Christoph Schulte: Die jüdische Aufklärung. Philosophie,
Religion, Geschichte; C. H. Beck Verlag,
München 2002
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1999 erschien in
der Zeitschrift "Das achtzehnte Jahrhundert" ein Schwerpunkt
mit dem apodiktischen Titel "Haskala. Die jüdische
Aufklärung in Deutschland 1769-1812". Der in Potsdam am
Moses Mendelssohn Zentrum lehrende Herausgeber Christoph
Schulte hatte die Zeitspanne in seiner "Einleitung" nicht
weiter gerechtfertigt, so klar schien es ihm, dass von Moses
Mendelssohns Weigerung der Taufe, bis hin zur rechtlichen
Gleichstellung durch das preußische "Edikt, betreffend die
bürgerlichen Verhältnisse der Juden" jene philosophische,
soziale und literarische Bewegung der "jüdischen Aufklärung"
verlief, die man "Haskala", was ursprünglich
"Vernünftigkeit" heißt, nennt.
Jetzt legt Schulte
eine Monographie zur "Haskala" vor, die sich zu ihrem
Vorteil von der früheren zeitlichen Beschränkung entfernt
hat. Äußerst kenntnisreich, weil stets an den Quellen
orientiert, und mit genauem Blick auf die Argumente der "Maskilim",
der jüdischen Aufklärer also, gerichtet, schreibt Schulte
eine gelehrte Problemgeschichte, die ihren Platz neben den
Standardwerken von Michael A. Meyer und Shmuel Feiner wird
behaupten können.
An den Beginn seiner
Darstellung hat Schulte einen Dekalog gesetzt, dessen Thesen
es in sich haben. Die Haskala sei gegenüber den
Aufklärungsbewegungen in England, Frankreich und auch
Deutschland eine "späte Aufklärung" gewesen, die darum
"radikal" sein musste. Ihre Vertreter hätten stets daran
festgehalten, Aufklärung der Juden als Juden zu betreiben
und sie damit "als Menschen" begriffen. Ziel der
multikulturellen Bewegung sei stets die bürgerliche
Verbesserung der Lebensverhältnisse gewesen, die sie aus der
bewussten Minderheitenperspektive betrieben hat. Schließlich
müsse man sich klar darüber sein, dass Aufklärung nicht als
Binnendiskurs geführt werden konnte, sondern von außen mit
großer Skepsis verfolgt wurde. Nicht zuletzt deshalb gab es,
trotz aller teilweise sehr scharfen Kritik am jüdischen
Gesetz, der "Halacha", eine tiefe Solidarität mit der
Religion der Väter. Es ist löblich, dass Schulte, der mit
diesen Thesen in der Fachwissenschaft eine heftige
Diskussion auslösen dürfte, sich bei der Behandlung der
Lebensläufe und Werke von Mendelssohn, Salomon Maimon,
Lazarus Bendavid, Markus Herz oder Saul Ascher nicht
sklavisch an die aufgestellten Postulate hält. Beweglich
werden seine Begriffe, die selbst in der Tradition der
Aufklärung stehen, immer dann, wenn die Solidarität des
Interpreten mit seinem Gegenstand gefordert ist. Denn die
Auseinandersetzungen der Maskilim mit Kants drei Kritiken,
die oft genug eine Ablösung vom Glauben zur Folge hatte,
oder den Texten der Kabbala, kann man heute nur verstehen,
wenn man die Argumente stark macht, die in den
Gelehrtenstreitigkeiten des deutschen Idealismus allzu
schnell verächtlich zur Seite geschoben wurden. Nicht um
logische Setzungen oder Selbstbewusstseinsdifferenzierungen
ging es hier, sondern darum, eine eigene Stimme zu finden,
die den strengen Anforderungen der religiösen Lebensweise
ebenso entgegenkommt wie dem Emanzipationsgeschehen im
Bürgertum. Manchen Maskil hat dieser Zwiespalt zerrissen,
auch davon schreibt Schulte, doch dass die jüdischen
Aufklärer sich mit all ihren Mittel zu behaupten suchten,
muss man zu den wichtigen Leistungen der Haskala rechnen.
Leider fehlt in diesem engagierten Buch die
Rezeptionsgeschichte der Aufklärung. Gerade im
innerjüdischen Diskurs, etwa in der Weimarer Republik, sah
man die Gefahr einer aus der Haskala hervorgehenden
religiösen Bindungslosigkeit. Der Rabbiner und Philosoph
Albert Lewkowitz hat das in seinen Studien von 1924 und 1929
klar ausgesprochen. Doch das schmälert die Leistung von
Schulte nur unwesentlich. Wichtiger ist sein Mut, das Buch
in den Kontext seiner eigenen Lebensumwelt gestellt zu
haben. In Kreuzberg sei das Buch über die "Außenseiter der
Außenseiter" (Hans Mayer) entstanden. Dort zeige sich die
Kontinuität der Probleme, mit denen schon die jüdischen
Aufklärer kämpften: Leitkulturdemagogen, die die
Selbstaufgabe der Minderheit fordern auf der einen Seite,
und falsch verstandene Orthodoxie auf der anderen. |