Jim G. Tobias / Nicola Schlichting:
Heimat
auf Zeit
Jüdische Kinder in Rosenheim 1946-47
Zur Geschichte des "Transient Children's Center" in Rosenheim und der
jüdischen DP-Kinderlager in Aschau, Bayerisch Gmain, Indersdorf, Prien
und Pürten
Antogo Verlag 2006
Euro 11,80
Leseprobe:
Vorwort Link zum Nürnberger
Institut
für NS-Forschung und jüdische Geschichte des
20. Jahrhunderts:
www.nurinst.org |
Heimat auf Zeit:
Jüdische Kinder in Rosenheim 1946-47
Von Andrea Livnat
Das Nürnberger Institut für NS-Forschung und jüdische
Geschichte des 20. Jahrhunderts hat in den vergangenen Jahren zahlreiche
regionalgeschichtliche Veröffentlichungen vorgelegt, die bisher
unbekannte Aspekte der jüdischen Nachkriegsgeschichte aufgreifen. Der
neue Band "Heimat auf Zeit" liegt ganz auf dieser Schiene: Die
Geschichte jüdischer Kinderlager in Oberbayern nach dem Krieg dürfte den
wenigsten bekannt sein.
Jim G. Tobias und Nicola Schlichting rühren damit an ein besonders
sensibles Thema der Schoah, waren doch Kinder in besonderem Maß
traumatisiert, entwurzelt und ihrer Zukunft beraubt. "Der Holocaust als
Leben, als Leben in seiner auf den Schrecken konzentrierten
existenziellen wie sozialen Ausprägung - eine derartige Wahrnehmung
wiesen die erwachsenen Opfer zurück. Für Kinder, die während des
Holocaust herangewachsen waren, war auch dieses Leben etwas
möglicherweise Begreifbares, denn sie hatten es in sich aufgesogen",
schreibt der israelische Schriftsteller Aharon Appelfeld, der die Schoah
als Kind alleine in den ukrainischen Wäldern überlebte.
Der Schwerpunkt des vorliegendes Bandes liegt in der
Darstellung des jüdischen DP-Camp Rosenheim und seinem Kinderheim, das
von September 1946 bis April 1947 existierte. Eigentlich sollte es ein
Transitlager, der Aufenthalt auf ein oder zwei Wochen begrenzt sein,
doch es zeichnete sich bald ab, dass die Kinder länger bleiben würden.
Nur drei Wochen nach Eröffnung des Kinderheims wurde der
Schulunterricht begonnen, der zunächst stark improvisiert werden musste,
mangelte es doch nicht nur an ausgebildeten Lehrkräften, sondern auch an
einem genauen Unterrichtsplan und Lehrmaterialien. Die Kinder sehnten
sich nach Wissen, wie eine ehemalige Lehrerin berichtet: "Sie waren
verzweifelt, als die Stunde zu Ende war und sie wollten mehr und mehr
lernen."
Im Sommer 1947 lebten schließlich weniger als 500 DPs im
Lager. Die letzten Kinder und Jugendlichen ohne Angehörige hatten
Rosenheim verlassen. Das Lager wurde von da an als allgemeines DP-Camp
unter dem Namen "Camp Kadima" weitergeführt. Jim G. Tobias und Nicola
Schlichting stellen seine weitere Geschichte bis zur Auflösung im Mai
1949 mit vielen Details vor.
Neben dem DP-Camp Rosenheim erfährt der Leser
über die DP-Kinderlager in Aschau, Bayerisch Gmain, Indersdorf, Prien
und Pürten, jeweils kleinere Unterkünfte für Schoah-Überlebende, die
sich dort bis zu ihrer möglichen Ausreise Richtung Palästina aufhielten.
"Heimat auf Zeit" ist weit mehr als "nur"
Regionalgeschichte, erläutern die Autoren doch in einleitenden Kapitel
allgemein die Einrichtung der DP-Camps, die Situation jüdischer Kinder
nach dem Krieg und die verschiedenen Bemühungen der zionistischen
Jugendgruppen, die später bei der Vorbereitung auf die Alija von
Bedeutung waren. Ende 1946 lebten in der amerikanischen Besatzungszone
25.000 Juden unter 18 Jahren, 6000 von ihnen hatten keine Angehörigen
mehr.
Um nochmals Ahron Appelfeld zu Wort kommen zu
lassen: "Ich war in den Kriegsjahren ein Kind. Dieses Kind wurde
erwachsen, und alles, was ihm widerfuhr und mit ihm passierte, wirkte in
seinen Jahren als Erwachsener weiter: der Verlust des Zuhauses, der
Verlust der Sprache, Misstrauen, Angst, Redehemmung, Fremdheit." Es ist
gut zu sehen, dass es historische Forschung auch über diese verwundete
Seelen und ihr Schicksal nach dem Krieg gibt.
DVD Tipp:
Jim G. Tobias: Die vergessenen Kinder von Strüth. Ein jüdisches
Waisenhaus in Franken. TV-Dokumentation Medienwerkstatt Franken,
Nürnberg 2001.
Euro 16,00 zzgl. Versand
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hagalil.com
10-01-07
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