Götz Aly:
Unser Kampf 1968 – ein irritierter Blick zurück
S. Fischer Verlag 2008
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Götz Aly:
Irritierter Blick zurück
Von Martin Jander
Götz
Aly hat eines der bislang interessantesten Bücher der gerade erst
beginnenden Bücherwelle zum 40. Jahrestag von 1968 verfasst. Er kritisiert
die anti-demokratischen und anti-semitischen Gehalte der deutschen 68er,
ohne ihre demokratisierende Wirkung für die post-nazistische deutsche
Gesellschaft in Abrede zu stellen. Urteilsfreudig, mit scharfem und
spöttischem Blick für viele interessante Details, wirft ein Beteiligter
einen irritierten Blick zurück.
Götz Aly ist ein Spät-68er. In den Jahren 1967 und 1968 studierte er an der
Deutschen Journalistenschule in München. Erst im Dezember 1968 kam er zum
Studium der Politikwissenschaften und der Geschichte nach Berlin. Die
Formierung der marxistisch-leninistischen, maoistischen und Terror-Sekten,
die aus der Studentenbewegung hervorgingen, war bereits in vollem Gang. Aly
selbst war 1971 Redakteur der Zeitung Hochschulkampf (Kampfblatt der
Initiativkomitees der roten Zellen in West Berlin), 1972 bis 1973 arbeitete
er in der Roten Hilfe Westberlin, die Rechtshilfe für angeklagte und
verhaftete Linke u. a. auch für Terroristen organisierte. 1974 war, wie er
in dem neuen Buch schreibt, sein linksradikales Leben vorbei. Aly wurde
Vater und entwickelte sich zu einem der bedeutendsten NS-Forscher der
Bundesrepublik. In seinem letzten Buch (Hitlers Volksstaat) prägte Aly einen
seither heftig umstrittenen Begriff, er beschrieb den Nationalsozialismus
als "Gefälligkeitsdiktatur".
Götz Alys Bücher waren immer wieder heftig umstritten, weil er nach einer
Maxime schreibt, die in der Bundesrepublik Tabus berührt. In dem Buch
Hitlers Volksstaat beschrieb Aly sein
Schreibmotto: "Wer von den Vorteilen für die Millionen einfacher
Deutscher nicht reden will, der sollte vom Nationalsozialismus und vom
Holocaust schweigen." In gewisser Weise hat er sich damit ein Programm
zueigen gemacht, das viele der deutschen 68er als ihr eigenes bezeichnen,
freilich ohne es für sich selbst je eingelöst zu haben. Es waren ja die
Eltern und die Großeltern der deutschen 68er, die zunächst die Weimarer
Republik zerstörten und dann das Mord- und Raub- und Völkermordprogramm des
Nationalsozialismus exekutierten. Aly schreibt die Geschichte des
Nationalsozialismus als die Geschichte von Herrn Müller und Frau Maier, die
bis über beide Ohren an Diskriminierung, Raub und Vernichtung beteiligt und
interessiert waren. Das Motto nach dem Aly sein neues Buch verfasst hat,
könnte man so formulieren: "Wer von den Nazi-Eltern der 68er nicht sprechen
will, soll von der deutschen Studentenbewegung schweigen."
Die Art und Weise wie Aly dieses Motto in seinem neuen Buch umsetzt, hat
schon vor seiner Veröffentlichung zu aufgeregten Warnungen geführt hat. Aly
hatte am 30. Januar 2008 in der Frankfurter Rundschau darauf
hingewiesen, dass zwischen den 68ern und ihren Vätern, die er 33er nannte,
gewisse Parallelen zu beobachten wären. Jung und arrogant wären sie gewesen,
schrieb Aly, außerdem wollten sie jeweils das "System" insgesamt
umwerfen, das sie mit der älteren Generation identifizierten. Aly hob
ausdrücklich hervor, dass Nationalsozialismus und Studentenbewegung nicht
gleichzusetzen wären, dass aber einige Parallelen zu beobachten seien und
eben diese Parallelen seien es, die im Nachhinein seine Irritation
hervorriefen. Die Einschränkung half jedoch nichts. Noch bevor das neue Buch
Alys bei den Rezensenten eingetroffen war, wird nun - mit Verweis auf einen
Artikel des Autors in der Frankfurter Rundschau - landauf und landab
davon gesprochen, der Historiker hätte Nationalsozialismus und
Studentenbewegung gleichgesetzt und damit den NS verharmlost.
Der Vorwurf ist, kurz gesagt, an den Haaren herbeigezogen. Die Irritation,
der Aly in seinem Zeitungsartikel und in seinem Buch Ausdruck verleiht,
bezieht sich darauf, wie wenig jene 68er, von denen viele das demokratische
System der Bundesrepublik insgesamt abschaffen wollten, die Totalopposition
der 33er gegen das demokratische System der Weimarer Republik erinnerten
oder auch nur im Kopf hatten. Aus keinem anderen Grund parallelisiert Aly in
einigen Passagen des Buches die 68er mit den 33ern. Aly schreibt: "Der
Blick auf die Schnittmenge zielt nicht auf die Gleichsetzung von Rot und
Braun. Vielmehr geht es darum, die Ähnlichkeiten der Mobilisierungstechnik,
des politischen Utopismus und des antibürgerlichen Impetus
herauszuarbeiten."
Um die Totalopposition vieler 68er zur Demokratie der Bundesrepublik
einsehbar zu machen, hat Götz Aly nicht nur in seinen eigenen Erinnerungen
und in den Dokumenten-Sammlungen zur Geschichte der Studentenbewegung
gekramt, er hat auch Akten des Bundeskanzleramtes eingesehen, geheime
Informationen des Bundesamtes für Verfassungsschutz studiert und die
Schriften von Richard Löwenthal und Ernst Fraenkel zusammengetragen, die
beide nach der Rückkehr aus der Emigration am Otto Suhr Institut der Freien
Universität Berlin unterrichteten, als Götz Aly dort studierte. Sein Buch
beansprucht keineswegs eine Gesamtdarstellung der Geschichte der 68er zu
sein, es ist eine politische und persönliche Streitschrift.
Ein Rezensent bemerkt, es sei nicht verwunderlich, dass Aly in den Akten des
Verfassungsschutzes u. a. Analysen über die antidemokratischen Absichten und
Taten der deutschen 68er gefunden habe. Schließlich sei von den Gegnern der
68er kaum eine andere Haltung erwartbar gewesen. Freilich sind es nicht die
Akten der 68er Gegner alleine, die zweifelhafte Intentionen sichtbar machen.
Rudi Dutschke ventilierte in verschiedenen, unter einem Pseudonym
veröffentlichten Artikeln, der erste vom 12. Juni 1967, gar eine
"Machtergreifung" in Berlin. Über ihre Möglichkeit fabulierten Bernd Rabehl,
Christian Semler und Rudi Dutschke in einem Gespräch mit dem Herausgeber des
Kursbuch Hans Magnus Enzensberger im Oktober 1967. Bernd Rabehl
überlegte in diesem Gespräch laut sogar die Möglichkeiten von, so wörtlich,
"Umerziehung" und forcierter "Auswanderung" für solche Menschen, die sich
nicht umerziehen lassen wollten. Die Gewaltbesessenheit vieler 68er nach dem
2. Juni 1967 lässt sich so nicht lediglich aus den Akten ihrer Gegner
rekonstruieren, sie ist - wie Aly an unzähligen Beispielen zeigen kann -
eine Tatsache, die aus vielen Flugblättern, Schriften und autobiographischen
Darstellungen spricht, so man sie denn wirklich liest.
Aly ist nicht der erste Autor, der versucht, die deutschen 68er als Kinder
ihrer Nazi-Eltern zu portraitieren. Bereits Richard Löwenthal ("Romantischer
Rückfall", 1970) und Ernst Fraenkel (er publizierte dazu einige bei Aly
zitierte Aufsätze) dachten in diese Richtung, die britische Journalistin
Jillian Becker ("Hitlers Kinder?", 1978) und der Soziologe Norbert Elias
("Der bundesdeutsche Terrorismus – Ausdruck eines sozialen
Generationenkonflikts", 1989) haben sich an vergleichbaren Portraits der
deutschen 68er versucht. Martin Kloke ("Israel und die deutsche Linke",
1990) hat den spezifischen sekundär-antisemitischen Diskurs vieler 68er
bloßgelegt. Aly kennt einige dieser Versuche offenbar gut, einige von ihnen
zitiert er ausführlich und macht sie sich zu Eigen, andere kennt er nicht.
Neben der großen analytischen Linie, die sich Aly aus Richard Löwenthals
1970 publizierter Essaysammlung "Romantischer Rückfall" ausborgt, sind es
vor allem Geschichten und Geschichtchen, die das Buch anziehend und wichtig
machen. Der von einigen Rezensenten kritisierte Furor Alys, seine Lust an
der Kritik und am harten Urteil macht das Buch gerade lesenswert. Wer sich
in der Linken Westberlins und der alten Bundesrepublik so einigermaßen gut
auskennt, wird sehr viele gute beschriebene Details entdecken. Aly
kritisiert gnadenlos und im Detail die heute von ihren längst gewandelten
Protagonisten häufig schamhaft verschwiegenen Gewaltobsessionen von damals,
die sie heute sowenig zur Sprache bringen wollen wie die Geschichte ihrer
Vorfahren.
Leider kennt Aly offensichtlich das Buch von Jillian Becker ("Hitlers
Kinder?", 1978) nicht. Er parallelisiert zu Zwecken der Provokation die 68er
mit den 33ern, ohne sie gleich zu setzen. Er ist, aus guten Gründen, dem von
vielen 68ern propagierten Weg der Gewalt auf der Spur, die von vielen
Generationenangehörigen bis heute schamhaft verschwiegen wird. Alys Bild der
68er bleibt nur insofern etwas undifferenziert, als er das komplizierte In-
und Durcheinander von Kontinuität und Abnabelung zu wenig komplex abbildet.
Jillian Becker hatte das in ihrer Arbeit über die erste Generation der RAF,
die gleichzeitig eine Art Generationenportrait der 68er ist, schon besser
getan. Sie schrieb: "In ihrer beharrlichen Unterstellung, jegliche
Obrigkeit sei ‚faschistisch’ oder ‚tendiere zum Faschismus’, schwang das
Verlangen mit, sich – eine Generation zu spät – zum Kampfe zu stellen
(während gleichzeitig Kritiker darauf verwiesen, daß sie tatsächlich die
Freiheit, die ihnen die Demokratie und deren liberale Institutionen boten,
dazu missbrauchten, Demokratie und Freiheit zu schmähen). Es war ihr
jugendlicher Ehrgeiz, die Helden zu spielen – jene Helden, die ihre Väter
nicht gewesen waren. Hinzu kommt noch das Bedürfnis, sich mit den Opfern zu
identifizieren, und in den späten 60er Jahren konnte man oft von Studenten
hören: 'Wir sind die Juden von heute'. Die Opfer von damals waren nun zu
Helden und Märtyrern geworden; und die Kinder derjenigen, die sie zu
Märtyrern gemacht hatten, beneideten sie nun um ihr Leid. Dieser
'Leidensneid' war nicht die Annahme der Schuld, sondern deren
Zurückweisung."
Alys Buch ist also zu loben, weil es gut recherchiert ist und weil es eine
wütende Abrechnung eines Beteiligten ist, der sich von dieser Abrechnung
nicht ausnimmt. Das Buch stößt die Geschichtsschreibung über die deutschen
68er darüber hinaus auf einen Aspekt, der trotz bereits existierender
Arbeiten bislang nur schlecht ausgeleuchtet ist. Wie war das mit den Eltern
der 68er und mit der nur sehr unvollkommenen Abnabelung der Täterkinder und
Täterenkel? Alys Buch bleibt in der präzisen Schilderung des wirren und
irren Durcheinanders von Abnabelung und Kontinuität, die zwischen den 68ern
und den 33ern besteht, ein wenig zu undifferenziert.
Links zum Thema:
Christoph Amend
über Götz Aly
Götz Aly: Publikationsliste und Biogramm bei Wikipedia
Streitgespräch G. Aly K. Rutschky (taz 27.12.2007)
Götz Aly: "Die Väter der 68er" (FR, 30.1.2008)
Clemens Heni über Götz Alys "Die Väter der 68er" (Die Jüdische, 14.02.08)
P. Grottian, W. D. Narr, R. Roth über Götz Alys "Die Väter der 68er" (FR,
08.02.08)
Thomas Geisen
über Götz Aly, "Unser Kampf 1968" (Kölner Stadt-Anzeiger 15.02.08)
hagalil.com
18-02-08 |