Rund um die
Auseinandersetzung im Vorfeld der Wiener Landtags- und
Gemeinderatswahl griff Jörg Haider, der als Bundesparteiobmann
die FPÖ innerhalb von 13 Jahren von einer 5- zu einer 27-Prozent
Partei gemacht hatte, zu einer in der Zweiten Republik nicht
ganz neuen Qualität der politischen Rhetorik: Antisemitismus -
nicht verschämt und nicht nur am Biertisch, sondern nur dürftig
kodiert als offenes Instrument der Auseinandersetzung. Wir waren
schon einigemal in diesem Film.In einem Land, in dem die
meisten Medien und natürlich konservative Politiker das Wort
Ausgrenzung hauptsächlich benützen, um die FPÖ und Jörg Haider
zu bedauern, finde ich den Titel schlecht gewählt. Denn hier
geht es ja nicht um die angebliche Ausgrenzung einer
(Regierungs)Partei, sondern um die Ausgrenzung von Juden durch
Politiker eben dieser Partei. "Dreck am Stecken" erweckt den
Anschein, dieses Buch würde sich lediglich mit dem implizit
antisemitischen Wahlkampf beschäftigen, den der wirkliche
Anführer der FPÖ 2001 in Wien geführt hat.
Haiders Angriffe auf Ariel Muzicant, Präsident der
Israelitischen Kultusgemeinde, waren Gegenstand eines
Gerichtsverfahrens, für den verschiedene Gutachten angefertigt
wurden. Diese sind auch die Grundlage dieses Buches, doch andere
wichtige Beiträge befassen sich im Detail mit dem politischen
Antisemitismus in der Zweiten Republik, insbesondere mit
demjenigen, der von der ÖVP zur Zeit der Wahlkampagne für
Waldheim und während seiner Zeit als Bundespräsident benützt
wurde und mit dem Antisemitismus, den Heribert Schiedel und
Wolfgang Neugebauer in ihrem einleitenden Beitrag bei Jörg
Haider und der FPÖ geortet haben. Sie dokumentieren mit
Fallbeispielen "Völkischen Nationalismus", "Schuld- und
Erinnerungsabwehr" und "Autoritäre Rebellion".
Die Herausgeber finden in ihrem Vorwort: "Der Skandal heißt
also nicht Haider. Haider wäre bedeutungslos hätten ihn nicht 27
Prozent der WählerInnen gewählt. Das ist der Skandal." Dieser
Schluß packt aber das Problem nicht bei der Wurzel. Nicht die
Wähler sind der Skandal sondern die Medienlandschaft und
unerhörte Medienkonzentration sowie der Zustand der politischen
Kultur, die nicht die konkrete Ablehnung des Antisemitismus
beinhaltet.
Weil - wie im Buch demonstriert - es genügend
wissenschaftliche Befunde gibt, die zeigen, wie sehr noch über
fünf Jahrzehnte nach der Befreiung Österreichs durch die
Alliierten der Antisemitismus in der österreichischen
Bevölkerung verwurzelt ist, wollen (mit wenigen ehrenden
Ausnahmen) Politiker nicht dagegen auftreten. Im Fall von
Wolfgang Schüssel kommt dazu, dass er nie ohne die FPÖ hätte
Bundeskanzler werden können und auch wußte, dass seine eigene
Partei die "Emotionen, die wir alle nicht wollen" während der
Wahlkampagne für Waldheim eingesetzt hatte.
Unmittelbar nach der "Aschermittwochrede" Haiders, in der
dieser Ariel Muzicant vorwarf "Dreck am Stecken" zu haben,
äußerte der Bundeskanzler unter Bezugnahme auf
Entschädigungsregelungen Kritik an Muzicant. Erst im Zuge
internationaler Aufmerksamkeit betonte Schüssel schließlich,
dass es keine Scherze mit Namen geben dürfe, ja "nicht einmal
angedeutetes Spiel mit Emotionen, was Antisemitismus, Rassismus
und Fremdenfeindlichkeit betrifft." Eine inhaltliche
Stellungnahme vom Bundeskanzler blieb ausständig. Sein Schweigen
spricht laut, denn noch am 29. Oktober 1999 plädierte er im
Parlament dafür, dass ein Totstellen bei Auftreten von
Antisemitismus in Österreich nicht sein dürfe. Doch der
Bundeskanzler betrieb eine Strategie des "Herunterspielens", zum
Beispiel als er meinte eine Faschingsrede sei kein politisches
Hochamt.
Jörg Haider interpretierte Schüssels Verhalten dahingehend,
dass seine Äußerung nicht antisemitisch sein könne, denn sonst
hätte der Bundeskanzler diese doch verurteilt. Ernst Strasser -
also ein Mitglied der auch von Haider und der FPÖ getragenen
Bundesregierung - antwortete auf die direkte Frage "Waren sie
[die Worte Haiders bei der Rede am 28.2.2001] antisemitisch?"
mit der klaren Aussage: "Das sind Äußerungen, die durchaus so zu
benennen sind." Doch politische Konsequenzen werden wegen
antisemitische Äußerungen eines Politikers in Österreich nicht
gezogen. Und das unterscheidet Österreich von anderen Ländern in
Westeuropa.
Im Buch wird auch gezeigt, wie die schwarz-blaue Koalition
mit Schlagwörtern wie "nationaler Schulterschluss",
"rot-weiß-roter Konsens" sowie Anrufungen des "Patriotismus"
versuchte jede konkrete Kritik an antisemitischen oder nazoiden
Phänomenen zu delegitimieren und die Kritiker auszugrenzen.
Für österreichische Politiker sollte dieses Buch, das sich
mit dem politischen Antisemitismus der Zweiten Republik intensiv
auseinandersetzt zur Pflichtlektüre werden. Wir haben es in
Österreich mit einem Antisemitismus ohne Juden und ohne
Antisemiten zu tun. Fast niemand bekennt sich offen dazu. Das
ist auch mit ein Grund, warum Politiker sich in der Regel
scheuen, diesem offen und offensiv entgegenzutreten. Der
politische Antisemitismus ist aber kein Problem der wenigen
Juden, sondern der gesamten österreichischen Gesellschaft.
Politiker, die dies nicht begreifen, die Angst vor
Massenmedien oder Konkurrenten haben, weil diese sie als
"antiösterreichische Vernaderer" anprangern könnten, werden auf
lange Sicht keinen Erfolg haben. Ohne gründliche Aufklärung
werden sich die Verhältnisse nicht ändern. Immer wieder wird
versucht den früheren Erfolg Haiders mit dem sozialen Unbehagen,
mit der Rebellion gegen eine Erstarrung zu erklären, doch Haider
ging und geht es nicht um eine wirkliche Änderung der
Verhältnisse sondern im Gegenteil um die Perpetuierung derselben
und den Fortbestand des Unbehagens.