In den Knast oder
ins KZ, weil man die falsche Musik gehört hat - das war in der
Nazidiktatur Alltag. Wie Jazzmusiker und -anhänger von Gestapo
und SS verfolgt wurden, schilderten am Wochenende in Hardegsen
bei Göttingen drei Zeitzeugen. Emil Mangelsdorff, Günter Discher
und Coco Schumann gehörten zu denen, die wegen ihrer Vorliebe
für "entartete" oder "verniggerte" Musik ihre Freiheit verloren.
Mangelsdorff hatte eine Ausgabe der Stettiner Zeitung von 1938
mitgebracht. "Unappetitliche Dinge geschehen", schrieb das Blatt
in einer "Konzertkritik": "Wir haben kein Verständnis für Leute,
die Dschungelmusik nach Deutschland verpflanzen wollen. Die
Nigger-Musik muß verschwinden". Die Reichsmusikkammer säuberte
die Musik von "artfremden Einflüssen", "Nigger-Jazz" wurde nicht
mehr im Radio gespielt.
Zunächst gab es aber noch Nischen für die Jazzer und Swinger.
Mangelsdorff (Jahrgang 1925) spielte schon als 15jähriger
Saxophon, 1940 gründete er den "Hot Club" in Frankfurt mit.
Immer öfter kam die Gestapo ins Lokal. Mangelsdorff wurde
verhört, eingesperrt, zur Wehrmacht einberufen und an die Front
geschickt. In der UdSSR geriet er in Gefangenschaft. "Mein
Schicksal war sicher nicht das schlimmste", sagte er. "Aber die
Nazis haben mir die vier besten Jahren gestohlen".
Günter Discher (Jahrgang 1925) war Mitglied der "Hamburger
Swing Jugend", die sich kulturell und politisch als
oppositionell begriff. "Für uns verkörperte Swing ein neues
Lebensgefühl", sagte Discher, "wir grüßten uns mit Swing-Heil".
Nach einem Konzert im Alster-Pavillon riegelte die Gestapo das
Gebäude ab. 400 Jugendliche wurden festgenommen, etwa 50 als
Rädelsführer mit "Schutzhaftbefehl" in Konzentrationslager
gebracht. "Mit Ketten an Armen und Beinen kam ich im KZ Moringen
an", erinnert sich Discher. Er blieb dort mehrere Jahre im
politischen Trakt des Lagers.
Coco Schumann (Jahrgang 1924) spielte hauptsächlich Swing in
Berliner Kellerclubs. Von den Noten hatte die Band die
englischen Titel abgeschnitten. Wenn die Spitzel der
Reichsmusikkammer oder der Polizei kamen, wurde "Rosamunde"
gesungen. 1943 wurde Schumann als "Halbjude" verhaftet und in
das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo er als Schlagzeuger den
"Ghetto Swingers" angehörte. Dann folgte der Transport ins
Vernichtungslager Birkenau. "Als wir ankamen, hatten sie gerade
die Band vergast", berichtete Schumann. Als Schlagzeuger und
Gitarrist spielte er zur Unterhaltung der Lagerältesten und der
SS. "Deswegen bin ich noch am Leben."
Nach dem Krieg prägte Emil Mangelsdorff als Solist und
Komponist den Jazz in der BRD. Er war Mitglied des Jazz
Ensembles des Hessischen Rundfunks und der German All Stars.
Günter Discher legt noch heute als "Deutschlands ältester
Discjockey" Swing-Musik auf, ausgewählt aus seiner Sammlung mit
rund 25000 Platten. Coco Schumann, der als erster in Deutschland
Jazz mit der E-Gitarre spielte, geht bis heute mit seiner Band
auf Tour. Bis in die 80er Jahre hat er nicht über seine
Vergangenheit gesprochen. "Ich wollte als Musiker akzeptiert
werden, nicht als jemand, der im KZ war", meinte er.
Mittlerweile sind seine Lebenserinnerungen als Buch erschienen.
Alle drei Jazzer stehen für Vorträge zur Verfügung.