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Shmekendike Blumen

Martin Walser erlebt wie Juden fühlten…

Von Andrea Livnat

Es gibt Dinge, die man nicht verstehen muss. Nein, ich rede nicht von komplizierter Literatur, die sich erst durch mehrfaches Lesen aufschlüsselt. Ich rede von der Entscheidung, Martin Walsers neues Buch, oder besser sein neues Essay auf die Menschheit loszulassen. 144 Seiten verschwendete Lebenszeit könnte der Untertitel von „Shmekendike Blumen“ auch heißen. Aber es ist ein „Denkmal für Sholem Yankev Abramovitsh“.

Martin Walser hat nämlich die jiddische Literatur für sich entdeckt. Was ja eine feine Sache ist. Sholem Yankev Abramovitsh, besser bekannt unter seinem Autorennamen Mendele Moicher Sforim, wird allgemein als Begründer der modernen jiddischen Literatur bezeichnet, gemeinsam mit Scholem Alejchem und Isaak Leib Perez. Die Literaturwissenschaftlerin Susanne Klingenstein veröffentlichte kürzlich eine Biografie Abramovitshs unter dem Titel: „Mendele der Buchhändler. Leben und Werk des Sholem Yankev Abramovitsh – Eine Geschichte der jiddischen Literatur zwischen Berdichev und Odessa“. So weit so spannend. Dachte sich wohl auch Martin Walser. Er war von der Lektüre Klingensteins, die ihm die Tür zur jiddischen Literatur öffnete, so begeistert, dass er gleich selbst zur Feder greifen musste und ihr das Ergebnis, sein Essay unter dem vielsagenden Titel „Shmekendike Blumen“, auch widmete.

Eine schöne Sache. Das Problem dabei: Walsers Essay erzählt ganz einfach Klingenstein nach. Natürlich nicht im Ganzen, ihre Arbeit hat fast 500 Seiten, er pickt sich vielmehr einige Zuckerl heraus und tut vor allem eines: zitieren. Seitenweise zitieren. Seitenweise Abramovitsh selbst und seitenweise Klingenstein zitieren. Dabei ist vieles aus dem Zusammenhang gerissen und einiges ist in dieser verkürzten Darstellungsweise auch reichlich problematisch, wie etwa die Bezugnahme auf den Chassidismus. Wer sich für das Leben Abramovitshs und sein literarisches Schaffen interessiert, sollte daher einfach Klingensteins Buch lesen. Übrigens keine wissenschaftlich abgehobene Arbeit, der man als Otto-Normal-Leser nicht folgen könnte.

Der Teil, der verschiedene Rezensenten begeistert, ist dann natürlich jener, in der Walser auf die Schoa zu sprechen kommt. „Das Ausmaß unserer Schuld ist schwer vorstellbar. Von Sühne zu sprechen ist grotesk. Mir ist im Lauf der Jahrzehnte vom Auschwitz-Prozess bis heute immer deutlicher geworden, dass wir, die Deutschen, die Schuldner der Juden bleiben. Bedingungslos. Also absolut. Ohne das Hin und Her von Meinungen jeder Art. Wir können nicht mehr gutmachen. Nur versuchen, weniger falsch zu machen.“

Tatsächlich starke Wort für den Mann, dessen Rede in der Frankfurter Paulskirche von 1998 Ignatz Bubis als „geistige Brandstiftung“ bezeichnete. Schön, danke, dann wäre das also auch geklärt. Warum man dazu 144 Seiten zwischen Buchdeckel pressen muss, bleibt ein Rätsel. Walser hätte diesen Absatz auch einfach in einen schönen Zeitungsbeitrag verpacken können. So bleibt ein unangenehmer Nachgeschmack der Shmekendiken Blumen, der übertriebenen Begeisterung, die etwas von einer Reinwaschung hat.

Aber offensichtlich hat Walser den Umweg über die jiddische Literatur nehmen müssen. Denn er schreibt: „Wenn man Abramowitsh liest, erlebt man erst, wie Juden fühlten, träumten, beteten, wie sie waren.“ Und das ist irgendwie traurig – und auch befremdlich. Man erlebt es nämlich auch, in dem man sich mit ihren Nachkommen, den echten lebendigen Juden abgibt.

Martin Walser, Shmekendike Blumen. Rowohlt Verlag, Reinbek, 144 S., 14,95 Euro, ISBN 978-3-498-07387-9.