David Clay Large,
Hitlers
München.
Aufstieg und
Fall der
Hauptstadt der
Bewegung
Dtv 2001
Euro 13,50
Bestellen? |
"Als Adolf Hitler 1913 in München
ankam, ließ er sich am Rande des Künstler- und Akademieviertels
Schwabing nieder. Er tat dies, weil er sich für einen Künstler hielt und
im Zentrum der Ereignisse sein wollte. (...) Wenn München sich als Stadt
den Ruf eines deutschen Athens erworben hatte, dann Schwabing den der
Heimat der deutschen Bohème. Allerdings hatte sich diese Bohème einen
höchst unruhigen Ort ausgesucht, denn Schwabing war kein Refugium,
sondern ein Turnierplatz für die Konflikte und Antagonismen, mit denen
das neue Deutsche Reich zu kämpfen hatte."
Auch wenn es bereits einige
Untersuchungen zur Rolle Münchens in der Zeit des Nationalsozialismus
gab, David Clay Large bringt viele Aspekte aufs Tapet, die zuvor wenig
Beachtung fanden. Die fatale politische Rolle, die München zwischen 1919
und 1945 spielte, lasse sich, so die Grundthese des Buches, am besten
erklären, "wenn man für den Anfang der Geschichte in eine andere
historische Situation zurückgreift – in das sogenannte "goldene
Zeitalter" Münchens, das die drei oder vier Jahrzehnte vor Ausbruch des
Ersten Weltkrieges umfaßt."
Large setzt die Darstellung daher
mit der Prinzregentenära ein. Der problematische Aspekt der Kulturszene
in München wurde bereits um die Jahrhundertwende deutlich. Auf der einen
Seite brachte sie Werke von herausragender Bedeutung hervor, Blauer
Reiter und Jugendstil seien hier als Beispiele genannt, andererseits war
die Münchner Kultur durch eine deutliche Kritik der kosmopolitischen
Modernität und des politischen Liberalismus geprägt, die von der
politischen Rechten später aufgegriffen wurde.
Die sich
verschärfenden Zustände in der Stadt begannen schon in der als "gute
alte Zeit" angesehenen Regierungsperiode von Prinzregent Luitpold,
starker Bevölkerungswachstum, industrielle Expansion und ethnischer
Wandel brachten Veränderungen für Gesellschaft und Wirtschaft. Auch der
Antisemitismus prägte sich in dieser Zeit aus, mit den typischen
rassischen Merkmalen dieser Zeit. "Der Judenhaß fand unterschiedliche
Ventile, von Zeitungsartikeln, die mit bösartigen Anspielungen gespickt
waren, bis zu gelegentlichen handgreiflichen Attacken "patriotischer"
Rabauken."
Large führt zahlreiche Beispiele an,
aus dem Alltagsleben, aus Zeitungen oder aber auch von dem bekannten
Münchner Volkssänger Weiß Ferdl, der jedem Münchner auch heute noch ein
Begriff ist, und der seinerzeit auch mit gehässigen Reimen Anklang fand:
"Die Cohn und die Sarah/fahr'n im Auto dahin/Vorn stinkt's nach
Knoblauch/und hinten nach Benzin."
Large's Analyse ist dicht und
detailreiche, ohne dabei in Nebensächlichkeiten abzugleiten. Seine sehr
kurzweilige Darstellung zeichnet den Weg der Stadt von Prinzregent
Luitpolds Zeiten bis zum 2. August 1935 nach, als Hitler München
offiziell den Beinamen "Hauptstadt der Bewegung" verlieh. Daraufhin
wurde ein neues Stadtwappen erstellt, das Münchner Kindl unter dem
Hakenkreuzadler. München galt gleichzeitig auch als "Hauptstadt der
deutschen Kunst", leicht spöttelnd als "Hauptstadt der Erdbewegung",
München war Wirkungsbereich der "Weißen Rose" und vor den Toren der
Stadt wurde das erste Konzentrationslager errichtet, Stationen in
Large's Darstellung.
Schön, dass der Autor im Epilog zur
Nachkriegszeit kein Blatt vor den Mund nahm, wenn er festhält, dass
München erneut die heimliche Hauptstadt Deutschlands mit kosmpolitischem
Flair und dekadentem Chic wurde: "München wurde "groß" nicht nur "trotz"
Hitlers Versprechen, sondern auch weil die Stadt es verstand, die
Erinnerung an ihre zentrale Rolle im Dritten Reich zu verdrängen. (...)
An keinem anderen Ort hatte man, so schien es jedenfalls auf den ersten
Blick, mit den Geistern der Vergangenheit so gründlich aufgeräumt."
Erst Anfang der 1990er Jahre setzte
eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus
ein, so Large. Die anhaltenden Diskussionen um das
geplante NS-Dokumentationszentrum waren zu dieser Zeit noch
nicht in Sicht. |