antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

hagalil.com
Search haGalil

Newsletter abonnieren
 
 
 

 


Thomas Urban:
Von Krakau bis Danzig
Eine Reise durch die deutsch-polnische Geschichte

C.H. Beck Verlag München 2004
Euro 14,90

Bestellen?

Von Krakau bis Danzig:
Eine Reise durch die deutsch-polnische Geschichte

Rezension von Christian Saehrendt

Zum ersten Mal seit langer Zeit sind Polen und Deutschland in stabilen und partnerschaftlich organisierten Bündnissen vereint. Mit dem offiziellen "Deutsch-polnischen Jahr" sollen auch die beiden Zivilgesellschaften miteinander vernetzt werden.

Nicht nur die politischen Repräsentanten, auch die Schulen, Universitäten, Kulturinstitutionen und Bürgerinitiativen beider Länder werden zum Austausch und zur Zusammenarbeit angeregt. Die Gegenwart bietet relativ wenig Konfliktstoff für die Nachbarn, doch die Vergangenheit lastet immer noch schwer und ist mitunter fähig, das Klima zu vergiften – wie die Debatte um ein "Zentrum gegen Vertreibungen" gezeigt hat.

Warum dieser "Dämon der Vergangenheit" so vital und gefährlich ist, erklärt eine neue Publikation: Der Journalist Thomas Wagner, langjähriger Polen-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, hat den Versuch gemacht, die tausendjährige deutsch-polnische Geschichte in Form einer Städtereise zu bilanzieren: Er erzählt die wechselvolle Geschichte der sieben größten polnischen Städte. Warschau, Krakau, Lodz, Breslau, Danzig, Posen und Kattowitz waren allesamt durch die Nachbarschaft und wechselhafte Dominanz deutscher und polnischer Bewohner und Herrscher geprägt gewesen.

Als die deutsch-polnische Geschichte im Jahr 1000 mit dem Gipfeltreffen von Kaiser Otto dem III. und Herzog Boleslaw begann, lag der polnische Staat ungefähr an seiner heutigen geographischen Position. Zwischen den Millenien fand zunächst eine jahrhundertelang dauernde Verlagerung nach Osten und 1945 eine dramatische Verschiebung des Staatsgebietes nach Westen statt. Auf Einladung polnischer Herrscher gründeten Deutsche im mittelalterlichen Polen Städte und wurden bald zu einflußreichen Patriziern. Während sie in Warschau und Krakau im Zuge von politischen Machtkämpfen und wirtschaftlichen Prozessen polonisiert wurden, bildete sich in Danzig und Posen ein bis ins 19. Jahrhundert selbstbewußtes deutsches Bürgertum heraus. "Mourir pour Danzig?": Heute fällt es schwer, zu verstehen, wie der Streit um eine Stadt ein Weltkrieg auslösen konnte.

Doch zeigt die Geschichte, daß Danzig jahrhundertelang zwischen deutschen Stadtbürgern, Ordensrittern, polnischen und preußischen Herrschern umstritten war und deshalb für alle Seiten einen großen Symbolwert hatte. Mit der Industrialisierung kam ein neue Welle deutscher Bürger mit Kapital und Fachwissen ins Land: Lodz und Kattowitz verdanken ihnen ihren Aufstieg. Mit dem um sich greifenden Nationalismus wurden die Konflikte härter und totaler, sie forderten nun von jedem Einzelnen ein nationales Bekenntnis.

Einen hohen Symbolwert erlangte auch Posen, das als erstes polnisches Bistum 968 vom Piastenherzog Mieszko gegründet worden war. Zudem fand hier 1918 der einzige erfolgreiche Nationalaufstand in der polnischen Geschichte statt. Dramatische Nationalitätenkämpfe prägten die multiethnischen Städte Posen, Lodz und Kattowitz in den Jahren bis 1939, bis Krieg und nationalsozialistische Okkupation das Blatt wendeten und nun auch Krakau und Warschau im polnischen Kernland in ungeheuerer Weise in Mitleidenschaft zogen. Der Mord an den Krakauer Intellektuellen ging in die Geschichte ein.

Das grausigste Schicksal erlebte Warschau, die am stärksten kriegszerstörte Stadt Europas. Der NS-Herrschaft folgte die größte Vertreibung der Geschichte durch die Siegermächte. Das schwer zerstörte Breslau erlebte einen totalen Austausch der Bevölkerung, war also zunächst eine Stadt ohne Identität, während viele autochtone, binationale Schlesier in Kattowitz bleiben durften. Einige von ihnen feierten 1954 auf den Straßen sogar das "Wunder von Bern" und mußten dies mit langen Haftstrafen büßen. Heute bilden die Schlesier eine offiziell anerkannte 'deutsche Minderheit'.

Bilanziert man die fast einhundertjährige nationale Konfrontation zwischen Polen und Deutschen im Raum zwischen Oder und Weichsel, kann man feststellen, daß sie mit dem totalen Sieg der polnischen Seite endete. Nur wenige Maximalisten unter den polnischen Nationalisten hätten sich den heutigen Grenzverlauf im Traum vorstellen können - wenngleich einige während des Krieges noch zusätzliche Ansprüche auf die Lausitz und das westliche Oderufer erhoben. Die Kontrolle über die ganze Ostseeküste, Danzig und ganz Schlesien einverleibt, Breslau polonisiert, nur noch kleine deutsche und jüdische Minderheiten: Dieser Traum der polnischen Rechten konnte wahr werden, weil Stalin die Westverschiebung Polens durchgesetzt hatte. Durch die Erfüllung der radikalsten polnischen Forderungen auf Kosten Deutschlands hoffte er, Polen und Deutschland auf ewige Zeiten zu Todfeinden zu machen. Diese Kalkulation ist glücklicherweise nicht aufgegangen: Die deutsche Seite hat die Grenze 1990 anerkannt, beide Länder sind heute in europäische Bündnisse eingeflochten und enge Handelpartner.

Die Juden zwischen Oder und Weichsel erlebten ein tragisches Schicksal, weil sie immer wieder zwischen die Fronten gerieten. In multiethnischen Gebieten tendierten sie sprachlich und kulturell zur deutschen Seite, ihre Assimilationserfolge steigerten den polnischen Antisemitismus. Viele Juden erwarteten von den deutschen Besatzern und Herrschern Ordnung und Schutz vor Pogromen, polnische Nationalisten dachten vor 1939 daran, wie man möglichst viele Juden durch Emigration loswerden könnte. Schließlich fielen drei Millionen polnische Juden fielen den Nationalsozialisten zum Opfer. Die Überlebenden waren im Nachkriegspolen unerwünscht, dies galt besonders für deutsche Holocaustüberlebende: Als eine kleine Gruppe Breslauer Juden in ihre Heimatstadt zurückkehren wollte, wurden sie mit anderen Deutschen in ungeheizte Güterwaggons gestopft und nach Westen zurückgeschickt.

Urban hat einen leicht verständlichen 'Reiseführer' für die deutsch-polnische Geschichte geschrieben – man wird die polnischen Städte nach der Lektüre mit anderen Augen sehen. Angenehm fällt auf, daß er die zahlreichen historischen Streitfragen, die deutsche und polnische Beteiligte oft sehr kontrovers diskutieren, als offene Fragen kenntlich macht und nicht im apodiktischen Ton 'reine Wahrheiten' verkündet. Überdies macht er das deutsche Publikum auf polnische Diskurse und Debatten aufmerksam, die durch die scharfe Sprachgrenze bislang kaum wahrgenommen werden konnten. Damit könnte sein Buch dazu beitragen, die immer noch weit verbreitete Ignoranz und Voreingenommenheit gegenüber unserem Nachbarland zu überwinden.

Christian Saehrendt ist Lehrbeauftragter am Institut für Geschichte der Humboldt-Universität zu Berlin, Lehrstuhl Prof. Dr. Winkler, mit dem Schwerpunkt: Kunstgeschichte im sozialen und politischen Kontext. Seit 2000 arbeitet er in Kooperation mit Universitäten und Forschungseinrichtungen an Forschungsprojekten über politische Denkmäler, internationale Kulturbeziehungen und die Künstlergruppe 'Brücke'. Aktuelles Forschungsprojekt: Kunstausstellungen als Mittel auswärtiger Kulturpolitik in der DDR und der Bundesrepublik. 1995-2000 Künstlerische Arbeit im Rahmen der Gruppe "Neue Anständigkeit" in Berlin.
Und neu erschienen:
Christian Saehrendt, Steen T. Kittl:
Das kann ich auch! Die Gebrauchsanweisung für moderne Kunst

DuMont Verlag 2007, 220 Seiten mit 50 Abb., Euro 14,95

hagalil.com 03-04-06











 

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2014 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved

ehem. IDPS (Israeli Data Presenting Services) Kirjath haJowel, Jerusalem