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Zur Zwangsarbeiterentschädigung:
Schonungslose Abrechnung

Stuart E. Eizenstat hat ein Buch über den Streit mit der deutschen Wirtschaft und der Bundesregierung um die Entschädigung von Zwangsarbeitern geschrieben

Von Ulla Jelpke
Junge Welt, 05.04.2003



Stuart E. Eizenstat: Unvollkommene Gerechtigkeit. Der Streit um die Entschädigung der Opfer von Zwangsarbeit und Enteignung.
C. Bertelsmann Verlag, München 2003, 477 S.,
24,90 Euro

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Stuart E. Eizenstat war der amerikanische Chefunterhändler bei den Verhandlungen über die Entschädigung für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter im Nazireich. Als Staatssekretär in der Clinton-Administration war er zunächst Verhandlungspartner des deutschen Regierungsbeauftragten Bodo Hombach, der allerdings wie ein Elefant im Porzellanladen agierte und nach seinem Ausscheiden aus dem Schröder-Kabinett durch Graf Lambsdorff abgelöst wurde. Vor allem aber war Eizenstat Gegenspieler von Daimler-Chrysler-Finanzchef Manfred Gentz, dem Sprecher der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft. Eizenstat war einst politischer Chefberater in Jimmy Carters Wahlkampfteam 1978, später US-Botschafter bei der Europäischen Union. 1995 erhielt er vom Außenministerium in Washington den Auftrag, in den osteuropäischen Staaten die Rückgabe des von den Nazis beschlagnahmten jüdischen Eigentums zu erreichen.

Dadurch kam Eizenstat in enge Berührung mit dem Schicksal der osteuropäischen Nazi-Opfer. Erst jetzt erfuhr er, daß drei Schwestern seiner Großmutter in Litauen von den Nazis ermordet worden waren. Eizenstat, ein strammer Antikommunist, stellte fest, wie er in seinem Buch "Unvollkommene Gerechtigkeit" über den "Streit um die Entschädigung der Opfer von Zwangsarbeit und Enteignung" - so der Untertitel - schreibt, daß die osteuropäischen Opfer Hitlers "von den Deutschen nie eine Kompensation erhalten hatten, die vergleichbar wäre mit den Milliarden, die an jüdische Holocaust-Opfer geflossen waren".

Durch einen Artikel im Wall Street Journal vom 21. Juni 1995 wurde Eizenstat auf den Schweizer Bankenskandal aufmerksam, d. h. auf die Ausplünderung jüdischer Konten während der Nazi-Zeit. Er erwirkte vom Außenministerium die Befugnis, auch diesen Bereich in seinen Sonderauftrag einzubeziehen. Die Schweizer Bankenaffäre wurde damit zum Auslöser eines Prozesses, der, wie er schreibt, "zur Schlußabrechnung mit dem Zweiten Weltkrieg geriet". Auch die deutsche Wirtschaft konnte sich einer Diskussion nicht mehr länger entziehen, vor allem der Frage, warum es fünfzig Jahre nach Kriegsende noch immer keine Entschädigung für Zwangsarbeiter gab. Die Regierung Kohl hatte jede Debatte hierüber strikt verweigert. Die dramatischen Verhandlungen mit der Schweiz, mit den österreichischen Banken und die mit den deutschen Vertretern in den Jahren 1999 und 2000 schildert Eizenstat in seinem Buch - trotz des Umfangs eine spannende Lektüre. Denn der Autor rechnet schonungslos mit dem schäbigen Versuch der deutschen Wirtschaft und der Regierungsbürokraten ab, sich billig herauszukaufen. Genau das hatten Opferanwälte wie Melvin Weiss, Ed Fagan oder Michael Hausfeld mit Sammelklagen gegen deutsche Unternehmen zu verhindern versucht. Wenn auch der juristische Erfolg für die Kläger ungewiß war, wurden diese Prozesse doch höchst unangenehm für die deutsche Wirtschaft. Sofort nach der Bundestagswahl 1998 änderte sich die Situation.

Eizenstat schreibt: "Schröder versicherte den Wirtschaftsbaronen, er werde mit ihnen zusammenarbeiten und Kosten und Probleme mit ihnen teilen." Es kam zur Kontaktaufnahme zwischen Eizenstat und Hombach, über den die Amerikaner entsetzt waren: "Hombach argumentierte, daß Polen und Tschechen und andere schon seit Generationen freiwillig nach Deutschland gekommen seien, um als Erntehelfer etwas Geld zu verdienen." Manche hätten - so Hombach - die Zeit als Zwangsarbeiter in Deutschland als eine der besten ihres Lebens empfunden. Hombach verweigerte jede Entschädigung für Osteuropäer und wollte mit den Klägeranwälten nichts zu tun haben. Sie hinterließen nur verbrannte Erde. Er teilte lediglich vertraulich mit, daß die deutsche Industrie 1,7 Milliarden DM für einen "Zukunftsfonds" ausgeben würde.

Eizenstats Gespräche mit Manfred Gentz, dem Finanzvorstand von Daimler Benz, ergaben ebenfalls keinen echten Fortschritt. "Der Darstellung Gentz' zufolge sollten nur Arbeitssklaven und Zwangsarbeiter, die heute in Armut lebten, in den Genuß einer finanziellen Entschädigung kommen dürfen; denn es gebe 'keine moralische Verpflichtung, wenn sie nicht bedürftig sind'. Und sein Kollege Michael Jansen von der Degussa (heutiger Vorsitzender der Stiftung für die Entschädigung der Zwangsarbeiter) sagte, die deutsche Industrie wolle keine Holocaust-Opfer entschädigen, die heute Ärzte seien." Eizenstat wurde klar, daß nur mit Einbeziehung der amerikanischen Klägeranwälte, der Jewish Claims Conference, der osteuropäischen Staaten sowie Israels eine Lösung zustande kommen würde. Er sorgte dafür, daß es zur "Vollversammlungen" aller Beteiligten in Washington und Bonn kam. Dabei stellte sich heraus, daß die deutsche Wirtschaft vor allem ein Ziel verfolgte: Sie verlangte "Rechtssicherheit", also Schutz vor lästigen Klagen, Verwaltungsvorschriften oder Gesetzesinitiativen. Daß Gentz einmal sogar davon sprach, es müsse nicht nur "legal closure" (einen juristischen Schlußstrich), sondern zugleich "moral closure" (einen moralischen Schlußstrich) geben, empörte Melvin Weiss so, daß Gentz dies sofort zurücknehmen mußte.

Es blieb aber dabei: Für das lächerliche Angebot von einer Milliarde DM wollte die deutsche Wirtschaft ein Einwirken der amerikanischen Regierung auf die unabhängige US-Justiz als Gegenleistung erkaufen. Während der Verhandlungen starben Tausende von hochbetagten Opfern. Die Öffentlichkeit konnte das Gefeilsche um den Gesamtbetrag nicht mehr nachvollziehen. Bundeskanzler Schröder fürchtete, bei einer zu hohen Summe würde die äußerste deutsche Rechte Zulauf erhalten.

Letztendlich einigte man sich im Sommer 2000 auf zehn Milliarden DM, zu zahlen je zur Hälfte von der deutschen Wirtschaft - steuerlich absetzbar als Betriebsausgaben - und von der Bundesrepublik Deutschland. Für die einzelnen Opfer bedeutete dies einen Höchstbetrag von 5 000 bis 15 000 DM. Gentz beschimpfte die USA heftig, da ihm der Rechtsschutz nicht weit genug ging. Eizenstat: "Gentz krönte seine Litanei der Anklagepunkte mit einer letzten Beleidigung. Weit entfernt von Partnerschaft zur Sicherung des Rechtsfriedens habe es in Wirklichkeit eine Diktatur der USA gegeben."

Bis zur Auszahlung war noch ein weiter Weg. Die Juristen der Wirtschaft fanden immer wieder neue Argumente für eine Verzögerung. Eizenstat erwähnt, daß einer der Anwälte der Deutschen schon bei einer der ersten Besprechungen erklärte, "sie wünschten eine 'final solution' ihrer juristischen Probleme und ließen dabei unbedachterweise an Hitlers Endlösung denken". Beamte des Finanzministeriums wie Otto Löffler, den Eizenstat als preußischen Beamten alter Schule beschreibt, schafften es zudem, daß sich "viele unserer mühsam errungenen Kompromisse bei ihm in Luft auflösten". In dieser Phase löste der Bundestag die Blockade auf und stellte den Eintritt der Rechtssicherheit fest, damit endlich die Gelder an die Opfer ausgezahlt werden konnten. Eizenstat erwähnt diese Rolle des Parlaments nur beiläufig. Das Buch ist eine inhaltsreiche, detaillierte Schilderung der Verhandlungen aus der Sicht eines Insiders, der selbstverständlich auch die eigene Rolle gebührend ins rechte Licht rückt. Bei seinem Hauptkontrahenten stieß der Text auf wenig Gegenliebe. Manfred Gentz hat mit einem vierseitigen Brief an Eizenstat vom 10. März 2003 sich gegen verschiedene Passagen verwahrt. Die deutsche Wirtschaft ließ sich außerdem von einer willigen Historikerin aufschreiben, daß es sich bei ihr in Sachen Zwangsarbeiterentschädigung um einen Verein von Wohltätern handelt, und veröffentlichte deren Buch parallel zu dem Eizenstats.

hagalil.com 08-04-03











 

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