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Hinrich Wilhelm Kopf: Der zwielichtige Landesvater

Zwielicht ist altdeutsch und bedeutet: Licht aus zwei Quellen. Jahrzehntelang galt der erste Ministerpräsident des Bundeslandes Niedersachsen als Lichtgestalt. Zahlreiche Schulen, Kindergärten, Straßen, Plätze und nicht zuletzt eine Bundeswehrkaserne sind nach ihm benannt worden…

Hinrich Wilhelm KopfVon Orlando Berliner/ Susanne Benöhr-Laqueur

Bereits das Fotomaterial, das von Kopf existiert, spricht Bände: Ein nett anzusehender, leicht fülliger, weißhaariger, schnurrbarttragender älterer Herr, kurzum: Kopf war eine Vaterfigur par exzellence. Diese Art von Männern wurde nach dem 2. Weltkrieg von den Alliierten dringend gesucht. Je unbelasteter der Aspirant war, um so besser. Die Briten waren folglich hocherfreut, als man sie auf den ehemaligen niedersächsischen Landrat Hinrich Wilhelm Kopf aufmerksam machte (S. 276, 762, 771, 811), der als SPD-Parteimitglied im Jahre 1933 von den Nationalsozialisten seines Amtes enthoben wurde (S. 209).

Kopf erfüllte die in ihn gesetzten Erwartungen. Er war ein „Tatmensch“: Klug, diszipliniert und optimal vernetzt (S. 815). In den Wirren der Nachkriegszeit wahrte er Ruhe und betrieb mit der ihm eigenen Energie und Beharrlichkeit die Neukonstitution des Landes Niedersachsen voran (S. 275, 815). Das war ein Kraftakt, denn die Interessen der Braunschweiger, Oldenburger und Hannoveraner verliefen seit jeher durchaus diametral (S. 275 ff). Kopf meisterte die Situation. Er war ein Chamäleon (S. 823): Sowohl bei den Welfen, den Briten als auch auf dem platten Land (dann plattdeutsch sprechend) ein gern gesehener Gast (S. 813, 826). Als er mit nur 68 Jahren starb, hatte Kopf als Ministerpräsident des Landes Niedersachsen 11 Jahre regiert und das Land maßgeblich geformt.

Teresa Nentwigs Dissertation wirft eine neues Licht auf diese „Lichtgestalt“. Das Ergebnis ist in der Tat brisant. Überaus dezidiert – auf immerhin 941 Seiten – gelingt Teresa Nentwig der Nachweis, dass Kopf ein extremer Grenzgänger gewesen ist (S. 821 ff), der als ein “scharfes Werkzeug” jedem diente (S. 823) – so auch den Nationalsozialisten.

Die Politik handelte rasch: Teresa Nentwigs Dissertation wurde vom amtierenden SPD-Ministerpräsidenten, Stephan Weil, im Juni 2013 im Landtag zu Hannover vorgestellt.1 Ein Novum.

…der lange Schatten der Vergangenheit

Kopf beschrieb seine Tätigkeit zwischen 1933 und 1945 als diejenige eines “selbständigen Kaufmanns und Landwirts” (S. 248). Diese Selbstcharakterisierung war ausgesprochen kreativ. In der Tat wurde er 1933 als Landrat. Im Gegensatz zu anderen SPD-Mitgliedern, die in das Ausland fliehen mussten bzw. ärgsten Repressionen ausgesetzt waren, wie z.B. Ernst Reuter, Kurt Schumacher oder Fritz Baade, gründete Kopf im Jahre 1934 in Berlin die Firma „Hinrich Wilhelm Kopf & Bohne. Vermögensverwaltungen, Grundstücke, Hypotheken, Finanzierungen“ (S. 212). Zusammen mit seinem Compagnon, Edmund Bohne, spezialisierte er sich auf Vermögensgeschäfte diverser Art. Die Firma war sehr schnell erfolgreich und residierte alsbald am Kurfürstendamm (S. 213). Zu dem Tätigkeitsfeld gehörte – so deutet es die Autorin an – auch die „Arisierung“ von jüdischen Geschäften und Betrieben. Hierbei handelte es sich um ein ausgesprochen lukratives Geschäft. Berlin war das deutsche Wirtschafts- und Finanzzentrum. Zudem beherbergte die Stadt die größte jüdische Gemeinde. Die Präsenz jüdischer Geschäfte war entsprechend hoch. Ungefähr 28.000 bis 30.000 jüdische Geschäfte und Betriebe dürften in dieser Zeit in Berlin bestanden haben (S. 215). Das Novemberprogrom des Jahres 1938 führte zu einer wahren Emigrationswelle (S. 215). Alleine im Januar und Februar 1939 betrug die Zahl der Emigranten 6.400 (S. 215). Seit dem Jahre 1933 waren über 80.000 Juden aus Berlin geflohen (S. 215). In diese „Geschäfte“ war Kopf massiv involviert. Anders lässt sich es nicht erklären, das die „Reichs-Kredit-Gesellschaft AG“ im Jahre 1939 (S. 215) seine Gewandtheit und Versiertheit als Kaufmann sowie die „guten Erfahrungen“ lobte, die man mit ihm bei verschiedenen gemeinsam durchgeführten „Arisierungen“ gemacht hatte (S. 215, 216).

Aufgrund der schlechten Quellenlage, sind indes dezidierte aktenbasierte Fälle de facto kaum mehr nachweisbar (S. 216). Teresa Nentwig hat in diesem Zusammenhang jedoch zumindest einen Fall recherchieren können. So war Kopf bei der „Arisierung“ des Vermögens von Leo Neumann – einem der reichsten Bremer Unternehmer – maßgeblich beteiligt. Leo Neumann war Inhaber eines der größten deutschen Warenhäuser, das sich in zentraler Lage in der Bremer Innenstadt befand (S. 216, Fn. 731). Aufgrund der Größenordnung des „Arisierungsprojektes“ wurden ortsferne Kaufleute – so auch Kopf – beauftragt. Das belegt, dass Kopf republikweit agierte und einen entsprechendes Renommee gehabt haben muss. In der Tat: Die Hanse- und Kaufmannsstadt Bremen und das nahe gelegene  Hamburg dürften ihrerseits sicherlich über zahlreiche „Immobilienverwerter“ verfügt haben. Statt derer beauftragte man den immerhin 400 km entfernt ansässigen Kopf. Dass Hermann Josef Abs, damals Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, die Firma von Kopf als „absolut vertrauenswürdig“ bezeichnete (S. 215), wirft ein prägnantes Licht auf die Geschäftspolitik.

Nach dem Beginn des 2. Weltkriegs und dem Einmarsch in Polen bot sich für Kopf ein neues und gewinnträchtiges Geschäftsfeld (S. 219). In der Folgezeit war er maßgeblich in die Katalogisierung, Verwertung und Veräußerung jüdischen und polnischen Vermögens im besetzten Polen involviert (S. 218 ff). Zunächst beauftragte ihn der Oberbürgermeister von Königshütte/Schlesien im Jahre 1939 mit der Aufgabe, das Vermögen der Geflüchteten zu erfassen und zu verwalten (S. 218). Alleine im Jahre 1939 erwirtschaftete die Firma über 205.000 RM. Das entspricht – wie Teresa Nentwig schreibt – einer heutigen Kaufkraft von über 806.000 EURO (S. 219).

Kopf taktierte glänzend und war in der Folgezeit für die HTO (Haupttreuhandstelle Ost) tätig. Dort erwirtschaftete er einen maximalen Gewinn (S. 231). In der Jahresbilanz für 1940 wies die Zweigstelle Königshütte von allen neun Zweigstellen der Leistelle Oberschlesien die meisten flüssigen Mittel auf (S. 231). Im Mai 1941 übernahm Kopf die Leitung der Außenstelle Kattowitz (S. 232) – dabei hatte er stets seine persönliche Profitmaximierung im Blick (S. 232). Eben dieser Wesenszug führte ihn alsbald auf einen Kollisionskurs mit der Leitung der HTO. Im Jahre 1942 beendete er seine Arbeit für die HTO, kehrte nach Berlin zurück und entfachte einen langen und zähen Rechtsstreit mit der HTO um ausstehende Geldforderungen (S. 238 ff). Nachdem die Firma von Kopf im Jahre 1943 ausgebombt wurde – wobei sämtliche Firmenunterlagen verloren gingen – zog sich Kopf auf sein Landgut nach Schlesien zurück. Dort verwaltete er – trotz des anhängigen Rechtsstreits mit der HTO – das Vermögen der jüdischen Einwohner der kleinen oberschlesischen Stadt Czieschowa. Im Zuge der „Vermögensverwertung“ veräußerte er die Grabsteine des jüdischen Friedhofes (S. 247). Wie gewohnt agierte Kopf souverän und geschäftstüchtig. Er verglich und sondierte die Angebote (S. 247). Der HTO meldete er, dass es ihm gelungen war, die Steine für einen maximalen Gewinn veräußert zu haben (S. 247). Indes war der Verkauf des gesamten Friedhofgeländes gescheitert – das Grundstück, so Kopf, sei „zurzeit (…) nicht verwertbar“ (S. 247, Fn. 918).

Demgegenüber war Kopf durchaus bereit, Juden behilflich zu sein. So erwähnt die Autorin, dass er diversen jüdischen Familien in allen Finanzangelegenheiten hilfreich und selbstlos zur Seite stand (S. 218, Fn. 740). Darüber hinaus soll er in der Reichsprogrom-nacht mehreren Juden, die vor der brennenden Synagoge in der Berliner Fasanenstraße und vor den Zerstörungen der jüdischen Geschäfte in sein Büro geflüchtet waren, Schutz gewährt haben (S. 218).

…wer wusste, konnte wissen

Kopfs Vita war zweifellos geschönt. Dies wurde nach dem Weltkrieg auch alsbald publik. Die niedersächsische KPD erhob bereits 1945 Vorwürfe, nach denen Kopf eine belastete Vergangenheit habe (S. 743). Im Jahre 1947 gelang es den Polen, Kopf auf die „Kriegsverbrecherliste der Vereinten Nationen“ zu setzen (S. 749). Ihm wurde die Misshandlung von Arbeitern auf seinem Gut in Schlesien, die Beschlagnahme von Privateigentum und die Vertreibung von Menschen im Rahmen des Evakuierungs-programms vorgeworfen (S. 750). Die Beweislage war allerdings dünn. Trotzdem betrieben die Polen voller Engagement – wenngleich letztlich ohne Erfolg – seine Auslieferung als Kriegsverbrecher nach Polen (S. 752 ff). Kopf war zu diesem Zeitpunkt bereits Ministerpräsident des Landes Niedersachsen und für die Briten beim Neuaufbau des Landes absolut unersetzlich (S. 771, 811). Längst war der Kalte Krieg ausgebrochen. Ferner taktierten die Polen in ihrem Verfolgungseifer äußerst ungeschickt vor dem zuständigen britischen Militärgericht (S. 754). Da Kopf zum einen glänzend von dem Rechtsanwalt und SPD-Doyen Carlo Schmid vertreten wurde (S. 768) und zum anderen den Briten die Rolle der HTO in den besetzten Ostgebieten offenbar völlig unbe-kannt war ( S. 769, 781) und letztendlich sämtliche Firmenunter-lagen in den Wirren des Weltkrieges verloren gegangen waren, verließ Kopf den Gerichtssaal als freier Mann. Das Verfahren wurde eingestellt (S. 769). Im Nachkriegsdeutschland keine Seltenheit – Kopf befand sich in guter Gesellschaft, er war „Einer der Seinen“.

Dass mit Kopfs Vita etwas nicht stimmte, war hingegen nicht nur den Briten bewusst (S. 770) auch der SPIEGEL beschrieb in seinem Nachruf durchaus zweideutig „Hinrich Wilhelm Kopf, der letzte preußische Oberpräsident (September 1945 bis August 1946), war ein Bonhomme der Vernunft, doch niemals farblos, ein Opportunist, doch souverän.“2

Fazit

Teresa Nentwigs Werk ist uneingeschränkt zu empfehlen. Man sollte vor dem über 900 seitigen und 1,3 kg schweren (sic!) Werk nicht zurückschrecken. Die Autorin schreibt flüssig und leicht verständlich. Der Fußnotenapparat ist ausgesprochen umfangreich, anders formuliert: Das Werk ist eine „Fundgrube“.

Epilog

Kopf hat sich Verdienste um das Land Niedersachsen erworben. Daran besteht kein Zweifel. Andererseits war er eine zwielichtige Person. Er hatte mit Vorsatz, d.h. mit Wissen und Wollen, die Öffentlichkeit und die Briten über seine Rolle bei der „Arisierung“ in Deutschland und Polen getäuscht.

Die Forderung nach einer Umbenennung von Straßen, Plätzen, Schulen und Kindergärten wurde im Sommer 2013 rasch publik.3 Bezeichnenderweise heißt z.B. der Platz vor dem Nieder-sächsischen Landtag in Hannover „ Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz“. Diese Forderung, u.a. geäußert von Michael Fürst, dem Vorsitzenden des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen,4 trat Teresa Nentwig entgegen: „Umbenennungen sind nicht immer zwingend notwendig“.5

Nunmehr ist der Fall „Hinrich Wilhelm Kopf“ nicht singulär. Die Bremer und Bremerhavener mussten sich in der jüngsten Zeit mit der Vergangenheit ihres Bürgermeisters Johann Smidt (1773-1857) auseinandersetzen. Eine honoriger und verdienter Bürger des Stadtstaates – und zugleich ein überzeugter Antisemit. Die Bremer trafen die folgende Entscheidung: Die Statue zu Ehren von Johann Smidt, die sich an zentraler Stelle im altehrwürdigen Bremer Rathaus befindet, wurde mit dem folgenden Zusatz versehen “ Die Schattenseiten seines langen Handelns wurden dabei lange übersehen. Vor allem seine Politik gegen die bürgerliche Gleichberechtigung und Niederlassungsfreiheit von Juden in Bremen und gegen die erste demokratische Verfassung Bremens von 1848.“

Auch diese Möglichkeit könnte man im „Falle Kopf“ zumindest erwägen.

Teresa Nentwig, Hinrich Wilhelm Kopf. Ein konservativer Sozialdemokrat, Hahnsche Buchhandlung 2013, 941 S., Euro 48,00, Bestellen?

  1. http://www.stk.niedersachsen.de/aktuelles/presseinformationen/aktuelle-dissertation-ministerpraesident-stephan-weil-eroeffnet-kritische-debatte-ueber-das-lebenswerk-von-hinrich-wilhelm-kopf–115740.html []
  2. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43367893.html []
  3. http://www.haz.de/Nachrichten/Politik/Niedersachsen/Hinrich-Wilhelm-Kopf-Schulen-sollen-umbenannt-werden []
  4. http://www.sueddeutsche.de/politik/spd-idol-hinrich-wilhelm-kopf-die-braune-vita-von-niedersachsens-erstem-ministerpraesidenten-1.1719066 []
  5. http://www.sueddeutsche.de/politik/spd-idol-hinrich-wilhelm-kopf-die-braune-vita-von-niedersachsens-erstem-ministerpraesidenten-1.1719066 []

1 comment to Hinrich Wilhelm Kopf: Der zwielichtige Landesvater

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    Eine sehr gut recherchierte Rezension. Ich brenne schon darauf mehr dieses kreativen Ergusses lesen zu dürfen. Ich finde es gut, dass endlich einmal jemand das bedeutsame Leben von Meister Kopf erklärt und erläutert. Äußerst interessant.