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Wir sind, was wir erinnern…

Vor zwei Jahren haben wir an dieser Stelle ein außergewöhnliches Buch von Konrad Görg vorgestellt, das die Geschichte von Erwin Katz und vielen anderen erzählt, die „kein Grab haben“, weil sie während der Shoa ermordet wurden…

Von Ramona Ambs

Aber erzählt wird nicht nur die Geschichte von Erwin und seiner Familie, sondern erzählt wird, in welchem Klima all das geschehen konnte. Görg stellt die Geschichte der Familie in Zusammenhang mit Zitaten und Äußerungen von Tätern, Analysten und Opfern aus der Zeit vor der Verfolgung, währenddessen und aus der Zeit danach. Mit diesem einzigartigen Vorgehen schafft er es, die Atmosphäre des Hasses greifbar zu machen und ins Heute zu transportieren.

Nun wurde das Buch überarbeitet und erweitert. Neu ist beispielsweise ein bisher unveröffentlichtes Briefdokument (Brief eines Freundes an den 2004 verstorbenen Vater von Petr Abeles, der Frankfurter Dr. Karl Brozik/Abeles über den gemeinsam durchgemachten Todesmarsch von Auschwitz nach Mauthausen), das von  der Arbeitsstelle Holocaust-Literatur an der Universität Gießen professionell aus dem Tschechischen übersetzt wurde. Aber auch die rechtsradikal motivierten Morde der Zwickauer Zelle und ihrer Resonanz in der Gesellschaft wurden aufgegriffen und mit ins Buch einbezogen.

So findet man im 16. Kapitel (Verantwortung für Demokratie und Freiheit) neue wichtige und aktuelle Texte und Zitate zum Rechtextremismus und den „Zwickauer Morden“.  Durch die aneinandergereihten Sprüche und Aussagen beginnt ein Gespräch zwischen Vergangenheit und Gegenwart. So findet man beispielsweise das alte Zitat von Bertolt Brecht „Wehe dem Land, das Helden nötig hat“ nur wenige Seiten vor einem aktuellen Zitat von Franca Magnani „Je mehr Bürger mit Zivilcourage ein Land hat, desto weniger Helden wird es einmal brauchen“.

Die ganze Sammlung verdeutlicht, was Fritz Bauer einmal angemahnt hatte: „Nichts ist Vergangenheit. Alles ist Gegenwart und kann wieder Zukunft werden.“ Görgs Sammlung ist ein wichtiger Beitrag, um eine positive umfassende Erinnerungskultur aufzubauen, die verlässlich und dauerhaft eine „Orientierungskultur“ für die kommenden Generationen darstellt (Görg). In diesem Sinn, bekommt auch ein Zitat Hannah Arendt das „letzte Wort“ hier:

„Frage nach, wo immer Du Unrecht begegnest, lass Dir erklären das Wie, Wo und Warum! Indem Du Dich einmischst, den anderen befragst, ihn zu einer Antwort aufforderst, es Dir von ihm oder ihr erklären lässt, hast Du meistens schon etwas bewirkt. Im Dialog haben zwei über einen Sachverhalt nachgedacht, der sonst nicht in unser reflektierendes Bewusstsein aufgestiegen wäre.“

„Wir sind, was wir erinnern – Zwei Generationen nach Auschwitz – Stimmen gegen das Vergessen“. Vorwort von Erhard Roy Wiehn
Geleitwort von Horst-Eberhard Richter. Erste Auflage 2012 (gebundene und erweiterte Ausgabe). 152 Seiten. € 9,95. ISBN 978-3-86628-425-8 und 3-86628-425-X., Bestellen?

Das Buch ist auch in englisch erhältlich:

»We Are What We Remember, Germans, Two Generations after Auschwitz – Voices to Remind Us«,
English translation 2010 from the second German edition 2009, by Fritz Voll/Canada, Hartung-Gorre Publishers, Konstanz, Germany, ISBN 978-3-86628-342-8