Wolfgang Neugebauer, Peter Schwarz:
Der Wille zum aufrechten Gang. Offenlegung der Rolle des BSA bei
der gesellschaftlichen Reintegration ehemaliger Nationalsozialisten.
Herausgegeben vom Bund sozialdemokratischer AkademikerInnen,
Intellektueller und KünstlerInnen (BSA), Czernin Verlag Wien, 2005
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Keine "Judenpartei":
Der Wille zum aufrechten Gang
Rezension von Karl Pfeifer
Es war an der Zeit, 60 Jahre nach der Befreiung
Österreichs durch die Alliierten, die Integration von
Nationalsozialisten, darunter auch solche, die schwere Blutschuld auf
sich geladen hatten, in den "Bund sozialistischer Akademiker" (BSA) zu
untersuchen. Eigentlich ist diese Untersuchung Dr. Werner Vogt zu
verdanken, der den Skandal um den Euthanasiearzt Heinrich Gross schon
vor Jahrzehnten aufgedeckt hatte. Immerhin dauerte es noch mehr als
sieben Jahre, bis die SPÖ Gross aus ihren Reihen ausschloss.
Die Historiker Wolfgang Neugebauer und Peter Schwarz
erhielten vom BSA den Auftrag, diese Arbeit durchzuführen und sie legten
einen 335 Seiten umfassenden Bericht vor, der dokumentiert, dass die
Gerüchte über den BSA meistens untertrieben waren (1). Das ist kein
trockenes in hölzerner Sprache geschriebenes Werk, die Autoren
verheimlichen nicht wo ihre Sympathien und Antipathien liegen, agitieren
aber weder gegen die SPÖ und den BSA noch schonen sie jemand. Heute gibt
es einen breiten Konsens, dass man nicht 700.000 Nationalsozialisten aus
Politik und Wirtschaft ausschließen konnte. Es gab in Österreich keine
Partei, die nicht versuchte diese euphemistisch als "Ehemalige"
genannten Personen zu integrieren.
Doch die Aufnahme von Tätern in den BSA war eine
Fleißaufgabe. Dass einige Mitglieder des BSA ihren Weg zum
Rechtsextremismus wieder gefunden haben, war auch schon längst bekannt.
Doch hier werden diese Vorgänge – insbesondere die Förderung ehemaliger
NS-Juristen und NS-Ärzte –minuziös dokumentiert. Es liest sich zum Teil
wie ein who is who der Zweiten Republik.
Wenn nach den Gründen gefragt wird, warum denn
Österreich nicht diejenigen zurückrief, denen es nach dem "Anschluss"
gelang zu flüchten, dann wird auf den vorgeblichen Grund hingewiesen,
dass Oskar Helmer, Karl Renner und Adolf Schärf, die drei wichtigsten
Führer der SPÖ nach 1945, rechte Sozialdemokraten waren und nicht haben
wollten, dass Linke zurückkehren. Sie wollten vor allem nicht, dass die
SPÖ den Ruf einer "Judenpartei" erhält. Vielleicht noch wesentlicher
sind ihre antisemitischen Ressentiments, die Robert Knight (2)
dokumentierte.
Bereits vor 28 Jahren schrieb ein niederländischer
Journalist (3), wie Österreich nach 1945 die Täter bevorzugte und hob
dabei die Rolle der Sozialdemokraten von Renner bis Kreisky hervor. In
seinem Buch befindet sich ein Zitat aus dem 1948 erschienenen Buch des
führenden Vorkriegssozialdemokraten Julius Braunthal "The Tragedy of
Austria": "In dem ersten Schreiben, das die Führer der wiedererstandenen
Österreichischen Sozialistischen Partei an ihre geflohenen und im
Ausland lebenden Kameraden (darunter viele Juden) sandten, wurde
unverblümt festgestellt, daß die Rückkehr einer großen Zahl von Juden
nach Österreich mit Besorgnis aufgefaßt werden würde." In der deutschen
Ausgabe des Buches von Braunthal verschwanden diese Sätze auf
mysteriöser Weise.
Nun gab Caspar Einem, gegenwärtiger Präsident der BSA
der rechtsextremistischen Wiener Wochenzeitung "Zur Zeit" (28.1.05) ein
Interview, dessen Thema das hier besprochene Buch war. Hier ein Auszug:
"Zur Zeit: Da wurde ja jetzt auch der Vorwurf erhoben,
warum man nicht Emigrierte zurückgeholt hat?
Einem: Dafür gibt es mehrerer Hypothesen. Die Studie selbst führt zwei
Hypothesen an. Die eine ist, dass die damalige Parteispitze rund um
Schärf, Helmer und Waldbrunner die eher dem pragmatischen
sozialdemokratischen Flügel angehört haben, die Sorge gehabt hätten,
dass die Emigrierten den Austromarxismus und daher eine andere linke
Politik zurück bringen wollten. Und das zweite war, dass man auch den
Eindruck oder zumindest den Vorwurf vermeiden wollte, man wäre eine
Judenpartei. Das war nach der Zeit des Nationalsozialismus ein Vorwurf,
von dem man sich offenbar noch mehr gefürchtet hat als vorher.
Zur Zeit: Im Nachhinein betrachtet wäre man u. U. mit diesem Stigma gar
nicht so schlecht gefahren...
Einem: Ich bin sehr zurückhaltend in der Bewertung, weil ich auch noch
andere Argumente kenne, die nicht in der Studie enthalten sind. Und der
Punkt ist halt, dass zu dem Zeitpunkt, in Wien beispielsweise 25 % der
Wohnungen zerstört waren und es natürlich nicht nur Arisierer waren, die
in den jüdischen Wohnungen gesessen sind, sondern auch Leute, die aus
purer Not irgendein Dach über dem Kopf gebraucht haben. Das Zurückkehren
der Vertriebenen hätte natürlich zu relativ heftigen
Auseinandersetzungen und zu einer Vertiefung der Gräben führen können,
die man nicht aufreißen wollte. Ich sage damit nicht, dass ich der
Meinung bin, dass das fein war. Ich sage damit allerdings, dass es
durchaus ernstzunehmende Argumente gab, die für ein behutsames oder
vielleicht auch etwas zielorientierteres Handeln gesprochen haben."
Das Argument eines Linkruckes, den man verhindern
wollte, klingt sonderbar, schlussendlich waren ja nur ganz wenige dieser
Verjagten führend in der Sozialdemokratie tätig. Außerdem beweist ja
gerade der Fall von Bruno Kreisky, dass auch ein aus Österreich
verjagter Jude, der noch nach mehr als ein Viertel Jahrhundert als Jude
bespuckt wurde, und trotzdem den Antisemitismus leugnete (4) alles in
seiner Macht stehende tat, um Nationalsozialisten und SS-Männer zu
verteidigen.
Offensichtlich haben der Republik Österreich die
Wohnungen der über 65.000 ermordeten Juden nicht genügt und wie wir hier
erfahren, glaubten österreichische Politiker, dass wenn sie die
Verjagten zur Rückkehr eingeladen hätten, viele der überlebenden
österreichischen Juden zurückgekehrt wären. "Das Zurückkehren der
Vertriebenen hätte natürlich zu relativ heftigen Auseinandersetzungen
und zu einer Vertiefung der Gräben führen können, die man nicht
aufreißen wollte." Im Prinzip also hat die Zweite Republik einen Konsens
hergestellt, dass man diese "Errungenschaft" der Volksgemeinschaft,
nämlich, das aus dem Land jagen, von Menschen nur weil sie Juden waren,
nicht aufgeben darf.
Anmerkungen:
1) Wolfgang Neugebauer, Peter Schwarz: Der Wille zum
aufrechten Gang, Offenlegung der Rolle des BSA bei der
gesellschaftlichen Reintegration ehemaliger Nationalsozialisten.
Herausgegeben vom Bund sozialdemokratischer AkademikerInnen,
Intellektueller und KünstlerInnen (BSA), Czernin Verlag, Wien, 2005, Eu
23.-, ISBN 3-7076-0196-X
2) Hg. Robert Knight: "Ich bin dafür, die Sache in die Länge zu ziehen",
Wortprotokolle der österreichischen Bundesregierung von 1945-52 über die
Entschädigung der Juden, athenäum, FfM, 1988.
3) Martin van Amerongen: KREISKY und seine unbewältigte Gegenwart, Styria
Verlag, Graz, 1977.
4) "Es gibt heute keinen Antisemitismus mehr in Österreich. Das wird den
Leuten höchstens eingeredet. Ich habe nie irgendeinen Antisemitismus
verspürt." Bruno Kreisky, Profil, 9.11.1973.
hagalil.com
31-01-05 |