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"Verniggerte Musik":
Wie drei Jazzer die Nazis überlebten

Von Reimar Paul
Junge Welt, 26.11.2002


Coco Schumann, Der Ghetto-Swinger. Eine Jazzlegende erzählt.
DTV 1997
Euro 14,50

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In den Knast oder ins KZ, weil man die falsche Musik gehört hat - das war in der Nazidiktatur Alltag. Wie Jazzmusiker und -anhänger von Gestapo und SS verfolgt wurden, schilderten am Wochenende in Hardegsen bei Göttingen drei Zeitzeugen. Emil Mangelsdorff, Günter Discher und Coco Schumann gehörten zu denen, die wegen ihrer Vorliebe für "entartete" oder "verniggerte" Musik ihre Freiheit verloren.

Mangelsdorff hatte eine Ausgabe der Stettiner Zeitung von 1938 mitgebracht. "Unappetitliche Dinge geschehen", schrieb das Blatt in einer "Konzertkritik": "Wir haben kein Verständnis für Leute, die Dschungelmusik nach Deutschland verpflanzen wollen. Die Nigger-Musik muß verschwinden". Die Reichsmusikkammer säuberte die Musik von "artfremden Einflüssen", "Nigger-Jazz" wurde nicht mehr im Radio gespielt.

Zunächst gab es aber noch Nischen für die Jazzer und Swinger. Mangelsdorff (Jahrgang 1925) spielte schon als 15jähriger Saxophon, 1940 gründete er den "Hot Club" in Frankfurt mit. Immer öfter kam die Gestapo ins Lokal. Mangelsdorff wurde verhört, eingesperrt, zur Wehrmacht einberufen und an die Front geschickt. In der UdSSR geriet er in Gefangenschaft. "Mein Schicksal war sicher nicht das schlimmste", sagte er. "Aber die Nazis haben mir die vier besten Jahren gestohlen".

Günter Discher (Jahrgang 1925) war Mitglied der "Hamburger Swing Jugend", die sich kulturell und politisch als oppositionell begriff. "Für uns verkörperte Swing ein neues Lebensgefühl", sagte Discher, "wir grüßten uns mit Swing-Heil". Nach einem Konzert im Alster-Pavillon riegelte die Gestapo das Gebäude ab. 400 Jugendliche wurden festgenommen, etwa 50 als Rädelsführer mit "Schutzhaftbefehl" in Konzentrationslager gebracht. "Mit Ketten an Armen und Beinen kam ich im KZ Moringen an", erinnert sich Discher. Er blieb dort mehrere Jahre im politischen Trakt des Lagers.

Coco Schumann (Jahrgang 1924) spielte hauptsächlich Swing in Berliner Kellerclubs. Von den Noten hatte die Band die englischen Titel abgeschnitten. Wenn die Spitzel der Reichsmusikkammer oder der Polizei kamen, wurde "Rosamunde" gesungen. 1943 wurde Schumann als "Halbjude" verhaftet und in das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo er als Schlagzeuger den "Ghetto Swingers" angehörte. Dann folgte der Transport ins Vernichtungslager Birkenau. "Als wir ankamen, hatten sie gerade die Band vergast", berichtete Schumann. Als Schlagzeuger und Gitarrist spielte er zur Unterhaltung der Lagerältesten und der SS. "Deswegen bin ich noch am Leben."

Nach dem Krieg prägte Emil Mangelsdorff als Solist und Komponist den Jazz in der BRD. Er war Mitglied des Jazz Ensembles des Hessischen Rundfunks und der German All Stars. Günter Discher legt noch heute als "Deutschlands ältester Discjockey" Swing-Musik auf, ausgewählt aus seiner Sammlung mit rund 25000 Platten. Coco Schumann, der als erster in Deutschland Jazz mit der E-Gitarre spielte, geht bis heute mit seiner Band auf Tour. Bis in die 80er Jahre hat er nicht über seine Vergangenheit gesprochen. "Ich wollte als Musiker akzeptiert werden, nicht als jemand, der im KZ war", meinte er. Mittlerweile sind seine Lebenserinnerungen als Buch erschienen. Alle drei Jazzer stehen für Vorträge zur Verfügung.

hagalil.com 23-12-02











 

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