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Anerkennung und Ausgrenzung:
Deutschland als multikulturelle Gesellschaft

Birgit Rommelspacher

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Wie kann man mit Differenzen umgehen und eine multikulturelle Gesellschaft entwickeln?

Ausgehend vom Selbstverständnis der christlich-europäischen Kultur zeigt Rommelspacher Kontinuitäten und Brüche in der Konstruktion von Fremdheit. Die Bilder vom "Fremden" sind in die politische Kultur, das Alltagsverhalten und die individuelle Psyche eingelassen.

Anhand der Situation ethnischer Minderheiten, der Probleme von Rechtsextremismus und Rassismus sowie der Konflikte um Religion, Geschlecht und Kultur zeigt die Autorin, wie unterschiedliche Vorstellungen und Interessen miteinander kollidieren. Gleichzeitig zeigt sie Ansätze eines besseren Zusammenlebens.

Birgit Rommelspacher ist Professorin für Psychologie mit dem Schwerpunkt Interkulturalität und Geschlechterstudien an der Alice Salomon Hochschule Berlin.

Inhaltsverzeichnis

Selbst und Fremdbilder

Fremdheit und Machtinteressen
Selbst- und Fremdbilder in der europäischen Moderne
Nationale Selbstund Fremdbilder
Gleichheitsanspruch und Ungleichheitsverhältnisse
Universalismus und Dominanz

Kulturen im Konflikt
Der Islam und das westliche Selbstverständnis
Vom Orientalismus zum »Kampf der Kulturen«
Kultur – Geschlecht – Religion
Am Beispiel der Kopftuchdebatte
Rassismus und Rechtsextremismus in Deutschland
Segregation und Integration
Zur Situation ethnischer Minderheiten in Deutschland

Modelle des Zusammenlebens
Die multikulturelle Gesellschaft
Konzepte und Kontroversen
Erfahrungen aus den USA
Affirmative Action
Pluralität und Egalität

Pressestimmen

10.02.2003 Die Tageszeitung
Multikultur
"Rommelspacher führt eine komplexe Auseinandersetzung, und ihr Buch gibt einen breiten, vielschichtigen theoretischen Einstieg in die Diskussion um die multikulturelle Gesellschaft."

01.02.2003 an.schläge
Interessenhierarchien
"Gewandt bewegt sich die Autorin auf der Klaviatur der Ambivalenzen."

20.01.2003 Frankfurter Rundschau
Demokratie ist kein Heimatverein
"Birgit Rommelspacher plädiert für einen 'kritischen Multikulturalismus'."

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Der Fremde im klassischen Sinn ist derjenige, der aus der Ferne kommt, der unbekannt und unvertraut ist. Er muss aber nah genug sein, um fremd sein zu können, denn Menschen, von denen man nichts weiß, sind einem nicht einmal fremd. Der Fremde ist derjenige, der nah genug ist, um ihn als ein Gegenüber zu begreifen.

Das Bild vom Fremden, der aus der Ferne kommt, ist eine Metapher, die einiges verdeutlicht, anderes aber wiederum verdeckt. Es verweist auf das Unbekannte und Unvertraute, das die Fremdheil des Anderen ausmacht. In diesem Bild ist der Fremde in Aktion: Er kommt herein, vielleicht dringt er sogar ein. Unklar bleibt in diesem Bild, warum der Fremde kommt. Kommt er aus eigenem Antrieb oder wurde er gerufen? Vielleicht war er schon vorher da und wurde erst später zum Fremden? Das Bild verstellt den Blick auf die Möglichkeit, dass der Fremde auch ein Vertrauter gewesen sein kann, der - aus welchen Gründen auch immer - zum Fremden geworden ist. Der Fremde ist hier schon immer fremd. Insofern erfahren wir nichts darüber, wie er zum Fremden wird. Dies Bild verdeckt also die Genese von Fremdheit und so auch die Möglichkeil des Fremd-machens, der aktiven Grenzziehung und des Ausschließens.

So können Menschen, die schon lange in einer Gesellschaft leben, als Fremde betrachtet werden. Das gilt z. B. für Juden in Deutschland, die trotz einer jahrhundertealten gemeinsamen Geschichte von vielen nichtjüdischen Deutschen oft als fremd empfunden werden. Dabei stellt sich die Frage, was macht in dem Fall die Fremdheit aus? Warum macht man sich nicht miteinander vertraut? Was sind die Motive, die die Distanz aufrecht erhalten lassen?

Georg Simmel spricht vom Fremden als dem Gast, der heute kommt und morgen bleibt (1908/1992). Aber wie lange bleibt der Fremde ein Gast? Wie verändert sich die Beziehung im Laufe der Zeil? Das Bild vom Fremden, der aus der Ferne kommt, bricht die Geschichte an der Stelle ab, an der das Subjekt aktiv wird und die soziale Distanz festschreibt oder auch aufzuheben versucht. Es verdeckt damit den aktiven Part des Subjekts, indem es ein Überwältigtwerden durch die Unbekanntheit des Anderen nahe legt.

Die Beteiligung des Subjekts an der Fremdheit des Anderen zeigt sich schon darin, dass es meist sehr bestimmte Vorstellungen davon hat, was seine Fremdheit ausmacht. Die Gewissheil des Fremdbildes steht dabei in einem eigenartigen Kontrast zur Unbekanntheit des Fremden. Für dieses Phänomen liefert die Psychoanalyse jedoch eine plausible Erklärung, indem sie im Fremdbild die Kehrseite des Eigenen sieht, ein Produkt der Projektionen eigener verdrängter Impulse. Denn gerade der Fremde in seiner Unbekanntheit ist eine geeignete Projektionsfläche.

So spricht Sigmund Freud (1966) davon, dass das Heimelige und Vertraute heimlich, d. h. verdrängt werden musste und dann als Unheimliches beim Anderen erscheint. Dem Selbst werden dabei in erster Linie positive Attribute zugeordnet wie Kompetenz, Reinheit und Stabilität, dem Fremden die negativen wie Gewalt, Schmutz und Chaos. Diese Psychodynamik der Fremdheitskonstruktion dient dazu, das Selbst abzusichern, indem im Bild des Fremden all das angesammelt wird, was für das Ich bedrohlich erscheint.

Damit steht das Fremdbild in einer geradezu intimen Beziehung zum Subjekt, ist es doch aufs Engste mit dem Selbstbild verwoben. Daraus lässt sich auch die Faszination des Fremden erklären, er stellt die Kehrseite des Eigenen dar. Das Fremde fasziniert, weil es das symbolisiert, was das Eigene nicht enthält. So kann es z. B. auch für das Abenteuer, die Ungebundenheit, die Lebensfülle, die Natürlichkeit und die Lebendigkeit stehen - also die Kehrseite all dessen, was die Anpassung an die gegebene Ordnung erfordert. Je mehr vom Selbst an das Fremde delegiert wird, desto unkenntlicher wird jedoch auch das Selbst. Das Innere wird zunehmend leer, das Eigene kaum mehr greifbar. So fällt es oft leichter, den Fremden zu schildern als zu beschreiben, was das Eigene ausmacht.

Fremdheit speist sich also aus der Entgegensetzung zum Eigenen. Dabei gibt es sehr unterschiedliche Bilder vom Fremden, die jeweils nicht nur unterschiedliche Aspekte des Selbst repräsentieren, sondern auch unterschiedliche Erfahrungen mit den jeweils Anderen zum Ausdruck bringen. Denn nicht jeder Fremde ist auf gleiche Weise fremd. So gibt es in der deutschen Gesellschaft ganz, unterschiedliche Prototypen des Fremden, z. B. wenn wir an das Bild von »dem« Moslem als dem Fremden denken oder aber an die Fremdbilder, wie sie von Juden existieren, von Sinti und Roma oder von Menschen mit schwarzer Hautfarbe. Und hier liegt auch die Grenze der psychoanalytischen Erklärungskraft, die den Fremden als leere Projektionsfläche versteht, auf der die eigenen Phantasien abgebildet werden. Denn tatsächlich ist es nicht gleichgültig, wer der Fremde ist. Auch die jeweiligen Beziehungen gehen in die Bilder von ihm ein. Die Projektionsebene vermischt sich mit der Beziehungsebene, so dass das Bild vom Anderen sowohl etwas über das Selbst aussagt, wie auch über die Beziehung zum Anderen. D.h. das Bild vom Fremden ist weder ausschließlich ein Produkt eigener Projektionen, noch ist es ein Abbild des Anderen, sondern in dem Bild kommt vor allem die Beziehung zueinander und ihre Geschichte zum Ausdruck.

Dabei muss hier zwischen einer allgemeinen Kategorie des Anderen und
einer spezifischeren des Fremden unterschieden werden. Beide Begriffe zielen auf die Konstruktion eines Gegenübers und decken sich insofern weitgehend auf der analytischen Ebene. Im Grunde kann jede Differenz als Fremdheit interpretiert werden. Sie wird jedoch umso mehr als Fremdheit verstanden, je mehr die Unvertrautheit in den Vordergrund geschoben und die Differenz als symbolische Grenze erfahren wird, die zwischen »Ihr« und »Wir« trennt.

Fremdheit in einem sehr allgemeinen Sinn kann auf Erfahrung von Differenzen zurückgeführt werden, die wir im Alltag ständig erleben. So gibt es eine Reihe von Theoretikern, die die immer weitere funktionale Differenzierung in unserer Gesellschaft dafür verantwortlich machen, dass jeder Mensch sich mehr oder weniger ständig selbst als fremd erfährt. Das Individuum gehört immer gleichzeitig verschiedenen sozialen Welten an. Deshalb ist es, etwa nach der Analyse von Zygmunt Baumann, aus jeder »entwurzelt« und in keiner »zu Hause«. »Man kann sagen, dass es der universale Fremde ist« (1992a, S. 124, vgl. dazu auch Beck 1996b). So wird Fremdheit zur Grunderfahrung des Lebens in der postmodernen Gesellschaft überhaupt. Mit dieser Analyse wird deutlich, dass man auch sich selbst fremd werden kann, je nachdem wie sehr die unterschiedlichen sozialen Rollen Distanzen zum eigenen Selbstkonzept herstellen beziehungsweise die Entwicklung eines solchen überhaupt erschweren.

Die Tatsache fragmentierter Lebenserfahrungen hat jedoch in unterschiedlichen Kontexten ein unterschiedliches Gewicht. Es kommt darauf an ob die Zugehörigkeit zu verschiedenen Lebenssphären auch als konflikthaft oder gar als unzulässige Überschreitung symbolischer Grenzziehungen interpretiert wird. Die Erfahrung der Selbstentfremdung, die sich aufgrund der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Systemen innerhalb der Gesellschaft entwickeln kann, ist also zu unterscheiden von Fremdheitskonstruktionen, die z. B. die Anderen vom Zugang zur Gesellschaft insgesamt oder aber zu bestimmten Ressourcen ausschließen. Die Grenzlinien besitzen also unterschiedliche Bedeutungen: Je mehr die Grenzen für die Beteiligten problematisch sind und zu Irritationen führen, je mehr sie mit dem Verweis auf die Unbekanntheit des Anderen gezogen, also mit Fremdheit begründet werden, und schließlich, je mehr sie auch pragmatische Konsequenzen im Sinne von Ausschluss haben, desto mehr werden die jeweils Anderen zu Fremden. Es geht also nicht nur um die Tatsache von Differenzen überhaupt, sondern auch um die Frage, welche Intentionen mit der Feststellung von Unterschieden verknüpft sind, d. h. inwiefern sie der Exklusion und symbolischen Grenzziehung dienen.

Je entschiedener die Grenzen gegenüber dem Anderen gezogen und die Gemeinsamkeiten getilgt werden, desto mehr wird der Fremde zum Feind. Fremdes und Eigenes wird nun als unvereinbar und die Andersheit des Anderen als gegen das Selbst gerichtet empfunden. Die Distanz wird verabsolutiert. Das hebt jedoch nicht die Bindung zu ihm auf, sondern im Gegenteil, sie wird umso stärker je mehr dabei der Fremde zum Gegenbild des Selbst (Schäffter 1991), zum negativen Vergleichsobjekt wird. Die Bestimmtheit des Feindbildes weist auf die Entschiedenheil hin, mit der die Distanz aufrecht erhalten werden soll.

Fremdheit lässt sich also nicht auf Unbekanntheit reduzieren, sondern in ihr drückt sich immer auch eine spezifische Beziehungsdynamik aus. Insofern konstituiert sich Fremdheit nach der Analyse der Forschungsgruppe um Herfried Münkler (1998) immer aus der kulturellen und der sozialen Fremdheit. Kulturelle Fremdheil meint die Unvertrautheit zwischen Menschen aufgrund von unterschiedlichem Wissen. Erfahrungen und unterschiedlichen Weltanschauungen. Soziale Fremdheit hingegen zeigt sich in der sozialen Distanz, die den Anderen zu einem Menschen außerhalb der eigenen Bezugsgruppe macht. Fremdheit ist also keine anthropologische Konstante, die dem jeweils Anderen zukommt, sondern sie ist eine Beziehung, in der es vor allem um die Frage von Nähe und Distanz geht. Die soziale Distanz basiert dabei auf der Feststellung von Unvertrautheit. Wie sehr die Anderen dabei als etwas dem Eigenen Entgegengesetztes verstanden werden, hängt wiederum entscheidend davon ab. auf welcher Geschichte die Beziehung zum Anderen basiert, in welchem Kontext die Fremdheit entstanden ist und welche Motivation sie aufrecht erhält.

Im Folgenden wird es nun um die Frage gehen, wie die Genese der verschiedenen Fremdbilder zu erklären ist. und was sie über die jeweiligen sozialen Beziehungen aussagen. Dabei wird auch zu fragen sein, wer jeweils die Definitionsmacht inne hat, um die Bilder vom jeweils Anderen durchzusetzen. Zuvor geht es aber zunächst um die Frage, wie in unserer Gesellschaft die Grenzen zwischen »Ihr« und »Wir« gezogen werden, wie Fremdheit erlernt und aufrecht erhalten wird.

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hagalil.com 12-05-06











 

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