Günter Grass:
Mein Jahrhundert
Günter
Grass, Mein Jahrhundert
DTV 2001
ISBN: 3423128801
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Leseprobe:
Beinhart sei ich, heißt es. Was
soll’s! Hätte ich etwa, nur weil ich eine Frau bin, Schwäche zeigen
sollen? Der mich hier niederschreibt und meint, mir ein Zeugnis
ausstellen zu dürfen – "Sozialverhalten mangelhaft!" –, wird, bevor er
meine unterm Strich stets erfolgreichen Tätigkeiten als Pleiten
auspinselt, zur Kenntnis nehmen müssen, daß ich alle, aber auch alle
Untersuchungsausschüsse bei bester Gesundheit, das heißt unbeschadet
überstanden habe und auch im Jahr 2000, wenn dann die Expo läuft, allen
Korinthenkackern und Fliegenbeinzählern gewachsen sein werde. Sollte ich
aber fallen, weil plötzlich diese Sozialromantiker das Sagen haben,
werde ich weich fallen und mich auf unseren Familiensitz mit Elbblick
zurückziehen, der mir blieb, als Papa, einer der letzten großen
Privatbankiers, in den Bankrott getrieben wurde. Dann werde ich "Was
soll’s" sagen und den Schiffen, besonders den Containerschiffen mein
Augenmerk schenken: wie sie stromaufwärts nach Hamburg ziehen oder von
dort tiefliegend, weil schwer beladen, Richtung Elbmündung ins Meer, den
vielen Meeren entgegen Kurs halten. Und wenn dann bei Sonnuntergang
Stimmung aufkommt, der Fluß alle Farben durchspielt, werde ich
nachgeben, mich den schnell zerfließenden Bildern hingeben, nur noch
Gefühl sein, ganz weich...
Aber ja! Ich liebe die Poesie,
doch auch das monetäre Wagnis, gleichfalls das Nichtkalkulierbare, wie
einst die "Treuhand", die unter meiner, schließlich nur unter meiner
Aufsicht Milliarden bewegt, vieltausend Betriebsruinen in Rekordzeit
abgewickelt und Leerraum fürs Neue geschaffen hat, weshalb dieser Herr,
der offenbar vorhat, die von mir für erbrachte Leistung gewährten
Spitzengehälter mit unvermeidbaren Sanierungsschäden zu verrechnen,
einen – wie gehabt – übergewichtigen Roman plant, in dessen Verlauf er
mich mit einer Figur aus dem Werk des Dichters Fontane in Vergleich
bringen will, nur weil eine gewisse "Frau Jenny Treibel" es genau wie
ich verstanden hat, das Geschäftliche mit der Poesie zu verbinden...
Warum nicht? Werde fortan nicht
nur die beinharte "Frau Treuhand" sein – auch "Eiserne Lady" genannt –,
sondern obendrein zum Bestand der Literaturgeschichte gezählt werden.
Dieser Sozialneid und Haß auf uns Besserverdienende! Als hätte ich mir
den einen, den anderen Job ausgesucht. Jedesmal rief die Pflicht.
Berufen wurde ich jedesmal, ob nach Hannover als Minister für Wirtschaft
oder später ins große Haus in der Wilhelmstraße, als dort mein Vorgänger
– von wem wohl? – einfach weggeschossen wurde, worauf bei der Treuhand
Not am Mann war. So auch die Expo 2000. Hat man mir aufgedrängt, und
zwar, weil ich Wagnisse nicht scheue, weil ich niemandem, allenfalls dem
Markt hörig bin und Verluste wegstecken kann, weil ich Schulden mache,
die sich lohnen, und weil ich jedes Ding beinhart durchstehe, koste es,
was es wolle...
Zugegeben: Es gab Arbeitslose,
gibt sie immer noch. Der Herr, der mich niederschreibt, will mir
Hunderttausende anhängen. Was soll’s, sag ich mir. Denen bleibt immer
noch die soziale Hängematte, während ich mich rastlos neuen Aufgaben zu
stellen habe, denn als vierundneunzig die Treuhand ihr unvergleichliches
Werk vollbracht und die Überreste kommunistischer Planwirtschaft
planiert hatte, mußte ich mich sofort aufs nächste Abenteuer, die
Weltausstellung, vorbereiten. Was heißt vorbereiten? Aufs laufende
Pferd, Expo genannt, galt es zu springen. Einer noch vagen Idee sollte
Leben eingehaucht werden. Dabei hätte ich mich viel lieber, weil ja
gewissermaßen arbeitslos, faul und auf Staatskosten in solch eine
Hängematte gelümmelt, mit Vorzug natürlich auf der Terrasse unseres
Familiensitzes mit Elbblick, den ich aber leider nur noch selten und so
gut wie nie vor Sonnuntergang genießen darf, weil mir die Treuhand immer
noch anhängt, weil mir schon wieder mit einem Untersuchungsausschuß
gedroht wird, weil dieser Herr, der mich unter dem Jahr 1994 abbuchen
will, nun vorhat, mir die ganz große Rechnung aufzumachen: Ich – und
nicht die westdeutsche Kali-Industrie – soll Bischofferode, das Aus für
ein paar tausend Kalibergleute verschuldet haben; ich – und nicht etwa
Krupp – soll in Oranienburg das Stahlwerk plattgemacht haben; ich – und
kein bißchen Schweinfurts Kugelfischer – soll es gewesen sein, die
sämtliche Kugellagerwerke aus grauer DDR-Zeit in den Ruin getrieben hat;
mir wird der Trick untergeschoben, mit staatlichen Ostgeldern maroden
Westbetrieben – etwa Bremens Vulkanwerft – auf die Sprünge geholfen zu
haben; mir, der Frau Treuhand, auch Jenny Treibel genannt, soll
bildträchtig – und auf Kosten hilflos zappelnder Menschlein – ein
Milliardenschwindel von der Hand gegangen sein...
Nein. Mir hat keiner was
geschenkt. Alles habe ich mir nehmen müssen. Kein Kleckerkram mit
sozialem Klimbim, nur gigantische Aufgaben haben mich herausfordern
können. Ich liebe nun mal das Risiko, und das Risiko liebt mich. Wenn
aber eines Tages das Gerede über die angeblich zu hohe Arbeitslosigkeit
und die spurlos, ich betone, spurlos verschwundenen Gelder vorbei sein
wird, wenn ab 2000 kein Hahn mehr wegen subventionierter Eintrittskarten
für die Expo krähen und niemand mehr über ähnliche Kinkerlitzchen reden
will, wird man erkennen, welch immense Freiräume die Treuhand durch
beinhartes Abräumen erkämpft hat und daß man die möglichen Verluste der
Weltausstellung getrost der Zukunft, unserer gemeinsamen Zukunft,
gutschreiben kann. Ich jedoch werde endlich von unserem Familiensitz aus
den Elbblick, die Poesie eines geschäftigen Stromes und kostenlos
Sonnuntergänge genießen dürfen; es sei denn, man stellt mich vor das
Wagnis neuer Aufgaben. Zum Beispiel könnte es mich reizen, aus zentraler
Position den dann fälligen Umtausch der harten D-Mark gegen den Euro in
Schein und Münze zu lenken...
Was soll’s, werde ich mir dann
sagen und hart, notfalls beinhart zugreifen. Und niemand, auch Sie
nicht, mein Herr, der mich niederschreiben will, wird die Frau, die
keine Schwäche kennt, vor jener Spielart von Pleite bewahren können, die
von Format ist und allein schon deshalb Erfolg verspricht...
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