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Richard Bauer/Michael Brenner (Hg.):
Jüdisches München
Vom Mittelalter bis zur Gegenwart

C.H. Beck Verlag München 2006
Euro 19,90

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Geschichte verpasster Gelegenheiten:
Jüdisches München

Von Katrin Schuster

"Vom Mittelalter bis zur Gegenwart" verfolgen die Autoren des Bandes "Jüdisches München" die Geschichte und Geschichten der Münchner Juden – von ersten Zeugnissen einer Ansiedlung im frühen 13. Jahrhundert über die Emanzipation seit der Mitte des 19. Jahrhunderts und die daran anschließende Vertreibung und Vernichtung durch die Nationalsozialisten bis hin zur Neugründung der Gemeinde gleich im Juli 1945 und ihrer Fortentwicklung bis heute.

"Natürlich war München nie jüdisch, so wie es etwa katholisch, bayerisch oder bierselig ist", schreibt Michael Brenner, Herausgeber neben Richard Bauer, in der Einleitung des Buches. Doch einer Rechtfertigung dieses längst überfälligen Projekts bedarf es gar nicht – wie das Werk selbst beweist: Natürlich war München immer auch jüdisch geprägt, in wirtschaftlicher, politischer und kultureller Hinsicht – Wertheimer, Eisner, Feuchtwanger sind nur drei der vielen großen Namen, die sich in die Historie der Stadt eingeschrieben haben.

In einem ausgewogenen Nebeneinander von Fakten und Anekdoten zeichnen die Verfasser das Bild eines jüdischen Lebens, das sich Zeit seines Bestehens nie lange in Sicherheit wiegen konnte. Eine Regensburger Urkunde belegt im Jahr 1229 einen "Abraham aus Municha" – das erste Zeugnis einer Besiedlung. Kaum 60 Jahre später werden die Münchner Juden in ihrer Synagoge verbrannt, weil man sie des Ritualmords bezichtigt. Wieder siedeln sich einige an, doch im Jahre 1349 verfolgt man sie erneut – sie trügen an der Pestepidemie Mitschuld, lautet diesmal der Vorwurf. Und so geht es weiter: 1442 vertreibt Albrecht III. die Juden aus seinem Herzogtum, bis ins 19. Jahrhundert bestehen zahlreiche Gesetze, die den Zuzug und das Gewerbetreiben von Juden regulieren, zeitweise wird dies oder jenes toleriert, dann wieder ausgesetzt. Privilegien gelten nur für diejenigen, die dem Fürsten nützlich sind, für die Hofjuden zum Beispiel, die das Geld beibrachten, um den aufwendigen Staat zu finanzieren und so überhaupt am Leben zu halten. Oft gerieten die Rückzahlungen ins Stocken, so etwa auch unter Kurfürst Karl Albrecht, dem nicht einmal mehr die Mittel zur Tilgung gegeben waren. "Die Auseinandersetzungen über die Darlehenszahlungen setzten sich daher noch weit über den Tod von Isaak und Wertheimer hinaus mit deren Erben bis ans Ende des 18. Jahrhunderts fort, ohne je zu einer endgültigen Lösung zu gelangen", schreibt Manfred Peter Heimers in dem Kapitel, das die Jahre 1442 bis 1799 umfasst.

Erst Anfang des 19. Jahrhunderts formuliert das "Regulativ über die hiesige Judenschaft" allgemeinverbindliche Vorschriften zu Aufenthalt, Niederlassung und Handel. Von Gleichberechtigung kann zwar naturgemäß noch keine Rede sein, doch immerhin bedeutet das Gesetz eine rechtliche Konsoldierung. 1815 wird die Israelitische Kultusgemeinde gegründet, zehn Jahre später die Synagoge in der heutigen Westenriederstraße gebaut. 1851 werden schließlich die zivilrechtlichen Benachteiligungen aufgehoben, ab 1861 ist der Zuzug von Juden ohne Einschränkungen gestattet, eine völlige Gleichstellung in allen Rechten erfolgt spätestens 1871.

In dieser Zeit jedoch häufen sich die innerjüdischen Konflikte zwischen liberalen und orthodoxen Ansichten, zwischen Befürwortern einer Orgel in der Synagoge und der deutschen Sprache während des Gottesdienstes und den Gegnern dieser Neuerungen. Am Ende gibt es zwei Synagogen: Im September 1887 wird das prächtige Gotteshaus am Lenbachplatz eingeweiht, im März 1892 sind die Bauarbeiten an der Synagoge der orthodoxen Ohel-Jakob-Gruppierung in der Herzog-Rudolf-Straße abgeschlossen. Zu diesem Anlass sang übrigens der lange Zeit von den Konservativen abgelehnte Synagogenchor, "auf einmal war mit der nun offenkundigen Trennung der Gotteshäuser gleichsam Einheit in der Vielfalt jüdischen Lebens in München möglich geworden." Eine Einheit, die vielleicht auch von außen oktroyiert wurde. Denn in den 1870er Jahren stieg gleichermaßen die Bereitschaft der Münchner, die Juden als Sündenböcke für dies und jenes zu benutzen. Was auch der I. Weltkrieg und die teils überaus patriotische Begeisterung der Juden nicht änderte und in dem Plan von der "Endlösung" seinen schockierenden Höhepunkt erlangte. Als "Hauptstadt der Bewegung" spielte München eine wichtige Vorreiterrolle antisemitischer Hetze und Ausschreitungen.

Innerhalb der Stadt überlebten nur wenige Juden das "Dritte Reich", im September 1944 verzeichnet ein offizielles Register neun Personen jüdischer Abstammung. Etwa 150 Jüdinnen und Juden kehrten im Juni 1945 mit einem Transport aus Theresienstadt in die Landeshauptstadt zurück, bereits im Juli gründete sich eine neue Gemeinde. Und bald gab es erste Konflikte: zwischen den Altmünchnern und den DPs – "mir kenen sich mer nischt farschtejn" dichtete Yitschok Perlow über die verschiedenen Erfahrungen, unter denen die Rückkehrer zu leiden hatten. Die "Ostjuden" waren nicht gut angesehen, unter anderem auch deswegen, weil ihnen zum Teil bessere Unterstützung von Staatsseiten zuteil wurde als den deutschen Juden. Ähnliche Konflikte hat auch die heutige Münchner Gemeinde zu bewältigen, wie Michael Brenner im Abschlusskapitel schildert.

Im Jahre 1945 wollten die meisten nur weg, auswandern in Richtung Palästina. Geblieben sind zum Glück dennoch viele. Auch wenn die Angst wohl nie ganz darniederliegt: Gleich nach dem Krieg war der Antisemitismus auch in München schon wieder deutlich zu vernehmen, seit Ende der 60er Jahre erfolgen in trauriger Regelmäßigkeit Anschläge auf jüdische Menschen und Einrichtungen. Doch die Hoffnung scheint nun wenigstens einen Ort in München gefunden zu haben: Am 9. November soll das neue Gemeindezentrum am Jakobsplatz eingeweiht werden. "Die jüdische Geschichte Münchens lässt sich auch als eine Geschichte verpasster Gelegenheiten erzählen", schreibt Michael Brenner. Auf dass sich das nun ändert – das Buch "Jüdisches München" ist jedenfalls ein wichtiger Grundstein dafür.

LESEPROBE

hagalil.com 27-10-06











 

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