung in der
Paulskirche - und dennoch stellten die revolutionären Monate von
1848/49 einen, wie Amos Elon bemerkt, Wendepunkt für die deutschen
Juden dar, denn es verstärkte sich der Eindruck, dass sie
letztendlich doch Deutsche werden würden.
Freilich hieß dies, die gleichen Rechte und
Pflichten zu haben wie die übrige deutsche Bevölkerung. Dahin war es
jedoch noch ein langer Weg. Tatsache war, dass bis weit in die
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts den meisten Juden der höhere
Staatsdienst und die Offizierslaufbahn verwehrt war. Dabei kam
mittlerweile ein fünftel der Hochschulstudenten aus jüdischen
Familien und zeigten sich der beginnenden Moderne gegenüber
ausgesprochen aufgeschlossen, denn in der modernen Welt von Handel,
Industrie und Demokratie galten zunehmend neue Spielregeln.
Überkommene Privilegien wurden jetzt in Frage gestellt, es galt "mit
der Zeit zu gehen", was offenbar einer bestimmten jüdischen
Gesellschaftsschicht mühelos gelang. Ängste erzeugen nicht selten
Aggressionen und eben jene zogen sich die Juden in einem starken
Ausmaß zu.
Die Furcht und gleichzeitige Sehnsucht nach der
heilen romantischen Welt, an der die Industriealisierung vorbei
gegangen war, wurde durch sie massiv gestört. Insbesondere die
schweren (urlaubsbedingten) antisemitischen Ausfälle eines Theodor
Fontane legen hierfür ein beredtes Zeugnis ab. Und nicht zuletzt
auch die Haltung des Staatstheoretiker Carl Schmitt basierte auf
einem Fundament, das im 19. Jahrhundert gelegt worden war.
Wie zerbrechlich der mühsam errungene "Status Quo"
war , wird bereits während des 1. Weltkriegs deutlich. Juden wie
Nichtjuden waren dem Kriegstaumel des Sommers 1914 verfallen und
überboten sich geradezu in chauvinistischen und kriegshetzerischen
Äußerungen. Der Kaiser kannte nur Deutsche und endlich schien die
Gleichberechtigung zum Greifen nahe. Die letzten
Zulassungsbeschränkungen für Juden im Staatsdienst wurden aufgehoben
und hunderte später sogar tausende jüdische Soldaten wurden zu
Offizieren ernannt.
So auch Leutnant Hugo Guttmann. Er versprach einem
Meldegänger namens Adolf Hitler für einen wichtigen Einsatz das
Eiserne Kreuz. Der Divisionsstab war anderer Ansicht: Hitler habe
nur seine Pflicht getan. Guttmann überzeugte seine Vorgesetzten und
heftete Hitler vor versammelter Mannschaft schließlich des Eiserne
Kreuz an die Brust. Im Verlaufe des Jahres 1916 kippte die Stimmung.
Die Strategie den Feind zu zermürben war nicht gelungen. Die Moral
an der Front und in der Heimat sank. In dieser Situation waren es
wieder einmal die Juden, bei denen die Schuld gesucht wurde. Obwohl
im Oktober 1916 bereits knapp dreitausend Juden gefallen und
siebentausend ausgezeichnet worden waren, ordnete der Kriegsminister
eine "Judenzählung" an. Sie sollte Aufschluss darüber geben,
wieviele jüdische Soldaten an der Front und wieviele in der Etappe
dienten. Da die Ergebnisse nicht den Erwartungen der Auftraggeber
entsprachen, wurden sie nicht bekannt gegeben und liessen so den
erwünschten Raum für Spekulationen. Bezeichnend sprach ein jüdischer
Soldat von einer "traumhaften Selbsttäuschung", der er anheim
gefallen sei.
Was bleibt? So möchte man fragen. Pessimisten würden
sagen, es habe sich in der Tat um eine großes Mißverständnis auf
jüdischer Seite gehandelt. Wer die Zeichen von 1743 bis 1933 richtig
interpretierte, der mußte zumindest zu der Erkenntnis gelangen, dass
die Juden eigentlich zu keiner Zeit den Deutschen als Deutsche
willkommen waren - sie wurden allenfalls geduldet. Es war ein zäher
Kampf, den sie fochten, immer im Bemühen den Deutschen zu beweisen,
dass auch sie einen legalen Anspruch darauf haben Deutsche zu sein.
Angesichts dessen ist Amos Elons Buch wichtig, denn er beschreibt
dezidiert die jüdischen Anstrengungen und ihre überragenden
Leistungen auf vielen Gebieten in Wissenschaft, Politik, Ökonomie
und Kunst ohne dabei die Rückschläge zu verschweigen. Rückblickend
muß man allerdings konstatieren, dass es keine "deutsch-jüdische
Symbiose" gegeben hat, denn dazu gehören bekanntlich immer zwei. |