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Psychoanalyse und Politik

Vor vier Wochen, am 19.12.2011, ist der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter im Alter von 88 Jahren verstorben. Er galt als der Vertreter der Friedensbewegung; zugleich war er der Begründer einer psychoanalytischen Familientherapie. Sein Gießener Schüler und Kollege Hans-Jürgen Wirth hat in einem mit Psychotherapeut der Nation betitelten Nachruf an dessen Wirken erinnert. Nachfolgend stellen wir Horst-Eberhard Richters 1999 erschienenes Werk „Psychoanalyse und Politik. Zur Geschichte der politischen Psychoanalyse“ vor…

Von Roland Kaufhold

Als Sigmund Freud 1910 mit einer kleinen Zahl von Mitstreitern die „Internationale Psychoanalytische Vereinigung“ gegründet und somit die organisatorischen Grundlagen für eine Ausbreitung seiner originellen, beunruhigenden Erkenntnisse gelegt hatte, benannte er sehr offen die massiven Gegenkräfte, die sich seinem Bemühen entgegenstellen würden. Er betrachtete diese Gegenkräfte nicht als böswillig, sondern als notwendig. Dementsprechend formulierte er pointiert: „Die Gesellschaft wird sich nicht beeilen, uns Autorität einzuräumen. Sie muss sich im Widerstand gegen uns befinden, denn wir verhalten uns kritisch gegen sie; wir weisen ihr nach, dass sie an der Verursachung der Neurosen selbst einen großen Anteil hat…“, um anschließend mit verhaltenem Optimismus, mit „kühner Selbstsicherheit“ (S. 19) hinzuzufügen: „Die einschneidensten Wahrheiten werden endlich gehört und anerkannt, nachdem die durch sie verletzten Interessen und die durch sie geweckten Affekte sich ausgetobt haben. Es ist bisher noch immer so gegangen, und die unerwünschten Wahrheiten, die wir Psychoanalytiker der Welt zu geben haben, werden dasselbe Schicksal finden. Nur wird es nicht sehr rasch geschehen; wir müssen warten können.“

Horst-Eberhard Richter stellt diese Äußerung Freuds an den Ausgangspunkt seines neuen, sehr lebendig und ermutigend geschriebenen Buches. Der Titel „Bedenken gegen Anpassung. Psychoanalyse und Politik“ verweist auf die kulturkritische Intention Richters. In 31 Kapiteln unternimmt Richter den weitgreifenden Versuch, sowohl historisch verwurzelte als auch aktuell gesellschaftlich bedingte Tendenzen zu eruieren, die uns zu bedenklichen, letztendlich tendenziell entmündigenden Anpassungsleistungen an bestehende Verhältnisse veranlassen. Seine Grundhaltung ist hierbei – allen populistischen, Zynismus als Ideal zelebrierenden Zeitgeisterscheinungen zum Trotz – von Behutsamkeit, von Takt geprägt, gepaart mit ansteckendem Engagement und unzweideutig entfalteten Analysen. Seinem Buch stellt er eine Bemerkung voran, die seine Zielsetzung, aber eben auch die Widerständigkeit des gewählten Themas präzise wiedergibt:

„… Wer Anpassungszwängen taktisch nachgibt, wohl wissend, dass er ihnen mit vertretbarem Risiko widerstehen könnte und auch sollte, wird nach und nach die Unzumutbarkeit von Anpassungsforderungen gar nicht mehr wahrnehmen, das heißt, die eigene Gefügigkeit auch nicht mehr als Fluchtreaktion durchschauen. Alles erscheint normal: die Verhältnisse, denen er sich ergibt, und der Verzicht auf Gegenwehr, den er eben gar nicht mehr als Verzicht erlebt.“

Zum Inhalt: Die ersten Kapitel sind historisch orientiert. Von den umfänglichen Studien Reichmayrs, Mühlleitners und Fallends ausgehend entfaltet Richter das emanzipatorische, sozialistische Bemühen zahlreicher Pioniere der Psychoanalyse. Wichtig ist es ihm hierbei, auch emotional die Vitalität der damaligen Diskussionen nachvollziehbar zu machen. Diese wurden vor allem von Bernfeld, Reich, Simmel und Fenichel vorangetrieben, „bis deren Aktivitäten unter der Bedrohung und Verfolgung durch die Nazis vorläufig erstickt wurden“ (S. 23). Die Überschriften der ersten Kapitel entsprechen diesem Ansatzpunkt: „Die Psychoanalyse muss die Gesellschaft herausfordern“, „Versuche, die Psychoanalyse mit dem Sozialismus zu verbinden“, „Zwei publizieren gegen Hitler – die anderen bleiben stumm“ und „Zugeständnisse bis zur Selbstverleugnung“. Richter erinnert noch einmal an die Bemühungen insbesondere in den 20er und 30er Jahren, die Psychoanalyse mit dem Marxismus zu verbinden. Manche kamen zur Psychoanalyse, weil diese ihnen als eine Ergänzung ihres sozialreformerischen Engagements erschien. In einer gewissen Weise teilte Freud dieses Engagement, was sich u.a. in seiner Unterstützung von zwei pazifistischen Manifesten zeigte, in denen die Abschaffung der Wehrpflicht gefordert wurde: „Sie ist eine Form der Knechtschaft. Dass die Völker sie gewohnheitsmäßig dulden, ist nur ein Beweis mehr für ihren abstumpfenden Einfluss. Militärische Ausbildung ist Schulung von Körper und Geist in der Kunst des Tötens. Militärische Ausbildung ist Erziehung zum Kriege. Sie ist die Verewigung des Kriegsgeistes.“  Die sich verschärfenden gesellschaftlichen Verhältnisse ließen nicht viel Zeit, diese klarsichtigen Analysen zu vertiefen.

In „Zwei publizieren gegen Hitler – die anderen bleiben stumm“ erinnert Richter an zwei Autoren, die es nicht bei eher allgemein bleibenden Bemühungen beließen, sondern die die Gefahr des heraufziehenden Faschismus sehr bewusst erkannten und öffentlich wissenschaftlich analysierten: Wilhelm Reich und Georg Simmel. Simmel, dessen bedeutenden Schriften seit wenigen Jahren wieder allgemein zugänglich sind, veröffentlichte beispielsweise 1932 den mutigen sozialpsychologischen Aufsatz „Nationalsozialismus und Volksgesundheit“, in dem er u.a. schrieb:

„Die Hitler-Bewegung ist nun, psychologisch gesehen, eine Wiederherstellung des Kriegszustandes für ihre Anhänger. Es herrscht wieder absolute Befehlsgewalt des einen unverantwortlichen Führers, der allen anderen die Verantwortung und damit ihre Schuldgefühle abnimmt. Der Feind steht wieder außerhalb der Gemeinschaft. Diesmal ist es der Jude, der Marxist, der Andersdenkende – er ist das Ziel, in Wirklichkeit das Phantom für die Abreaktion aggressiver kannibalischer Strebungen“ (S. 33).

Solche Studien erregten innerhalb der psychoanalytischen Zunft bekanntlich keineswegs ungeteilte Freude. Sie stießen in Wien und Berlin vielmehr „teils auf betretenes Schweigen, teils auf heftige Ablehnung“ (S. 36).

Es kam zur Maßregelung Wilhelm Reichs, 1934 zum Ausschluss. Für Richter stellt der „Präzedenzfall Reich“ (S. 40) einen Wendepunkt in der Geschichte der Psychoanalyse dar, der zur Marginalisierung gesellschaftskritischer Bestrebungen führte, deren Folgewirkungen bis heute – wie Richter im Buch immer wieder herauszuarbeiten versucht -, nachweisbar sind. Die reale gesellschaftliche Gewalt wurde damals von der Majorität der Analytiker nicht „bearbeitet“, sondern mit einem Diskussionsverbot belegt, also tabuisiert. Es kam zu einer Anpassung an den „Zeitgeist“, einer schleichenden Deformation des ehemals selbstkritischen Impetus‘. Richter betont: „Man warf den Mann hinaus, der offen und unmissverständlich klarmachte, dass die Leitvorstellung einer durch Autoritätsgehorsam gleichgeschalteten „Volks- und Rassegemeinschaft“ dem Menschenbild der Psychoanalyse unversöhnlich gegenüberstand. (…) Nicht als einer, der eine gefährliche Wahrheit publiziert hatte, sondern als ein Abtrünniger wurde Reich eliminiert“ (S. 37f.). Dass dies keineswegs eine „historische“ Diskussion ist, hat sich spätestens in den 80er Jahren gezeigt. Eine „offizielle“ Entschuldigung für den opportunistischen Hinauswurf Reichs, eine Rehabilitation Wilhelm Reichs, hat es niemals gegeben. Im 20. Kapitel greift Richter dieses Thema erneut auf, und zwar in sehr origineller Weise. In „Willy Brandt, Wilhelm Reich und die Psychoanalyse“ schildert Richter die Motive seines Engagements für Willy Brandt Anfang der 70er Jahre. Richter war beeindruckt von Brandts Glaubwürdigkeit. Dieser berichtete ihm einmal, dass er an Wilhelm Reichs Seminaren während ihrer gemeinsamen Emigrationszeit in Oslo als begeisterter Zuhörer teilgenommen habe. Dessen psychoanalytischen Deutungen des Faschismus erschienen Brandt als hochinteressant und überzeugend. Richter schildert nun eine Szene, die seinen Versuch, Spuren der progressiven Ursprünge der Psychoanalyse auch noch in der Gegenwart glaubwürdig wirksam werden zu lassen, in verdichteter Form konkretisieren:
„Dass er übrigens, noch als Kanzler, nach einem sonntäglichen Telefongespräch die schon gestrichenen Gelder für die Psychiatrie-Reform Finanzminister Matthöfer doch noch abgerungen hat, sei nur nebenbei erwähnt. So war Wilhelm Reich als eine Art Katalysator am Ende doch noch indirekt an einer sinnvollen gesundheitspolitischen Initiative in dem Land beteiligt, das ihn vertrieben hatte. Es dürfte in seinem Sinne gewesen sein“ (S. 174).

Zurück zum chronologischen Aufbau des Buches. Richter erinnert an das von Simmel organisierte Antisemitismus-Symposium 1944 in San Francisco, wo einige vertriebene Psychoanalytiker und Soziologen inmitten des Krieges noch einmal klarsichtige Analysen des Antisemitismus vortrugen. Diese kulturkritische Tradition der Psychoanalyse trat jedoch innerhalb der analytischen Standesorganisationen immer mehr in den Hintergrund. Unter Bezugnahme auf die Erfahrungen der Emigranten Bettelheim, Federn, Bernfeld, Nunberg und Ekstein mit der Psychoanalyse in den USA zeichnet Richter in „Amerikanische Missverständnisse“, „Die Medizinalisierung der Psychoanalyse“ sowie „Der Untergang des Gründergeistes“ sehr eingängig und überzeugend den weiteren historischen Prozess der Etablierung, aber eben auch der gesellschaftskritischen Entsagung der Psychoanalyse in Deutschland und den USA nach. Hierzu resümierend betont Richter:

„Die Geschichte kennt unzählige Beispiele dafür, dass revolutionäre geistige Bewegungen nicht nur erlahmen oder erstarren, sondern schließlich Züge annehmen, die ihren ursprünglichen oder vielleicht sogar nach wie vor verkündeten Absichten zuwiderlaufen. Das führt zu Identitätskrisen, deren Verarbeitung um so weniger zu gelingen pflegt, je hartnäckiger sie verleugnet werden.

Die Psychoanalyse ist in eine solche Krise hineingeraten, vorbereitet durch das Zusammenwirken äußerer Verfolgung und eigener Anpassung. Die Medizinalisierung war nur ein Symptom, nicht die Ursache der Veränderung. Die Analytiker wurden braver, und sie suchten für ihre Institute bravere Kandidaten aus. Leidenschaftlich engagierte junge Leute vom Schlage eines Siegfried Bernfeld oder eines Wilhelm Reich hätte man nach dem Kriege sicher nicht mehr aufgenommen“ (S. 77).

Dementsprechend stellt Richter bereits im Vorwort seines Buches ernüchtert fest: „Viele Kollegen wünschen es eben nicht, außer der Auseinandersetzung mit Kostenträgern und Berufsverbänden jemals wieder in politische Konflikte verwickelt zu werden“ (S. 13). Und: „Von einer psychoanalytischen Bewegung kann man jedenfalls schwerlich noch sprechen“ (S. 10).

In einigen weiteren Kapiteln, etwa in „Eigene Suche nach Orientierung“, zeichnet Richter die Entwicklung der Psychoanalyse in der Bundesrepublik der Nachkriegsperiode nach, wie er sie selbst erlebt hat. Danach folgen drei Kapitel über die „Wiedergeburt einer politischen Psychoanalyse“. Richter porträtiert in knappen Zügen das Leben und Werk von Alexander Mitscherlich, Marie Langer und insbesondere von Paul Parin (1916-2009) und Goldy Parin-Matthèy (1911-1997), welche er als positive Gegenkräfte gegen die beschriebene Entpolitisierung der Psychoanalyse erlebt hat. So wie Bernfeld, Fenichel, Simmel und Reich, aber auch Bettelheim, Federn und Ekstein für Horst-Eberhard Richter historisch bedeutsame Persönlichkeiten sind, die die kulturkritische Substanz der Psychoanalyse mitformuliert und authentisch gelebt haben, so repräsentieren Alexander Mitscherlich, Marie Langer sowie Paul Parin und Goldy Parin-Matthèy für ihn den emanzipatorischen „Gründergeist“ der Psychoanalyse. Dementsprechend knüpft Richter bereits im Vorwort den Bezug zum Titel des Buches und betont: „Alle vier hatten inmitten von Nazi- und faschistischem Terror die Fähigkeit bewiesen, sich durch Anpassungsverweigerung vor der Wehrlosigkeit gegenüber den unbewussten Anpassungsmechanismen zu bewahren“ (S. 13). Und im Kapitel „Unterschätzte Anpassungsmechanismen“, Parins Studien entlehnt, hebt Richter hervor: „Mir imponierten sie durch ihre besondere politische Standhaftigkeit, die ich in einem engen Zusammenhang mit einigen ihrer wichtigsten psychoanalytischen Fragestellungen sehe. (…) Selbst Widerständler bzw. Widerständlerin inmitten von Ohnmacht und Anpassung, waren sie dafür prädestiniert, den großen Problemkreis des unbewussten Konformismus zu bearbeiten“ (S. 141).

Imponierend ist Horst-Eberhard Richters Offenheit und Ehrlichkeit. Er beschreibt seinen eigenen Entwicklungsprozess, seine Suche nach einer sozialpolitischen Identität, die ihm, wie er im Buch verschiedentlich durchschimmern lässt (S. 13, S. 199), Feindschaft, Ächtung durch seine privilegierte Standesorganisation einbrachte. So bemerkt Richter im Porträt von Alexander Mitscherlich:

„Was mich selbst von Mitscherlich trennte, war damals vor allem der Abstand zu seinem gewaltigen Mut, sich nahezu pausenlos mit großen Teilen der Ärztezunft und den konservativen Medien anzulegen. Es sah manchmal so aus, als bereiteten ihm die vielen Schlachten mit seinen Widersachern so etwas wie Genugtuung. Dass ich je bereit sein würde, mir ähnliche Feindschaften zuzuziehen, erschien mir vor dreißig Jahren noch absolut unvorstellbar“ (S. 125).

In der zweiten Hälfte des Buches beschreibt Richter einige exemplarische gesellschaftliche Felder sowie sozialpolitische Streitthemen, in die er selbst handelnd und gestaltend involviert war. Historischer Ausgangspunkt für die sich schrittweise verändernden gesellschaftliche Diskussion sind für Richter die Jahre der Studentenbewegung. Dementsprechend leitet er diesen Themenbereich mit dem Aufsatz „Der Beziehungskonflikt zwischen den Antiautoritären und der Psychoanalyse“ ein. Richter befand sich damals beruflich in einer „Zwischenposition“. Er war der Studentengeneration entwachsen, hatte in Gießen Führungspositionen erlangt, vermochte jedoch innerlich noch eine Beziehung zur rebellierenden Generation herzustellen. Er erkannte rasch, dass das Thema der historisch gewachsenen Schuld an den „unbearbeiteten“ Verbrechen der Nazis einen wesentlichen Motor für die scheinbar eruptiv aufbrechenden gesellschaftlichen Diskussionen darstellte. Um so enttäuschter war er, dass gerade die psychoanalytische Standeszunft, die sich eine methodisch betriebene Selbstreflexion als Spezifikum ihrer Profession auf die Fahnen zu schreiben berechtigt fühlt, sich betont distanziert gegenüber den gesellschaftlichen Veränderungswünschen verhielt: „Es waren Erfahrungen, die meinen schrittweisen Rückzug aus aktiver Mitarbeit in Funktionen der Vereinigung einleiteten“ (S. 160f.). Nach seiner Erinnerung gelang es ihm und analytischen Kollegen in Gießen, die aufbrechende Kritik nicht nur als bedrohlichen Angriff, sondern als wachrüttelnde Anregung zur Bearbeitung eigener verdrängter Anteile zu nutzen. Die anklagenden, projizierenden bzw. verleugnenden Anteile dieser Kontroversen traten hierdurch rasch in den Hintergrund. Das Einmünden eines Teils der kurzzeitigen revolutionären Stimmung in Reformprojekte war ganz in Richters Sinne: „Als die Bewegung allmählich mehr und mehr ihren ideologischen Fundamentalismus und ihren revolutionären Allmachtsanspruch verlor, sich statt dessen konkreten Erneuerungsvorhaben zuwandte, gewann ich vollends Anschluss an solche Initiativen. Dabei glaubte ich zu erkennen, dass in den sozialen Projekten, in denen ich mit Enthusiasmus mitwirkte, auch ein sinnvoller Teil von Erinnerungsarbeit geleistet werden konnte“ (S. 161). Die konkrete Ausformung dieser Arbeit mittels des „introspektiven Konzeptes“ (S. 162) beschreibt Richter anhand seiner knapp zehnjährigen Arbeit in einer Obdachlosensiedlung, seiner Arbeit in der Friedens- und Ökologiebewegung sowie seiner Begegnung mit einem ehemaligen führenden Rechtsextremisten.

Die existentielle Bedeutung der menschlichen Destruktivität, die Sigmund Freud bekanntlich mit dem Modell des Todestriebes zu erfassen versucht hat, erwies sich für Richter hierbei als zentrale Bestimmungsgröße. Aus psychoanalytischer Sicht betont er deshalb immer wieder in Variationen:

„Soziale Destruktivität kommt nicht erst von fremden Mächten, schlimmen Politikern oder falschen Ideologien, sondern noch zuvor aus uns selbst. Also steckt sie auch in denen, die sie untersuchen. Destruktivität lässt sich nicht wegschaffen, nur besserer Kontrolle unterwerfen. Sie kann um so weniger Unheil anrichten, je wachsamer man ihr nachspürt und sich mit ihr zuallererst in den eigenen sozialen Zusammenhängen kritisch auseinandersetzt“ (S. 17) .

Dies könnte auch als Motto über diesem Buch stehen.

Mein bleibender Eindruck von dieser Studie Horst-Eberhard Richters ist: Frei von moralisierendem Unterton erinnert uns dieser „liebenswürdige und zurückhaltende Mensch“ mit seinem „illusionslosem Blick und seiner nie versagenden Hoffnung“ (Paul Parin) daran, was die Psychoanalyse einmal war und was sie immer noch bewirken könnte – sofern die gesellschaftlichen Verhältnisse dies zulassen und wir dies wirklich wollen. „Bedenken gegen Anpassung“ ist ein unzeitgemäß nachdenkliches Werk, das uns zum Engagement gegen überflüssige Anpassungstendenzen an (Gewalt-)Verhältnisse ermutigt. Auch wenn mir viele im Buch behandelten Sachverhalte und historischen Analysen vertraut waren habe ich doch jede Seite mit großer Freude und Gewinn gelesen. Sie waren für mich eine Ermutigung und Anregung.

Horst-Eberhard Richter: Psychoanalyse und Politik. Zur Geschichte der politischen Psychoanalyse, Gießen 2003 (Psychosozial Verlag), 332 S., 22.90 Euro, Bestellen?

Diese Rezension ist zuvor im Jahrbuch für Psychoanalytische Pädagogik Nr. 14 (Hg. W. Datler et. al.), 2004, Psychosozial-Verlag (Gießen) erschienen. Wir danken dem Autor und dem Psychosozial-Verlag für die Nachdruckrechte.