Jeckes in Israel:
Deutsche Juden erzählen
Von Renate Baum
Für Juden, die in der Zeit zwischen 1933 und 1939 aus dem
nationalsozialistischen Deutschland nach Palästina emigrierten, war das Leben in
der neuen Umgebung alles andere als ein Sonntagsspaziergang. Gewaltsam
herausgerissen aus einem kulturellen Umfeld, das für sie prägend war, sahen sie
sich konfrontiert mit Ressentiments der bereits ansässigen jüdischen
Bevölkerung. Laurence Weinbaum, Gideon Greif und Colin McPherson haben noch
Menschen dieser Gruppe aufgespürt, zwischen 1994 und 1997 Interviews mit ihnen
geführt und ihre Lebensgeschichten aufgezeichnet.
Den Interviews vorangestellt ist eine fünfteilige Einführung (Was ist ein Jecke?
Jüdisches Leben in Deutschland vor 1933. Die braune Zeit. Einwanderung in
Palästina. Zu Besuch in Deutschland), die einen umfassenden Einblick in das
Leben deutscher Juden in Deutschland bis 1933, unter dem Nationalsozialismus und
- später - in Palästina bietet.
Auch die verschiedenen Theorien zur Herkunft des Wortes "Jecke", für dessen
Entstehung es keine eindeutige und endgültige Erklärung gibt, werden aufgezeigt.
Diese Bezeichnung für die Einwanderer aus Deutschland hatte in Palästina anfangs
durchaus keinen freundlichen Klang. Die Einwanderer aus Osteuropa und anderen
Ländern sahen in den "Jeckes" Menschen mit sehr deutschen Eigenschaften:
überkorrekt, überpünktlich, ein wenig steif und förmlich; sie boten reichlich
Stoff für Witze. Aber gerade diese Eigenschaften, gepaart mit einem hohen
Bildungsniveau, trugen wesentlich zum gelungenen Aufbau des späteren Staates
Israel bei, so dass heute keine Geringschätzung mehr mitschwingt, wenn der
Begriff "Jecke" benutzt wird.
Zwischen den in Deutschland - oft seit Generationen - lebenden Juden und den aus
Osteuropa nach dem Ersten Weltkrieg hereinströmenden "Ostjuden" gab es
psychologische Differenzen und Animositäten. Die meisten deutschen Juden waren -
von staatlicher Seite beabsichtigt und großenteils auch aus eigenem Wunsch und
Willen - stark assimiliert und in die deutsche Gesellschaft integriert. In allen
kulturellen und wissenschaftlichen Bereichen waren ihr Einfluss und ihre
Leistungen bedeutend. Sie betrachteten die Zuwanderer aus dem Osten, die
vorwiegend jiddisch sprachen und häufig weiterhin Kaftan und Hut trugen, als
"Vertreter einer fremden, ja asiatischen jüdischen Kultur, mit der sie wenig
oder gar nichts verband". Diese wiederum hielten zunächst die bereits in
Deutschland ansässigen für Juden, die die Verbindung zum Judentum verloren
hatten. Erst allmählich kam es zu einer Annäherung der beiden Gruppen.
"Die braune Zeit" schildert die sich verschärfende Situation bis zum Jahr 1939
und die Bedeutung des Zionismus in dieser Zeit, behandelt aber die Shoah nicht.
Dies ist im Sinne des Themas auch folgerichtig, da die in Israel interviewten
Jeckes zwischen 1933 und 1939 nach Palästina ausgewandert sind. Palästina war
für viele deutsche Juden nicht das Wunschziel; wer die Möglichkeit aufgrund
einer gewissen Prominenz hatte, bevorzugte westeuropäische Länder oder die
Vereinigten Staaten.
Wie mühevoll sich das neue Leben in Palästina für kultivierte deutsche Juden
gestaltete, wird im Kapitel "Einwanderung in Palästina" deutlich. Alles war
ungewohnt: das Land, das Klima, der Alltag, die Kultur, der niedrige
Entwicklungsstand, ja selbst die Küche. Und nicht zuletzt die Sprache, mit der
sich die Jeckes außerordentlich schwer taten, weil in ihren Augen die Anwendung
des wesentlich einfacher strukturierten Hebräisch einen kulturellen Abstieg
bedeutete. "Die Jeckes waren tatsächlich die einzigen Einwanderer im Palästina
der dreißiger Jahre, die an ihrer eigenen Kultur und Identität festhielten und
die Anpassung verweigerten. ... Selbst der Holocaust schaffte es nicht, die
emotionale Bindung zu Deutschland völlig zu brechen." Dies brachte anfangs
massive Konflikte mit der neuen, fremden Gesellschaft mit sich. Mit der Zeit
allerdings wurden Einsatz, Pioniergeist und Leistungen der deutschen Juden
durchaus gewürdigt.
Dem heutigen Deutschland gegenüber bestehen unter den noch lebenden Jeckes
zwiespältige Gefühle. Welche Emotionen Besuche im Nachkriegsdeutschland weckten,
gerade auch angesichts des wieder aufkeimenden Rassismus und Antisemitismus,
erfährt man im Kapitel "Zu Besuch in Deutschland".
Alle Einführungskapitel enthalten bereits Äußerungen von Zeitzeugen, was den
Text sehr lebendig hält.
Die fast 80 in deutscher Sprache geführten Interviews veranschaulichen, welchen
Einschnitt die erzwungene Emigration in die Biographien jedes Einzelnen brachte.
Jäh wurden sie als Kinder oder junge Menschen aus ihrer gewohnten Umgebung,
ihrem Alltag, ihrem Freundeskreis gerissen und gezwungen, sich in einer zunächst
feindlichen Fremde neu einzurichten. Die geschilderten Schicksale bewegen, ganz
besonders, weil die Herausgeber nicht sprachlich glättend in die persönlichen
Berichte eingegriffen, sondern jedem Gesprächspartner seine eigene Art sich
auszudrücken belassen haben. So ist ein hohes Maß an Authentizität gegeben.
Dieses wichtige Buch liest sich - trotz des düsteren Hintergrundes - leicht und
flüssig, ist nie trocken oder langatmig. Es bietet eine Fülle von Informationen
und lässt nicht unberührt. Möglichst viele Leser sind diesem verdienstvollen,
hervorragend ausgestatteten und mit Glossar, Ortsregister und Karte versehenen
Buch zu wünschen.
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Die Jeckes. Deutsche Juden aus Israel erzählen.
Hrsg. von Gideon Greif, Colin McPherson
und Laurence Weinbaum. Böhlau, Köln 2000. 318 S. - 29,90 Eur |
haGalil onLine / 11-07-02 |