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Verschweigen, Verdrängen, Ignoranz

Lebenswege der zweiten Generation nach dem Holocaust…

Von Fritz Bilz
Erschienen im Newsletter des Verein EL-DE-Haus e.V. 09/10 2013

Diese Publikation ist Teilergebnis einer Untersuchung durch Menschen der „dritten Generation“, die Menschen der „zweiten Generation“ aus Israel und Deutschland darüber befragt haben, wie das nationalsozialistische Geschehen in ihrer Familie überliefert wurde. Dabei bewegte sich die Untersuchung an folgenden vier Fragestellungen:

– Welche Erfahrungen machen Kinder von Eltern, die zur NS-Zeit gelebt haben?
– Welche familiären intergenerationalen Prozesse sind aus dem Erleben der Eltern entstanden?
– Wie wirkte sich der familiäre Umgang mit der NS-Geschichte auf die Lebensqualität der zweiten Generation aus?
– Welchen Einfluss haben diese Prägungen auf die konkreten Lebenswege der Söhne und Töchter?

Die deutschen Ergebnisse liegen nun in dieser Publikation vor. 30 Zeitzeugen-Interviews wurden anhand der Fragestellungen ausgewertet, davon wurden zehn biografische Verläufe herausgearbeitet und in der Publikation näher beleuchtet. Sechs davon sind Kinder von Eltern, die den Nationalsozialismus als Mitläufer erlebten und jeweils zwei, die das NS-System als Opfer oder Täter erlebten.

Bei allen Mitläuferfamilien ist festzustellen, dass die Eltern Schwierigkeiten hatten, sich individuell mit der NS-Vergangenheit auseinanderzusetzen. Das Motto lautete: Verschweigen, Verdrängen, Ignoranz. Oft wurden Tabus ausgesprochen. Dieses Verhalten deckte sich mit dem Verhalten der Mehrheitsgesellschaft in Deutschland in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten.

Bei den Täterfamilien war das Ausblenden der NS-Verbrechen manifest. Bei den Opferfamilien gab es die Angst vor den schmerzlichen Erinnerungen und den traumatischen Erlebnissen. Täter- wie Opferkinder berichteten, dass ihre Kindheit und Jugend von wiederkehrenden Stresssituationen und geringer Fürsorge geprägt waren. Aber alle vier Kinder hatten das starke Bedürfnis, sich mit der Familiengeschichte und der NS-Vergangenheit auseinanderzusetzen.

Bei allen zehn Interviews fällt auf, dass die erste Generation, die im NS-System lebte, die Verarbeitungsprozesse an die Nachkommen delegiert hat. Dies hat Auswirkungen. „Eine lange vor der Geburt liegende belastende Familien-Angelegenheit kann noch heute die Lebenswege der Nachgeborenen erheblich beeinflussen“, so das Resümee der Autorinnen am Ende der Untersuchung.

Bei dieser Publikation handelt es sich um eine spannende und durchaus zu neuen Erkenntnissen führende Darstellung lebensgeschichtlicher Prägungen.

Marie-Luise Kindler / Luise Krebs / Iris Wachsmuth / Silke Birgitta Gahleitner (Hrsg.): „Das ist einfach unsere Geschichte“. Lebenswege der zweiten Generation nach dem Nationalsozialismus. Originalausgabe. Mit einem Nachwort von Christian Staffa, 202 S., Psychosozial-Verlag, Gießen 2013, 24,90 Euro, Bestellen?
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