- Bücher – nicht nur zum Judentum - http://buecher.hagalil.com -

Jüdisches Echo: Weit von wo?

Vom „restrangement“, dem Wiederfremdwerden erzählt Alfred Bodenheimer anhand einiger anschaulicher jüdischer Impressionen am Beispiel der Schweiz. Finden kann man diesen Artikel und viele weitere hoch interessante Beiträge in dem Magazin „Das Jüdische Echo“, das jährlich erscheint…

Von Ramona Ambs

Dieses Jahr steht es unter dem Motto „Weit von wo?, eine geistige Anleihe aus Claudio Magris‘ Werk über Joseph Roth. Magris selbst kommt ebenfalls in dem Band zu Wort, Marta S. Halpert interviewt ihn zum Thema Europa und Engstirnigkeit. Das Heft selbst stellt insgesamt einen erweiterten Blickwinkel vor. Während sich die beiden unmittelbaren Vorgängerbände zunächst nur mit Österreich und dann mit Europa befassten, schaut diese Ausgabe auf die ganze bunte Welt. „Was bedeutet Diaspora heute?“ fragen die Chefredakteurin Marta S. Halpert und Obmann Leon Widecki zu Beginn. Und in zahlreichen Essays, untergliedert in zwei Themenbereiche, 1.Israel-Europa-USA – „Wo ist das geistige Zentrum des Judentums heute?“ und 2. Globale Migrationsbewegungen – Exil, Vertreibung, wirtschaftlicher Neustart?, tragen die Autoren ihre Gedanken dazu bei.

„Weit von wo?“ schreibt Awi Blumenfeld im ersten Themenkomplex, erinnere doch an jene kurze Episode während des dritten Reiches. Damals trifft Jankel seine einstige Schulfreundin Recha vor dem chinesischen Konsulat und fragt sie: „Nach China teure Recha? So weit?“ Recha schaut sich mit fragendem Blick nach rechts und links um, lächelt wehmütig und spöttisch zugleich und zeigt auf die Hakenkreuzfahnen und die braun uniformierten Männer. „Weit?- mein lieber Jankel? Weit von wo?!“ Blumenfeld hebt zurecht vor, dass die Frage nach dem Verlust von Heimat, aus heutiger Kenntnis völlig obsolet war und führt weiter aus, dass die Frage nach einer neuen fernen Heimat heute im Zeitalter multipler Idenditäten beinah normal geworden ist. Exil oder Diaspora? Blumenfeld beschreibt, dass viele das 20. Jahrhundert als das Jahrhundert der intellektuellen Diaspora bezeichnen und erzählt von dem kreativen Potential, dass scheinbar dem Zustand der Diaspora innewohnt: „Aus jüdischer Perspektive liegt der Fehler, das Exil, die Diaspora, die Zerissenheit als positiven Faktor der Kreativität zu sehen, im Verkennen und in der Unkenntnis urjüdischer Prinzipien….“ Für Blumenfeld ist ganz klar Israel das „wo“ des Judentums. Und Kreativität kann sich für ihn auch anders entwickeln: „Heimat ist dort, wo man als Jude und Mensch das Normalste in der Welt ist. Die Zweifel der Kreativität kommen aus dem inneren Kampf um die Frage, ob diese Normalität im Café des ebens mit Süßstoff, Zucker oder gar nicht gesüßt werden soll.“

Neben Blumenfeld widmen sich Michael Brenner, Professor für jüdische Geschichte und Kultur in München, und Hanno Loewy, Leiter des Jüdischen Museums Hohenems, der Beziehung von Israel zur Galut. „Selbstbewußte oder verschämte Diaspora?“ überschreibt Hanno Loewy seinen Artikel, in dem vor allem Fragen aufwirft. „Als Juden“ so Loewy, „leben wir noch in einer Zeit nach der Katastrophe. Und zugleich in einer Zeit nach den großen Heilsversprechen. Die Jahre nach der Shoah waren geprägt von dem Bewußtsein, der Möglichkeit einer vollständigen Vernichtung entronnen zu sein. Und in der eigensinnigen Hoffnung darauf, dass mit dieser Katastrophe zugleich eine Rettung stattgeunden habe: die Alija aus der Diaspora, (…), die Rückkehr der Juden als geschichtliches Subjekt, als Nation.“ Diese Erfahrungen haben sich unter Juden zu einer Ideologie gewandelt, die das jüdische Selbstverständnis auf der ganzen Welt bestimme: „Zentrum des jüdischen Lebens ist der Staat im Nahen Osten“. Für Loewy hat diese Ideologie aber kaum Zukunftsperspektive: „Unser Bewußtsein mag noch immer von dem Gefühl eines „Danach“ geprägt sein. Unsere Realität aber ist eine Realität des „Davor“. Und niemand weiß, was auf uns zukommt“. Umso wichtiger scheint es ihm, sich der Kultur der Diaspora zu erinnern. „Die Kultur der Diaspora ist immer an der Grenze, immer im Dialog mit anderen, immer das Produkt von Austausch und Konflikt, eben eine Minderheitskultur, aber eine Minderheitskultur, die immer die Fragen der Mehrheit stellt.“ Loewy sieht die Gefahr bei einer Fixierung auf Israel als jüdischen Staat als Dreh und Angelpunkt einer jüdischen Idendität und fragt: „sollen wir nun auf alle Zeit als Juden stolz darauf sein, ein kleines Stück Land gegen die Mehrheit seiner Bewohner an uns gebracht zu haben (…)? Wollen wir den Antisemiten und den Nationalsozialisten nun im Nachhinein auch noch Recht geben, indem wir selbst die Diaspora entwerten und verächtlich machen und die gesamte jüdische Tradition infrage stellen, die auf einer Souveränität des Geistes beruhte?“ Auch am Ende seiner Ausführungen stellt Loewy eine Frage: „Für die jüdischen Israelis aber, und mit ihnen auch für uns, wird sich jene Frage immer unausweichlicher stellen (…), die Frage danach, ob wir als Juden, wenn wir in Israel leben wollen, an der Idee des „jüdischen Staates“ festhalten müssen, selbst wenn dieser Züge eines archaischen Gottesstaates annimmt, der hinter die jüdische Tradition zurückfällt, oder ob wir akzeptieren können, dass wir als Juden selbst in Israel in der Diaspora leben“.

Michael Brenners Ausführungen „Von der Galut zur Diaspora“ lassen bereits im Titel anklingen, dass er das Verhältnis von einer anderen Warte als Loewy beschreibt. „Der klassische Zionismus hatte nicht viel übrig für die Diaspora“ schreibt Brenner und zitiert Fritz Jitzchak Baer, Professor an der hebräischen Universität Jerusalem 1936: „ Die Galut (Exil) ist zu ihrem Ausgangspunkt zurückgekehrt. Sie ist und bleibt, was sie immer war: politische Knechtschaft, die restlos aufgehoben werden muss““. Diese Haltung, die bis in die 80er Jahre hinein auch die Lehrpläne und Lehrbücher Israels maßgeblich prägte, wurde lange Zeit nicht angezweifelt. Erst mit den Debatten der „Neuen Historiker“ in Israel kamen neue Perspektiven zum „Wesen des Judentums“ auf. Mehrere Historiker und Journalisten stellten „das zionistische Narrativ einer nationalen jüdischen Geschichte infrage“ und lösten so innerisraelische und innerjüdische Debatten aus, die bewirkten, dass der Begriff „Diaspora“ mittlerweile keinerlei negative Assoziationen weckt, sondern beinah zum Modebegriff unter jungen, ausreisewilligen Israelis geworden ist.

Ganz anders sieht das Gabriel Sheffer, der in seinem Beitrag „Wer führt?“ ein großes Desinteresse der israelischen Bevölkerung an den Diasporajuden ausmacht, wobei auch er darauf drängt, dass sowohl israelische Juden, als auch Juden der Diaspora gemeinsam neu überlegen müssen „Wer ist Jude?“. Sheffer stellt fest, dass „eine wachsende Zahl von Juden in der Diaspora und in Israel ihre Idendität nicht nur in religiöser Hinsicht sehen, sondern in einem weiteren Zusammenhang: ethnisch-national-religiös“ und diese Erkenntnis macht – so Sheffer- eine neue Idenditätsdebatte notwendig, in der es auch darum gehen muss, „wo Zentrum und Peripherie des Judentums liegen“.

Andrea Livnat nimmt sich das Image Theodor Herzls in Israel und der Diaspora vor. „Theodor Herzls Gestalt wächst in dem Maße, wie sie zeitlich in die Ferne rückt“ zitiert sie gleich zu Beginn ihrer Ausführungen Max Nordau, der diesen Ausspruch zehn Jahre nach Herzls Tod notierte, und der Recht behalten sollte, denn bei der Staatsgründung war Herzl als „Prophet des Staates“ eine mythische Symbolgestalt. Livnat beschreibt anhand zahlreicher Begebenheiten, wie sich die israelischen Regierungen und die zionistische Organisation der Figur Herzls bemächtigten und diese für ihre Belange einzusetzen suchten. Dass dabei der reale Theodor Herzl, der beispielsweise einen Weihnachtsbaum in seiner Wiener Wohnung stehen hatte, kaum mehr eine Rolle spielte, wird dabei nur allzu deutlich. Und so zitiert Livnat den deutschen Zionisten Kurt Blumenfeld: „Von dem wirklichen Herzl weiß niemand etwas und will niemand etwas wissen. Er ist heiliggesprochen. Die Herzl-Saga, die heute lebt, ist sehr dürftig. Sie genügt Ben Gurion und den heutigen Führern des Staates für einen logos epitaphos, eine Trauerrede, die nichts von Herzl, dafür aber viel von der gängigen Israel-Rethorik enthält“. Erst in den letzten Jahren, so Livnat, beginnt eine „Wende in der Erinnerung“ an Herzl. Sowohl im politischen als auch im kulturellen Bereich gibt es den Versuch einer Rückbesinnung auf den wahren Herzl. Die lebendigsten Zeichen dieser neuen Rezeption geben Strassengraffities: „ Unter seinem (Herzls Graffiti) Portrait ist eine zynische Abwandlung seines berühmten Satzes „Wenn Ihr wollt, ist es kein Märchen“ zu lesen: „Lo rozim, lo zarich“- „Wenn Ihr nicht wollt, müsst Ihr nicht!“

Vom amerikanischen Zionismus und dessen Versagen erzählt Peter Beinart. Zu Beginn stellt er eine Studie vor, die belegt, dass junge amerikanische Juden nahezu gleichgültig auf das Thema Israel reagierten. „Der einzige Zionismus, den sie (die Studenten) attraktiv fanden, war ein Zionismus, der anerkannte, dass die Palästinenser Würde verdienten und auch zum Frieden fähig seien.“ Anhand einiger konkreter Beispiele verdeutlicht Beinart, welche Ereignisse und Erfahrungen bei jungen säkularen Juden dazu führen, dass sie gleichgültig bis ablehnend dem Staat Israel gegenüber stehen. Er konstaniert: „Seit einigen Jahren hat das jüdische Establishement die amerikanischen Juden aufgefordert, ihren Liberalismus an der Tür des Zionismus abzugeben“, und sieht aber zugleich eine Lösung: „Denn das ist die große Herausforderung unserer Zeit: den liberalen Zionismus in den Vereinigten Staaten zu retten, damit die amerikanischen Juden auch helfen können, den liberalen Zionismus in Israel zu retten.“ Ergänzend zu Beinarts Artikel lesen sich die Ausführungen Manfred Gerstenfelds, der einen Überblick über das amerikanische Judentum im Spiegel des gesellschaftlichen Wandels zeichnet. „Flexibel für die Zukunft“ lautet seine Losung, mit der er die Zukunft der jüdischen community sichern will. Auch Steven Bayme widmet sich dem amerikanischen Judentum. Er schildert sieben Grundannahmen jüdischen Selbstverständnisses und überprüft deren aktuelle Gültigkeit. Anton Pelinka sieht in der amerikanischen Gesellschaft eine analoge Minderheitensituation und beschreibt, dass neben Israel, „der Antithese zur Diaspora“, Amerika zu den wichtigsten Zielen jüdischer Flucht- und Migrationsströme gehörte. Für Pelinka ist Amerika in gewisser Weise ein idealer Staat für Juden, „ein Staat ohne Staatsreligion; ein Staat ohne (ethnisch definiertes) Staatsvolk; ein Staat eben, der sich als Kaleidoskop verschiedenster kultureller, ethnischer und religiöser Gruppen versteht; ein Staat, in dem alle in einer Diaspora leben(…)“

Aber auch die Diaspora außerhalb Amerikas kommt in dem Band zu Wort. Ari Rath beschreibt mit J-Street und J-Call neue Stimmen in der Diaspora und verteidigt diese Art von Israel-Lobby. Gerhard Langer wirft einen Blick zurück in die antike jüdische Diaspora und Marina Roncoroni berichtet über das Touro College, die jüdische Bildungsinsel in Berlin und interviewt Direktorin Sara Nachama und Dekan Paul Kiefer. Steven Beller schreibt in seinem sehr persönlichen Essay über Nostalgie und Sehnsucht über die  „Suche nach meinem…Zuhause“ in England, während Paul C. Eisenberg schildert, wie man die symbolisch ausgepackten Koffer in Österreich dauerhaft bleibefähig macht. Vom selbstbewußten europäischen Judentum spricht auch Micha Brumlik, der von Marta S. Halpert interviewt wird. Und Michael Freund erzählt von Shavei Israel, das sich um die verlorenen Juden in der Diaspora kümmert, anhand einer chinesisch-jüdischen Heimkehr. Zu „Marranischen Einschreibungen“, – den verborgenen Traditionen bei Hannah Arendt stellt Dan Diner eigene Vermutungen an. Anhand der Analyse ihres Werks „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ versucht Diner nachzuweisen, dass Arendt marranisch argumentiert: „Genau besehen handelt es sich um einen „marranischen“ Text insofern, als Hannah Arendts Interesse vornehmlich dem jüdischen Schiksal gilt, dieses aber mittels universeller Fragestellung abgedeckt wird.“ Ob der Begriff des „Marranischen“ hier so optimal gewählt ist, mag der Leser selbst entscheiden, richtig jedoch ist Diners Analyse, dass Arendt durchaus einen Blick für das „besondere Schicksal der Juden als Juden“ hatte.

Im zweiten Teil des Magazins finden sich weitere Schätze. Nach den Schilderungen Ariel Muzicant über das Selbstbewußtsein der jüdischen Gemeinde in Wien, einem Interview mit der Diaspora-Armenierin Rita Movesian-Garlock über Fremdsein in der eigenen Heimat und Wolf Schellers Beschreibung über „die unsichtbare Mauer“ zwischen Frankreich und seinen nordafrikanischen Einwanderern trifft man auf die „Casa minima“- eine kurze Erzählung von Norman Manea. Manea, ein rumänischer Schriftsteller jüdischer Herkunft, beschreibt darin seine ersten Gehversuche im Exil, seiner neuen Heimat Bard: „Als Exilant fühlte ich, dass sich die Zukunft auf verwirrende Unsicherheiten hin öffnete, die in einem neuen Code von Möglichkeiten geschrieben waren, den ich nicht entziffern konnte. Das Unbekannte erschien grenzenlos, und das fiebrige Gefühl einer neu errungenen Freiheit war überwältigend. Die Freiheit hatte ihren Preis: Das Leben eines Wanderers war immer davon geprägt, dass er sich entwurzelt und enteignet fühlt…“

Den literarischen Ausführungen Maneas folgen Artikel über das „Kommen und Gehen in Südamerika“ von Gerhard Drekonja-Kornat und Susanne Scholls Ausführungen über die „Diaspora im eigenen Land“- ein Bericht über die zahlreichen Minderheiten in Russland.

Mit „Andernorts“ von Doron Rabinovici und „Die Totenwache“ von Dimitre Dinev sind literarische Auszüge zum Thema Heimat und Exil vertreten. Und während Reinhard Engel von der israelischen Diaspora in der Welt erzählt, befasst sich Yvonne Feiger mit der Situation der israelischen Gastarbeiter.

„Zunbada wulubu tumba ba-umf“ lautet die Überschrift eines Essays über Dadaismus und seine Ursprünge im rumänischen Schtetl von Erhard Stackl. Die Überschrift ist Teil eines Gedichts, dass Hugo Ball als Dada-Bischof verkleidet im Jahre 1916 in einem Züricher „Cabaret“ vortrug. Stackl verweist darauf, dass mehr als die Hälfte der „Ur-Dadaisten von Zürich jüdische Exil-Rumänen waren“, die aus den Purimfeiern, den Feiern der „größtmögichen kreativen Freiheit“ des Aufbegehrens geprägt waren.

Ein anderer Bericht über kreativen Umgang mit Exil und dem Aufbegehren gegen den Zustand unfreiwilliger Heimatlosigkeit ist der von Nahid Bagheri-Goldschmied und Alexander Emanuely verfasste Artikel „Iran ist im Exil“.

Unter den Wolken eines Trauerspiels
liegt die Heimat meiner Jugend
und meiner ganzen Generation
lebendig begraben.

So die traurigen Zeilen von Nahid Bagheri-Goldschmied, die lyrisch verdichtet die Ausführungen wiedergeben.

Weitere Berichte über Diasporagemeinden gibt es von Maria S. Halpert, die einen historischen Rückblick auf die „dauerhafte Diaspora der Burgenländer“ gibt, von Jan Mart, der über Afrikaner in Andalusien berichtet und Miguel Szymanski, der über „Fado, Fußball und Fatima- und dem heimlichen vierten F- für Fome (Hunger)“ erzählt, wie es der weltumspannenden portugiesischen Diaspora geht. Marcus Patka gibt einen Überblick zu Griechenland und Reinhard Engel erzählt anschaulich, wie jüdische Einwanderer aus Mittelosteuropa ihren Platz im Vielvölkerstaat Mexiko gefunden haben.

Drei Beiträge erzählen vom Exil in Österreich. Während Michael Giongo ausührlich über Chilenen in Österreich berichtet, die infolge des Militärputschs am 11. September 1973 unter widrigsten Umständen nach Österreich geflohen waren, gibt Alexia Weiss einen Blick hinter die Kulissen des Gemeindebaus in Wien frei. Schließlich kommt im dritten Beitrag Sandra Frauenberger, die Wiener Stadträtin für Integration, zu Wort, die der Zuwanderung vor allem positive Aspekte abgwinnen kann.

„Sosúa- Heimstatt für Juden“ lautet der Titel von Gerhard Drekonja-Kornats Essay über die Dominikanische Republik als Zufluchstort für jüdische Flüchtlinge. Dass Sosúa als Fluchtort nicht sonderlich bekannt ist, macht der Autor daran fest, dass es kaum „Literatur des Exils“ aus diesem Gebiet gibt. Dafür jedoch fände man heute in den Supermärkten Käse, Milch und Wurst als „historisches Resultat der Flucht vor den Nazis“. Deutlich bekannter als Zufluchtsort für Juden als die Sosúa ist Argentinien. Buenos Aires ist nach New York heute die größte jüdische Metropole außerhalb Israels. Viktor Sukup inteviewt Alfredo Bauer zur Situation der Juden im Land, die sich dort mehrheitlich heimisch fühlen.

Anders geht es jungen russischen Juden, die versuchen in Österreich oder Deutschland Fuss zu fassen. Vladimir Vertlib erzählt von der „Ambivalenz der Diasporagefühle“: „Weder Österreich noch Deutschland verstehen sich als Einwanderungsländer. Kindern russisch-jüdischer Emigranten fällt es sicher leichter, sich als Israelis, Amerikaner oder Kanadier zu fühlen. (…) Junge Migranten, denen suggeriert wird, ihr Anderssein werde bestenfalls toleriert, sie würden- egal wie sie sich verhielten- nie zur Gänze dazugehören, vielmehr sei ihre Existenz die Ausnahme von der Regel, tendieren dazu, die Prägungen und Ängste ihrer Eltern zu übernehmen und in die Zukunft zu tragen.“ Hinzu käme, dass die meisten russischen Zuwanderer sich innerhalb der Gemeinden als „eigene Minderheit innerhalb der jüdischen Minderheit“ fühlen und nicht an die „historischen Traditionen des deutschen oder österreichischen Judentums anknüpfen“ wollen. Dennoch glaubt Vertlib langfristig an eine erfolgreiche Integration der russischen Juden in Deutschland und Österreich. Es sind die „tradierten Diasporaerfahrungen“, die es ermöglichen werden, das Leben hier erfolgreich zu gestalten.

Das Jüdisches Echo
Weit von wo? Menschen in der Diaspora: Israel, Europa, Amerika
2010, 183 S., Euro 14,50, Bestellen?
Weitere Informationen: http://www.juedischesecho.at