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Karrieren im Zwielicht:
Hitlers Eliten nach 1945

Dr. Susanne Benöhr und Uta Engelmann, Bremen
Ersterscheinung bei "e@forumzeitgeschichte.at"


Norbert Frei,
Karrieren im
Zwielicht. Hitlers
Eliten nach 1945
,
Campus Verlag
2001
Euro 25,50

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"Karrieren im Zwielicht" ist das Begleitbuch zu einer sechsteiligen Fernsehdokumentation des Südwestrundfunks, die im Sommer 2002 in Deutschland ausgestrahlt wurde. Die Sendung und das Buch berichten von Männern, die zu "Hitlers Eliten" zählten und auch noch nach der "Stunde Null" ihre Chance zu wahren wussten. Ihre zum Teil glänzenden bundesdeutschen Karrieren, die sie trotz bzw. wegen ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit einschlagen konnten, stehen im Mittelpunkt der Betrachtung.

Unter der Federführung von Norbert Frei haben sich vier – durchweg junge Historiker – den beruflichen Werdegängen von Medizinern (Tobias Freimüller), Unternehmern (Tim Schanetzky), Offizieren (Jens Scholten), Juristen (Marc von Miquel) und schließlich Journalisten (Matthias Weiß) gewidmet, wobei die Beiträge durch ein Vorwort von Thomas Fischer und eine Bilanz von Norbert Frei flankiert werden.

Am 5. Mai 1945 notierte Victor Klemperer in sein Tagebuch, dass nun niemand mehr ein Nazi sein will von denen, die es fraglos gewesen sind. [1] In diesem Zusammenhang bildete "Hitlers-Elite" keine Ausnahme, und die Zeichen der Zeit standen günstig für sie, denn Deutschland lag in Trümmern und überall herrschte das Chaos der Nachkriegstage. In dieser Situation bot sich für die nationalsozialistische Nomenklatura die durchaus denkbare Möglichkeit, dass sich die Alliierten als Pragmatiker erweisen und auf das vorhandene Expertenwissen der einschlägigen Berufgruppen zurückgreifen würden (S. 305/306). Indes sollte sich diese Hoffnung als trügerisch entpuppen. Die Besatzungsmächte waren gut informiert. Zielsicher gelang es ihnen, die exponierten Funktionsträger herauszufiltern. Angesichts der Internierung von immerhin 250.000 Deutschen sowie der zum Teil ausgesprochen rigiden Säuberungsmaßnahmen im Beamtenapparat und nicht zuletzt aufgrund der Nürnberger Prozesse, trat jedoch der Entschluss der Alliierten die Entnazifizierung massiv voranzutreiben unverkennbar deutlich zu Tage. Gleichwohl verlor das engagierte Vorgehen der westlichen Siegermächte bereits Ende der vierziger Jahre erheblich an Schwung (S. 310). Dafür war vor allem der sich anbahnende kalte Krieg, Deutschlands geopolitische Lage, und dass berechtigte Anliegen der Alliierten in Deutschland eine stabile Demokratie zu installieren verantwortlich. Diese Entwicklung kam für viele Deutsche nicht ungelegen: Hitler, Himmler, Göring und Goebbels waren tot, und daher lag es nahe sich als "verführter Mitläufer" zu exkulpieren. Der Wiederaufbau und das Wirtschaftswunder taten ein übriges, und so bot sich nicht wenigen aus der "Elite Hitlers" eine "zweite Chance".

Wie Jens Scholten in seinem Beitrag über die Offiziere zeigt, gehörte zu diesem Kreis zweifellos Reinhard Gehlen. Seine Karriere war im wahrsten Sinne des Wortes doppelt zwielichtig. Generalmajor Gehlen war Geheimdienstler, und in dieser Funktion leitete er ab 1942 beim Generalstab des Heeres die Abteilung "Fremde Heere Ost" (S. 135). Angesichts der drohenden Niederlage der deutschen Wehrmacht handelte Gehlen zunächst taktisch äußerst versiert, indem er sowohl seine Mitarbeiter als auch die geheimen Archivunterlagen seiner Abteilung rechtzeitig vor der "Roten Armee" in Sicherheit brachte. Nach der Kapitulation offenbarte er sich zügig den Amerikanern, die für den Geheimdienstler schnell eine "bruchlose Weiterverwendung" fanden (S. 135). In der Tat erwies sich die Beziehung Gehlens zu der amerikanischen Besatzungsmacht als geradezu abstrus. Gehlen - der sich seiner Position als Geheimnisträger voll bewusst war - stellte kaum einen Monat nach seiner Gefangennahme Bedingungen, in denen er sich zu einer Zusammenarbeit mit den Amerikanern bereit erklärte. Für einen Mann, der praktisch ein Kriegsgefangener war und den die Russen eventuell sogar für einen Kriegsverbrecher halten mochten, war das eine ungeniert dreiste Vorgehensweise. [2] Gleichwohl gingen die Amerikaner darauf ein, und so begann Gehlen bereits 1946 mit dem Aufbau eines Auslandsnachrichtendienstes, besser bekannt unter dem Namen "Organisation Gehlen". Dabei ließen die Amerikaner Gehlen offenbar weitestgehend freie Hand. In seinen Memoiren bemerkte Gehlen hierzu, dass US-General Sibert klar übersah "dass die Interessen zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik auf lange Zeit identisch sein würden." [3] Was mit anderen Worten heißt: Was den deutschen Interessen nützte, war auch den Amerikanern dienlich. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Gehlen alsbald auf "alte Kontakte" zurückgriff. Diese bestanden unter anderem zur SS, zum SD und zur Gestapo. So wurde beispielsweise der ehemalige SD-Mitarbeiter Dr. Rudolf Oebsger-Röder - der nachweislich zu etlichen "Einsätzen" in Polen, der Sowjetunion und in Ungarn abkommandiert war - nunmehr aufgrund seiner "Erfahrung" angeworben. [4] Am 1. April 1956 avancierte die "Organisation Gehlen" zum Bundesnachrichtendienst, kurz BND. Dieser unterstand unmittelbar dem Bundeskanzleramt. Dort fungierte Dr. Hans Globke als Adenauers Kanzleramtschef. Dieser hatte maßgeblich die Nürnberger Gesetze von 1935 kommentiert (S. 331 f). Als Gehlen schlussendlich 1968 aus dem Amt schied, erhielt er das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband. Seine überaus publikumswirksam inszenierte Biographie "Der Dienst" [5] legitimierte nicht nur das deutsche Vorgehen im Russlandfeldzug, sondern sie stellte zudem die Kompetenz der Wehrmacht im Umgang mit dem Gegner heraus.

Gehlen kolportierte in seinem Werk ein "Wehrmachtsbild", das bis in die neunziger Jahre hinein Bestand haben sollte (S. 173 f). Danach sei die Wehrmacht missbraucht worden, aber letztlich "anständig" geblieben (S. 133/134). Dass dies nicht der Wahrheit entsprach, hatte bereits 1979 der ehemalige Luftwaffenoffizier und bekannte Journalist Henri Nannen angesichts der Fernsehserie Holocaust seinen "lieben Stern-Lesern" drastisch vor Augen geführt: "Wer sich nicht Augen und Ohren zuhielt und das Gehirn abschaltete, dem blieb nicht verborgen, dass hier das perfekteste Verbrechen seinen Weg nahm. Wir hätten es wissen müssen, wenn wir es nur hätten wissen wollen. Wer Soldat im Osten war, dem konnten die Judenerschießungen, die Massengräber und beim Rückzug die ausgebuddelten und verbrannten Leichenberge nicht verborgen bleiben" (S. 11). Dennoch oder eventuell auch gerade deshalb war es der Russlandfeldzug, der bei dem Neuaufbau der Bundeswehr und damit verbunden der Auswahl des Führungspersonals den Ausschlag geben sollte. Wie Jens Scholten zeigt, wurde jedenfalls der "Afrika-Korps-Kämpfer" Wolf Graf von Baudissin, der eine kritische und reformorientierte demokratische "Innere Führung" in der Bundeswehr etablieren wollte, aufgrund fehlender höherer Weihen im Russlandfeldzug (S. 150) letztlich "wegbefördert". Speziell die Traditionsfrage erwies sich für die Bundeswehr als heikles Problem. Nachdem der Führungsstab des Heeres 1958 vorschlug, den geplanten 36 Divisionen der Bundeswehr die Tradition von 36 Wehrmachtsdivisionen überzustülpen, wurde unter der Ägide des Verteidigungsministers Franz-Josef Strauß eine externe Expertenkommission berufen, um einen Leitfaden in Traditionsfragen zu entwerfen (S. 165). In diesem Zusammenhang erging eine Einladung an die vielleicht zwielichtigste Person überhaupt: Reinhard Höhn.

Höhn, promovierter und habilitierter Staatsrechtler war "ein intelligenter Kaderpolitiker, ein frühvollendeter Intrigant und völkischer Taktiker" [6]. Wie Tim Schanetzky in dem Kapitel über die Unternehmer dokumentiert, zeichnete gerade Höhn eine große Anpassungsfähigkeit aus. Nachdem er zunächst eine "mustergültige NS-Karriere" (S. 115) verfolgt hatte, in der er u.a. die Leitung des "Berliner Instituts für Staatsforschung" inne hatte und zugleich beim SD-Hauptamt tätig war, musste er sich nach dem Kriegsende neu orientieren. Er erschloss sich ein neues Aufgabenfeld, in dem er nicht weniger "erfolgreich" seine Vorstellungen von "Menschenführung" umsetzte. Als Leiter der "Bad Harzburger Akademie für Führungskräfte" propagierte er ein Managementkonzept, das als "Führung im Mitarbeiterverhältnis" und "Harzburger Modell" schnell populär wurde (S. 116). Dabei ging Höhns Managementkonzept letztlich auf die preußische Militärtradition zurück und nahm Führungselemente der SS auf, wie etwa die "Führerversammlung". Höhn wurde zum "Lehrer für 600.000 Manager", wobei Schlagworte wie "Delegation und Verantwortung" und die "Innere Kündigung" bis heute einen hohen Stellenwert genießen. Als Höhn im Jahre 2000 starb fanden sich im Nachruf in der Süddeutschen Zeitung weder eine kritische Bemerkung zu seiner NS-Vergangenheit noch zum autoritären Charakter des Modells (S. 116).

Gleichwohl schulte Höhn nicht nur die Wirtschaftselite und die Bundeswehr – seine Aktivitäten erstreckten sich auch auf die Parteien. Dabei reichte das Spektrum seiner Klienten von den Parteien des bürgerlichen Lagers bis hin zu SPD-Funktionären und Gewerkschaftlern. [7] Dass gerade die Parteien gefährdet waren von "Hitlers-Elite" unterwandert zu werden, beweisen das Verbot der "Sozialistischen Reichspartei" (SRP) durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Jahre 1952 [8] und die Zerschlagung des "Gauleiter-Kreises" (S. 179). Insbesondere die Zerstörung des "Gauleiter-Kreises" um Dr. Werner Naumann, der in Hitlers Testament zum Nachfolger von Goebbels' als Reichspropagandaminister bestimmt worden war, erwies sich im Jahre 1953 als Politikum erster Güte. Zusammen mit anderen ehemals führenden nationalsozialistischen Funktionären war es dieser Gruppe gelungen, Nordrhein-Westfalens FDP zu infiltrieren. Als die Briten im Januar 1953 die Rädelsführer verhafteten waren diese mit ihrem Unterfangen, die FDP zu einer "nationalen Sammlungsbewegung" aller Kräfte rechts von der Union umzuwandeln, bereits maßgeblich fortgeschritten. [9] De facto offenbarte diese konspirative Verschwörung ein Höchstmaß an personellen Querverbindungen. Während Werner Naumann als Leiter der Gruppe agierte, amtierte der FDP-Landtagsabgeordnete Ernst Achenbach als "spiritus rector" [10]. In seinem Essener Büro wiederum war u.a. der frühere SS-Obergruppenführer Professor Franz Alfred Six tätig. Dieser verfügte seinerseits über gute Beziehungen zu Reinhold Gehlen und Reinhard Höhn. So war Six zwischenzeitlich für die "Organisation Gehlen" tätig gewesen [11] und trat in den sechziger Jahren nebenberuflich als Dozent in Reinhard Höhns Akademie auf, wobei er bereits zu diesem Zeitpunkt erfolgreich als Werbeleiter bei Porsche-Diesel tätig war. [12]

Vollends schließt sich der Kreis, wenn man bedenkt, dass Six' enger Vertrauter Host Mahnke letztlich beim "Spiegel" als leitender Redakteur arbeiten konnte (S. 269 ff). Freilich überrascht dies in der Retrospektive nicht, denn letztlich verfügte ein Mann wie Mahnke, der eng mit Six´ verbunden war und dieser seinerseits gute Beziehungen zum BND und Gehlen hatte, über detailliertes Geheimdienstwissen, was die Leserschaft des "Spiegel" offenbar besonders zu schätzen wussten. [13]

"Karrieren im Zwielicht" ist ein beunruhigend gutes Buch, dass keineswegs den Vergleich mit der "Macht der Fernsehbilder" zu scheuen braucht. Überdeutlich treten die alten Seilschaften zu Tage, die ihr Einflussgebiet auch nach der "Stunde Null" zielsicher zu wahren, wenn nicht zu erweitern wussten. Dabei stellen die angesprochenen Berufsgruppen nur einen kleinen Ausschnitt der "herrschenden Klasse" dar. Weitere derartige Untersuchungen über die Parteien, die Kirchen, die Kulturschaffenden und nicht zuletzt die "Eliten" im anderen deutschen Staat wären daher ausgesprochen wünschenswert.

[1] Nowoskij, Walter (Hrsg.): Victor Klemperer: Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1942-1945, 7. Auflage, Berlin 1996, S. 768.
[2] Cookridge, E.H. (alias Edward Spiro): Gehlen. Spy of the Century, London/Sydney/Auckland/Toronto 1971, S. 135.
[3] Gehlen, Reinhard: Der Dienst. Erinnerungen 1942-1971, Mainz/Wiesbaden 1971, S. 150.
[4] Henze, Saskia/Johann Knigge: Stets zu Diensten. Der BND zwischen faschistischer Wurzel und neuer Weltordnung, Hamburg/Münster 1997, S. 31.
[5] Gehlen, Reinhard: Der Dienst. Erinnerungen 1942-1971, Mainz/Wiesbaden 1971.
[6] Hachmeister, Lutz: Die Rolle des SD-Personals in der Nachkriegszeit. Zur nationalsozialistischen Durchdringung der Bundesrepublik, in: Mittelweg 36, Heft 2/2002, S. 17 ff (S. 19).
[7] Rüthers, Bernd: Reinhard Höhn, Carl Schmitt und andere – Geschichten und Legenden aus der NS-Zeit, in: NJW (Neue Juristische Wochenschrift) 2000, S. 2866 ff (S. 2869).
[8] Das "SRP-Verbot" war eine der ersten Entscheidungen des BVerfG, siehe in diesem Zusammenhang BVerfGE 2, 1 ff.
[9] Frei, Norbert: Deutsches Programm. Wie Nordrhein-Westfalens FDP Anfangs der fünfziger Jahre bewährte Nazis zur Unterwanderung der Partei einlud, in: DIE ZEIT 23/2002 sowie Hachmeister [FN. 6], S. 294 ff.
[10] Frei [FN. 9].
[11] Henze/Knigge [FN. 4], S. 33.
[12] Hachmeister [FN. 6], S. 338 f.
[13] Hachmeister [FN. 6], S. 316 ff.

hagalil.com 27-08-03











 

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