Y. Michal Bodemann:
In den Wogen der Erinnerung. Jüdische Existenz in Deutschland.
Dtv 2002,
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"Gedächtnistheater" hieß die 1996
erschienene Streitschrift des in Toronto lehrenden Soziologen Y. Michal
Bodemann. Es war wohl der gegen modische Strömungen gerichtete Begriff,
der viele Rezensenten die im Untertitel verborgene These übersehen ließ:
"Die jüdische Gemeinschaft und ihre Erfindung". In seinem neuen Buch
vollzieht Bodemann den Schritt vom "Gedächtnis" zur "Erinnerung", von
der durch Fremdzuschreibungen und deren Übernahme durch Repräsentanten
der Juden in Deutschland behaupteten "Erfindung" hin zur tatsächlichen
jüdischen "Existenz" in diesem Land. "Die
ideologische Arbeit der Juden besteht für Deutschland in ihrem Erinnern,
sowohl an den Holocaust wie auch an die Ereignisse der deutschen
Geschichte seit der Reichsgründung 1870/71 bis 1933, an denen Juden
sichtbaren Anteil hatten." Daneben gebe es – die Bücher von Goldhagen
und Finkelstein und die umstrittene Plakataktion für das Mahnmal in
Berlin waren besonders drastische Fälle – eine Gedenkkultur, die
lediglich ein "dehistorisiertes nationales Schuld-Narrativ" tradierten,
statt endlich die "Anerkennung des jüdischen Ethnos" glaubhaft zu
betreiben.
In zehn Kapiteln werden die "Wogen" verfolgt, denen
die jüdische Gemeinschaft in Deutschland ausgesetzt ist. Bodemanns
Analysen behandeln Diskurse, die diversen Debatten um Martin Walser
eingeschlossen, in denen sich früher oder später die "Nichtanerkennung
jüdischer Alterität" als Grundhaltung der Beteiligten durchsetzt. Der
Soziologe unterscheidet davon jenes "auf deutscher Seite" bestehende
"authentische Bedürfnis nach Katharsis".
"Scham, Gefühle der Schuld und der Trauer" sind für
Bodemann die anzuerkennenden Haltungen, die zu einer Bewältigung des
Geschehenen gehören.So werden Herlinde Koelbls Bilder jüdischer
Emigranten ebenso neu gelesen, wie die "jüdische Ikonographie in
Deutschland". Stets geht es um die Bereitschaft, Differenz und
Andersheit zu akzeptieren, auszuhalten und als Ausgangspunkt für die
Kommunikation zu nehmen.
Eine These etwa, die behauptet, es sei ein "großer
Unterscheid, ob ein nichtjüdischer Autor ein jüdisches Thema anfasst
oder ob dies ein jüdischer Autor tut", mag selbstverständlich sein, ist
es aber in der öffentlichen Wahrnehmung ganz und gar nicht. Nicht
umsonst werden gern Juden wie Victor Klemperer zu Vorbildern auserkoren,
die alles "Jüdische" abgestreift haben. Bodemann plädiert für ein
jüdisches Selbstbewusstsein, das auf bewusster Wahrnehmung und Pflege
der eigenen Traditionen beruht. Nur so seien die notwendigen Gespräche
über Vergangenheit und Zukunft mit Nichtjuden möglich – jenseits aller
Formen einer "negativen Symbiose" (Dan Diner). |