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Henning Mankell:
Hunde von Riga

dtv 20294

 
Leseprobe

9

Der strenge Geruch feuchter Wolle.
So würde sich Kurt Wallander an seine Autofahrt durch Riga in jener Nacht erinnern. Er hatte sich geduckt und auf ' den Rücksitz gesetzt, und noch bevor sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnen konnten, hatten unbekannte Hände ihm hastig eine Kapuze über den Kopf gezogen. Sie hatte nach Wolle gerochen, und als ihm allmählich der Schweiß aus den Poren drang, hatte seine Haut angefangen zu jucken. Aber seine Angst, das beklemmende Gefühl, daß etwas nicht stimmte, ganz und gar nicht stimmte, war wie weggeblasen, als er auf dem Rücksitz lag. Eine Stimme, von der er annahm, daß sie zu den Händen gehörte, die ihm die Kapuze über den Kopf gezogen hatten, redete beruhigend auf ihn ein. We are no terrorists. We just have to be cautious. Er hatte die Stimme des Anrufers wiedererkannt, die Stimme, die nach Herrn Eckers gefragt hatte, um sich dann dafür zu entschuldigen, sich verwählt zu haben. Die beruhigende Stimme klang überzeugend, und später dachte er daß die Menschen in den chaotischen und zerfallenden Staaten Osteuropas genau dies lernen mußten. Völlig überzeugend zu wirken, wenn sie beteuerten, daß es nichts Bedrohliches gab, wenn in Wirklichkeit alles bedrohlich war.
Das Auto war unbequem. Das Motorengeräusch sagte ihm, daß es ein russisches Fabrikat war, vermutlich ein Lada. Er konnte nicht herausfinden, wie viele Menschen sich im Auto befanden, es waren mindestens zwei, denn vor ihm saß jemand, der hustete und fuhr und neben ihm saß der Mann, der beruhigend auf ihn eingeredet hatte. Hin und wieder, wenn eines der Fenster heruntergekurbelt wurde, damit der Zigarettenrauch abziehen konnte, drang ein kalter Luftzug an sein Gesicht. Für einen kurzen Moment meinte er einen schwachen Parfümgeruch im Auto wahrzunehmen, Baiba Liepas Parfüm, aber im nächsten Moment begriff er daß dies Einbildung oder vielleicht Wunschdenken war. Es war unmöglich herauszufinden, ob sie langsam oder schnell fuhren. Aber plötzlich veränderte sich der Straßenbelag, und er nahm an, daß sie die Stadt hinter sich gelassen hatten. Von Zeit zu Zeit wurde der Wagen abgebremst und bog ab, einmal fuhren sie durch einen Kreisverkehr. Er versuchte zu schätzen, wie lange sie unterwegs waren, hatte aber bald jedes Zeitgefühl verloren. Endlich endete die Fahrt irgendwo. Der Wagen bog ein letztes Mal ab und rumpelte und holperte, als fahre er querfeldein. Der Fahrer schaltete den Motor ab, die Türen wurden geöffnet, und man half ihm aus dem Wagen.
Es war kalt, und er meinte den Geruch von Tannen wahrzunehmen. Jemand hielt ihn am Arm, damit er nicht stolperte. Er wurde eine Treppe hinaufgeführt, eine Tür quietschte in den Scharnieren, und er betrat einen Raum, in dem es warm war. Der Geruch von Petroleum schlug ihm entgegen, und plötzlich wurde ihm die Kapuze vom Kopf gezogen. Er erschrak, weil er plötzlich wieder sehen konnte. Der Schock war jetzt größer als vorhin, als man ihm die Kapuze über das Gesicht gestülpt hatte. Der Raum war länglich und hatte grobgezimmerte Holzwände, und sein erster Gedanke war daß er sich in einer Art Jagdhütte befand. Ein Hirschkopf hing über einem offenen Kamin an der Wand, die Möbel im Raum waren aus hellem Holz gefertigt, und zwei Petroleumlampen bildeten die einzige Beleuchtung.
Der Mann mit der beruhigenden Stimme ergriff wieder das Wort. Sein Gesicht entsprach nicht dem Bild, das Wallander sich gemacht hatte - soweit er sich überhaupt ein Bild gemacht hatte. Der Mann war klein gewachsen und ungeheuer mager als habe er ein schweres Leiden durchgemacht oder sich frei willig einer Hungerkur unterzogen. Das Gesicht war blaß, eine dicke Hornbrille schien allzu groß und schwer auf seinen Backenknochen zu ruhen, und Wallander konnte nicht sagen, ob der Mann fünfundzwanzig oder fünfzig war. Er lächelte jedenfalls und zeigte auf einen Stuhl. Wallander setzte sich. Sit down, please, sagte der Mann mit der ruhigen Stimme. Aus der Dunkelheit tauchte lautlos ein anderer Mann mit einer Thermoskanne und ein paar Tassen auf. Vielleicht ist es der Fahrer dachte Wallander. Er war älter dunkelhaarig, ein Mensch, der selten zu lächeln schien. Wallander bekam eine Tasse Tee, die zwei Männer setzten sich an die andere Seite des Tisches, und der Fahrer drehte vorsichtig den Docht der Petroleumlampe hoch. Ein fast unhörbares Geräusch drang an Wallanders Ohr. Es kam aus der Dunkelheit jenseits des Lichtkegels, den die Petroleumlampen verbreiteten. Hier ist noch jemand, dachte er. Jemand, der gewartet hat, jemand, der Tee gekocht hat.
»Außer Tee können wir Ihnen leider nichts anbieten«, sagte der Mann mit der beruhigenden Stimme. »Aber Sie haben ja zu Abend gegessen, kurz bevor wir Sie abgeholt haben, Herr Wallander. Wir werden Sie auch nicht lange aufhalten.«
Etwas an diesen Worten machte Wallander wütend. Solange er Herr Eckers gewesen war hatte er noch das Gefühl gehabt, daß ihn das Ganze eigentlich persönlich gar nichts anging. Aber jetzt war er Herr Wallander, und von ihren unsichtbaren Gucklöchern aus hatten sie ihn überwacht, hatten ihn essen sehen und nur den kleinen Fehler begangen, wenige Sekunden zu früh anzurufen, noch bevor er dazu gekommen war die Tür zu seinem Zimmer aufzuschließen.
»Ich habe allen Grund, Ihnen zu mißtrauen«, sagte er. »Ich weiß nicht einmal, wer Sie sind. Wo ist Baiba Liepa, die Witwe des Majors?«
»Sie müssen meine Unhöflichkeit entschuldigen. Mein Name ist Upitis. Sie können völlig beruhigt sein. Sobald unser Gespräch hier beendet ist, werden Sie in Ihr Hotel zurückkehren können. Das garantiere ich Ihnen.«
Upitis, dachte Wallander. Wie Herr Eckers. Wie auch immer er heißen mag, so heißt er bestimmt nicht.
»Die Garantie eines Unbekannten ist nichts wert«, sagte Wallander. »Sie entführen mich, mit einer Kapuze über dem Kopf.« (Hieß Kapuze wirklich hood?) »Ich bin auf Frau Liepas Bedingungen zu diesem Treffen eingegangen, weil ich ihren Mann kannte. Ich nahm an, sie könne mir etwas erzählen, was der Polizei Klarheit darüber verschafft, warum Major Liepa sterben mußte. Wer Sie sind, weiß ich nicht. Ich habe also allen Grund, Ihnen zu mißtrauen.«
Der Mann, der behauptete, Upitis zu heißen, nickte nachdenklich und zustimmend.
»Ich bin ganz Ihrer Meinung«, sagte er. »Aber Sie dürfen nicht glauben, daß wir ohne Grund so vorsichtig sind. Es handelt sich leider um unverzichtbare Vorsichtsmaßnahmen. Frau Liepa kann heute abend nicht bei uns sein. Aber ich spreche in ihrem Auftrag mit Ihnen.«
»Wie soll ich mir dessen sicher sein? Was wollen Sie eigentlich von mir?«
»Wir möchten, daß Sie uns helfen.«
»Warum glauben Sie, mir einen falschen Namen nennen zu müssen? Warum ein geheimer Treffpunkt?«
»Wie ich Ihnen bereits gesagt habe, ist dies leider notwendig. Sie sind noch nicht sehr lange in Lettland, Herr Wallander. Sie werden es später verstehen.«
»Wie soll ich Ihnen überhaupt helfen können?«
Wieder hörte er das kaum wahrnehmbare Geräusch aus der Dunkelheit hinter dem schwachen Lichtschein der Petroleumlampen. Baiba Liepa, dachte er. Sie zeigt sich nicht, aber sie ist hier, ganz in meiner Nähe.
»Sie müssen sich noch ein paar Minuten gedulden«, fuhr Upitis fort. »Lassen Sie mich etwas über Lettland erzählen.«
»Ist das wirklich nötig? Lettland ist ein Land wie andere Länder auch. Obwohl ich gestehen muß, daß ich die Landesfarben nicht kenne.«
»Ich glaube schon, daß es nötig ist. Wenn Sie sagen, unser Land sei wie alle anderen Länder auch, wird mir klar, daß es gewisse Dinge gibt, die Sie unbedingt verstehen müssen.«
Wallander nahm einen Schluck von dem lauwarmen Tee. Er versuchte, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Er glaubte aus den Augenwinkeln einen schwachen Lichtstreifen sehen zu können. Möglicherweise eine Tür, die nicht ganz geschlos sen war.
Der Fahrer wärmte sich die Hände an seiner Teetasse. Seine Augen waren geschlossen, und Wallander verstand, daß er sich ' nicht an dem Gespräch beteiligen würde.
»Wer sind Sie?« fragte er. »Lassen Sie mich wenigstens so viel wissen.«
»Wir sind Letten«, antwortete Upitis. »Wir sind zufällig während einer besonders unglücklichen Epoche in diesem gemarterten Land geboren worden, unsere Wege haben sich gekreuzt, und wir haben begriffen, daß wir eine gemeinsame Aufgabe haben, der wir uns nicht entziehen dürfen.«
»Major Liepa ...?« begann Wallander, ließ die Frage dann aber im Raum schweben.
»Lassen Sie mich von vorne anfangen«, sagte Upitis. »Sie müssen verstehen, daß unser Land sich am Rande eines endgültigen Zusammenbruchs befindet. Wie in den beiden anderen baltischen Staaten und den anderen Ländern, die von der Sowjetunion bisher wie Kolonien beherrscht wurden, versuchen die Menschen hier, jene Freiheit wiederzuerobern, die ihnen nach dem Zweiten Weltkrieg genommen wurde. Aber die Freiheit wird im Chaos geboren, Herr Wallander, und in den Schatten lauern Ungeheuer mit grausamen Absichten. Es wäre ein katastrophaler Irrtum zu glauben, man könne einfach für oder gegen die Freiheit sein. Die Freiheit hat viele Gesichter.«











 

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