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Politischer Antisemitismus in Österreich:
"Dreck am Stecken" / Politik der Ausgrenzung

Rezension von Karl Pfeifer


Anton Pelinka, Ruth Wodak (Hg.): "Dreck am Stecken". Politik der Ausgrenzung.
Czernin Verlag Wien, 2002
EURO 22,-

AutorInnen:
Dietz Bering, Konrad Ehlich, Nina Eger, Richard Mitten, Wolfgang Neugebeuer, Anton Pelinka, Alexander Pollak, Martin Reisigl, Siglinde Katharina Rosenberger, Heribert Schiedel, Frank Stern, Christian Stöger und Ruth Wodak.

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Rund um die Auseinandersetzung im Vorfeld der Wiener Landtags- und Gemeinderatswahl griff Jörg Haider, der als Bundesparteiobmann die FPÖ innerhalb von 13 Jahren von einer 5- zu einer 27-Prozent Partei gemacht hatte, zu einer in der Zweiten Republik nicht ganz neuen Qualität der politischen Rhetorik: Antisemitismus - nicht verschämt und nicht nur am Biertisch, sondern nur dürftig kodiert als offenes Instrument der Auseinandersetzung. Wir waren schon einigemal in diesem Film.

In einem Land, in dem die meisten Medien und natürlich konservative Politiker das Wort Ausgrenzung hauptsächlich benützen, um die FPÖ und Jörg Haider zu bedauern, finde ich den Titel schlecht gewählt. Denn hier geht es ja nicht um die angebliche Ausgrenzung einer (Regierungs)Partei, sondern um die Ausgrenzung von Juden durch Politiker eben dieser Partei. "Dreck am Stecken" erweckt den Anschein, dieses Buch würde sich lediglich mit dem implizit antisemitischen Wahlkampf beschäftigen, den der wirkliche Anführer der FPÖ 2001 in Wien geführt hat.

Haiders Angriffe auf Ariel Muzicant, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, waren Gegenstand eines Gerichtsverfahrens, für den verschiedene Gutachten angefertigt wurden. Diese sind auch die Grundlage dieses Buches, doch andere wichtige Beiträge befassen sich im Detail mit dem politischen Antisemitismus in der Zweiten Republik, insbesondere mit demjenigen, der von der ÖVP zur Zeit der Wahlkampagne für Waldheim und während seiner Zeit als Bundespräsident benützt wurde und mit dem Antisemitismus, den Heribert Schiedel und Wolfgang Neugebauer in ihrem einleitenden Beitrag bei Jörg Haider und der FPÖ geortet haben. Sie dokumentieren mit Fallbeispielen "Völkischen Nationalismus", "Schuld- und Erinnerungsabwehr" und "Autoritäre Rebellion".

Die Herausgeber finden in ihrem Vorwort: "Der Skandal heißt also nicht Haider. Haider wäre bedeutungslos hätten ihn nicht 27 Prozent der WählerInnen gewählt. Das ist der Skandal." Dieser Schluß packt aber das Problem nicht bei der Wurzel. Nicht die Wähler sind der Skandal sondern die Medienlandschaft und unerhörte Medienkonzentration sowie der Zustand der politischen Kultur, die nicht die konkrete Ablehnung des Antisemitismus beinhaltet.

Weil - wie im Buch demonstriert - es genügend wissenschaftliche Befunde gibt, die zeigen, wie sehr noch über fünf Jahrzehnte nach der Befreiung Österreichs durch die Alliierten der Antisemitismus in der österreichischen Bevölkerung verwurzelt ist, wollen (mit wenigen ehrenden Ausnahmen) Politiker nicht dagegen auftreten. Im Fall von Wolfgang Schüssel kommt dazu, dass er nie ohne die FPÖ hätte Bundeskanzler werden können und auch wußte, dass seine eigene Partei die "Emotionen, die wir alle nicht wollen" während der Wahlkampagne für Waldheim eingesetzt hatte.

Unmittelbar nach der "Aschermittwochrede" Haiders, in der dieser Ariel Muzicant vorwarf "Dreck am Stecken" zu haben, äußerte der Bundeskanzler unter Bezugnahme auf Entschädigungsregelungen Kritik an Muzicant. Erst im Zuge internationaler Aufmerksamkeit betonte Schüssel schließlich, dass es keine Scherze mit Namen geben dürfe, ja "nicht einmal angedeutetes Spiel mit Emotionen, was Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit betrifft." Eine inhaltliche Stellungnahme vom Bundeskanzler blieb ausständig. Sein Schweigen spricht laut, denn noch am 29. Oktober 1999 plädierte er im Parlament dafür, dass ein Totstellen bei Auftreten von Antisemitismus in Österreich nicht sein dürfe. Doch der Bundeskanzler betrieb eine Strategie des "Herunterspielens", zum Beispiel als er meinte eine Faschingsrede sei kein politisches Hochamt.

Jörg Haider interpretierte Schüssels Verhalten dahingehend, dass seine Äußerung nicht antisemitisch sein könne, denn sonst hätte der Bundeskanzler diese doch verurteilt. Ernst Strasser - also ein Mitglied der auch von Haider und der FPÖ getragenen Bundesregierung - antwortete auf die direkte Frage "Waren sie [die Worte Haiders bei der Rede am 28.2.2001] antisemitisch?" mit der klaren Aussage: "Das sind Äußerungen, die durchaus so zu benennen sind." Doch politische Konsequenzen werden wegen antisemitische Äußerungen eines Politikers in Österreich nicht gezogen. Und das unterscheidet Österreich von anderen Ländern in Westeuropa.

Im Buch wird auch gezeigt, wie die schwarz-blaue Koalition mit Schlagwörtern wie "nationaler Schulterschluss", "rot-weiß-roter Konsens" sowie Anrufungen des "Patriotismus" versuchte jede konkrete Kritik an antisemitischen oder nazoiden Phänomenen zu delegitimieren und die Kritiker auszugrenzen.

Für österreichische Politiker sollte dieses Buch, das sich mit dem politischen Antisemitismus der Zweiten Republik intensiv auseinandersetzt zur Pflichtlektüre werden. Wir haben es in Österreich mit einem Antisemitismus ohne Juden und ohne Antisemiten zu tun. Fast niemand bekennt sich offen dazu. Das ist auch mit ein Grund, warum Politiker sich in der Regel scheuen, diesem offen und offensiv entgegenzutreten. Der politische Antisemitismus ist aber kein Problem der wenigen Juden, sondern der gesamten österreichischen Gesellschaft.

Politiker, die dies nicht begreifen, die Angst vor Massenmedien oder Konkurrenten haben, weil diese sie als "antiösterreichische Vernaderer" anprangern könnten, werden auf lange Sicht keinen Erfolg haben. Ohne gründliche Aufklärung werden sich die Verhältnisse nicht ändern. Immer wieder wird versucht den früheren Erfolg Haiders mit dem sozialen Unbehagen, mit der Rebellion gegen eine Erstarrung zu erklären, doch Haider ging und geht es nicht um eine wirkliche Änderung der Verhältnisse sondern im Gegenteil um die Perpetuierung derselben und den Fortbestand des Unbehagens.

 

hagalil.com 18-12-02











 

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