antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

hagalil.com
Search haGalil

Newsletter abonnieren
 
 
 
Kriegswichtig:
Ein Buch über den Mord an den ungarischen Juden 1944

Von Guido Spruegel
Junge Welt, 02.11.2002


Goetz Aly/Christian Gerlach: Das letzte Kapitel. Der Mord an den ungarischen Juden. 
DVA, Stuttgart 2002
35,00 Euro

[Bestellen?]

In der internationalen Erforschung der Shoah wurde ein europäisches Land bislang häufig ausgeklammert: Ungarn. Neben der schwierigen Quellenlage war dafür ausschlaggebend, dass die Entscheidungsprozesse für die Vernichtung der europäischen Juden spätestens mit der Wannseekonferenz im Jahre 1942 abgeschlossen waren. Die Vernichtung der ungarischen Juden begann dagegen erst im Jahre 1944. Umso erfreulicher ist es, dass Goetz Aly und Christian Gerlach mit ihrer Studie "Das letzte Kapitel" umfangreich das Schicksal der ungarischen Juden darlegen und mit neuem Quellenmaterial versuchen, die multikausalen Gründe für eines der letzten Kapitel der Shoah zu erklären. 

Ungarn nahm zwischen 1933-1945 eine besondere Haltung gegenüber dem faschistischen Deutschland ein. Bereits sehr früh band es sich unter dem Reichsverweser Horthy an den mächtigen Nachbarn. Die Annäherung vollzog sich mit rasanter Geschwindigkeit und erreichte mit der offenen Unterstützung des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion 1941 einen vorläufigen Höhepunkt. Als Ungarn sich jedoch Anfang 1944 anschickte auszuscheren, besetzte die deutsche Wehrmacht am 19. März das Land. 

Mit der Wehrmacht kam der Stab von Adolf Eichmann nach Budapest, der kurz vor dem absehbaren Ende des Zweiten Weltkrieges zusammen mit ungarischen Stellen planvoll und effizient die bis dahin physisch weitgehend unbehelligt lebenden ungarischen Juden deportierte und ermordete. Mehr als 400000 ungarische Juden wurden im Zeitraum von März bis Juli 1944 in Ghettos zusammengepfercht, deportiert und zum grössten Teil in Auschwitz ermordet. Warum fielen kurz vor dem Ende des faschistischen Deutschland so viele Juden der Shoah zum Opfer? Handelte es sich um eine Vernichtung um der Vernichtung willen, die dem eliminatorischen Antisemitismus der deutschen Besatzer entsprach? 

Aly und Gerlach verneinen das und zeigen die multikausalen Ursachen auf, die zur Ermordung der ungarischen Juden führten. Die unglaubliche Geschwindigkeit der Ghettoisierung, Deportation und Ermordung resultierte nach ihrer Ansicht einer verheerenden Verknüpfung von deutschem und ungarischem Antisemitismus, aber auch aus der "Umverteilung von kriegswichtigen Ressourcen", d. h. es ging um die Versorgung der kriegsmüden ungarischen Bevölkerung mit Gebrauchsgütern und die Stabilisierung der ungarischen Währung, dem Pengoe. Diese Verknüpfungen wurden bislang nicht erforscht. 

Aly und Gerlach haben umfassendes Dokumentenmaterial gesichtet und so zum ersten Mal auch die Finanzierung der Kriegs- und Besatzungskosten analysiert. Sie zeichnen ein sehr komplexes Bild der Judenverfolgung in Ungarn, wobei die Materialmenge manchmal zu Unübersichtlichkeit führt. Die Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung Ungarns radikalisierten sich im Verlauf kurzer Zeit. Diese Periode war weitaus kürzer als in vorangegangenen Phasen der Shoah, verlief in Ungarn in atemberaubendem Tempo. Die Autoren beschreiben diese Radikalisierung akribisch und werten dabei des Öfteren bislang unbeachtete Dokumente aus.

Überhaupt besticht die Studie von Aly und Gerlach durch ihre gute Quellenbasis und das Bemühen, sie zu sortieren. Leider bleibt es noch allzuoft beim Bemühen. Die Autoren sind sich dessen auch bewusst. Neben den ungarischen analysieren sie immer auch die deutschen Interessen an der Vernichtung und zeigen auf, dass die Vernichtung nicht im Widerspruch zur deutschen Kriegsführung stand. Zwar wurde eine große Anzahl kriegswichtiger Züge zur Deportation verwendet, das enteignete jüdische Vermögen und die Habseligkeiten der Deportierten wogen das jedoch mehr als auf. Die Umverteilung des jüdischen Eigentums diente somit unmittelbar einer kurzfristigen Verbesserung der Kriegslage. Ein siegreicher Krieg schien der ungarischen Regierung ein Garant für die Sicherheit der neuen, durch den Krieg und den Einfluss Deutschlands entstandenen Grenzen zu sein. Schließlich hatte Ungarn sein Territorium zwischen 1938-1941 beinahe verdoppelt. 

Der Studie fehlen die Stringenz und der rote Faden. Aly und Gerlach bleiben oft nicht bei einem Themenaspekt, sondern springen von Kapitel zu Kapitel, so dass eine Orientierung schwerfällt. Beim Leser bleibt nach der Lektüre eine leichte Verwirrung zurück – die Ordnung des Textes muss man schon selbst gedanklich herstellen.

hagalil.com 03-11-02











 

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2014 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved

ehem. IDPS (Israeli Data Presenting Services) Kirjath haJowel, Jerusalem