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„Islamophobie“ in Österreich?

Das von John Bunzl und Farid Hafez herausgegebene Sammelwerk vereint sehr unterschiedliche Arbeiten, deren Stossrichtung aber klar ist: Es gibt eine Islamophobie, auch wenn es keine genaue wissenschaftliche Definition dieses Begriffs gibt…

Rezension von Karl Pfeifer

Bereits im Vorwort wird die Klage laut, "weder Parteien noch Regierungsmitglieder" äusserten sich zu einem neonazistischen Spruch über "Jud" und "Moslembrut" geschmiert auf die Aussenmauer des ehemaligen KZ-Mauthausen. Die Herausgeber nehmen dies als Beweis für eine "exemplarische Negierung des Vorhandenseins eines Hasses gegenüber MuslimInnen in der österreichischen Öffentlichkeit". Immerhin hat der höchste Repräsentant des Staates, Bundespräsident Heinz Fischer in einem publik gemachten Schreiben an das Internationale Mauthausen Komitee seiner Empörung über diese Schmierereien Ausdruck verliehen und geschrieben: "Mein Büro hat mit dem Innenministerium in der Angelegenheit Kontakt aufgenommen und ich kann Ihnen versichern, dass die Ermittlungen der Sicherheitsbehörden auf Hochtouren laufen. Selbstverständlich werden die Täter im Falle der Ergreifung entsprechend zur Verantwortung gezogen werden…“

Als die Grazer FPÖ-Politikerin Dr. Winter 2008 Muslime als Zielscheibe ihrer Polemik wählte, was ja doch eine ganz andere Bedeutung hat als eine noch so symbolträchtige Schmiererei, haben Politiker, Religionsgemeinschaften und Medien eindeutige Erklärungen abgeben und die weisungsgebundene österreichische Staatsanwaltschaft.- die in Fällen der antisemitischen Verhetzung sich in der Regel zurückhält — wurde im Fall von Dr. Winter sofort tätig.

Die Herausgeber haben versäumt den Lesern mitzuteilen, dass der Beitrag von Matti Bunzl bereits 2008 in einem anderen von John Bunzl herausgegebenen Sammelband erschienen ist.[1], was nicht die einzige Sekundarverwertung in diesem Band bleibt.

"Der US-amerikanische Anthropologe Matti Bunzl" hat den Verantwortlichen für den leider weit verbreiteten Antisemitismus unter — vor allem jugendlichen — Muslimen in Europa gefunden: "Nun jedoch gibt Israels Politik in der Auseinandersetzung mit den Palästinensern Europa erneut den Freibrief, Juden offen zu verachten."

Stellen Sie sich vor, was geschehen würde, wenn jemand den folgenden Satz publizieren würde: "Die Tatsache, dass Christen in muslimischen Gesellschaften diskriminiert und in der Gegenwart gelegentlich bei Pogromen und Selbstmordattentaten massakriert werden, gibt Europa den Freibrief, Muslime offen zu verachten."

Den Muslimen unterstellt er nicht differenzieren zu können zwischen dem Staat Israel und den Juden in Europa, die in der Regel nicht an Wahlen in Israel teilnehmen und genauso wenig für die dortigen Zustände verantwortlich sind wie z.B. die aus der Türkei stammenden Österreicher für die Unterdrückung und Diskriminierung der Kurden. Wer allerdings nur andeutet, dass gewisse Vorbehalte gegen Muslime mit dem im Namen dieser Religion verübten Terror und mit den krassen Menschenrechtsverletzungen in arabischen und muslimischen Ländern zu tun haben könnten, wird in diesem Buch angeprangert. Für Juden und Israel gilt ein anderer Massstab.

Matti Bunzl konstruiert zwei Lager, die Alarmisten, die nicht gewillt sind, die Augen vor Antisemitismus unter Linken und Muslimen zu verschliessen, die er zu den Rechten und den Unterstützern von Präsident Bush rechnet. Denen stellt er die "Denier", also die Leugner des Antisemitismus entgegen, "obwohl dieser Begriff nicht besonders zutreffend ist, da niemand unter diesen tatsächlich die Realität des Antisemitismus bestreitet." Bestreiten tut das zwar niemand, herunterspielen und verharmlosen allerdings schon.

Das tut auch Matti Bunzl. Er lässt die Leugner verweisen "auf die relativ geringe Zahl tatsächlicher Fälle physischer Gewalt" gegen Juden. Natürlich wenn man Antisemitismus — wie das nicht nur einige Linke und Islamisten tun, auf den Nationalsozialismus beziehungsweise auf physische Gewalt gegen Juden beschränkt, dann kann man die Augen zumachen. Das hat auch Matti Bunzl bemerkt. Tatsache ist aber, dass unter denen, die physische Gewalt gegen Juden in Europa anwenden in einigen Ländern junge Menschen mit muslimischen Hintergrund überproportional vertreten sind. Nehmen wir zum Beispiel, die Gewalt die in französischen Vorstädten gegen Juden angewandt wird. Matti Bunzl tröstet: "Wenn junge, ausgegrenzte Muslime französische Juden angreifen, dann nicht aus dem Interesse heraus ein ethnisch reines Frankreich zu schaffen." Und diese Gewalt sei "Ausdruck antikolonialen Kampfes".

Ob die Anwälte der zumeist aus jungen Muslimen bestehenden Gang der Barbaren, die den Pariser Juden Ilan Halimi zu Tode folterten, solche abstruse "Erklärungen" zur Verteidigung ihrer Mandanten benutzten, wage ich zu bezweifeln.

Laut Matti Bunzl leben wir in Europa auf einer grossen Insel der Seligen, auf der man die judenfreundlichen Reden einiger Politiker als bare Münze nehmen soll. Dass in diesem Europa Synagogen und jüdische Zentren, Kindergärten und Schulen nicht wegen Rechtsextremisten, sondern wegen Terroristen mit muslimischen Wurzeln bewacht werden, nimmt er freilich nicht zur Kenntnis, denn das würde ja die behauptete Parallele zwischen mörderischen Antisemitismus und "Islamophobie" ad absurdum führen.

Er sieht in Europa schon die Nationalstaaten verschwinden und die Juden als die idealen Vertreter dieses multikulturellen Europas. Matti Bunzl verharmlost auch, wenn er (wider besseren Wissens?) behauptet "die breite Masse in Europa" wäre entsetzt "über das Gespenst Antisemitismus". Schade, dass wir von dieser breiten Masse in Österreich wenig bemerken und dass alle repräsentativen Umfragen in Europa einen hohen Anteil von Antisemiten in verschiedenen europäischen Ländern dokumentieren. Auch davor schliesst der Anthropologe Matti Bunzl seine Augen.

Er stellt sogar der FPÖ einen Persilschein aus, weil doch Jörg Haider die "Präambel" Anfang Februar 2000 unterzeichnete und weil "Peter Sichrovsky, Sohn von Holocaustüberlebender und prominentes Mitglied der Wiener jüdischen Gemeinde" Karriere in der FPÖ machen konnte. Matti Bunzl möchte uns glauben machen, für "eine solche Partei" ist einen jüdischen Funktionär zu haben "keine unbedeutende Sache".

Die antisemitische Hetze des Jörg Haider gegen Ariel Muzicant wird von Matti Bunzl als "andauernde Streitigkeiten zwischen Haider und Ariel Muzicant" gesehen. Wer zum Beispiel auf die antisemitische Hetze Haiders während der Wahlkampagne in Wien 2001 hinweist, der "verkennt jedoch die enorme Wandlung" der FPÖ. Matti Bunzl bringt das Zitat eines FPÖ Politikers, der aus dem "Bereich" seiner "jüdische[n] Freunde" erlebt, "das[s] die entsetzt sind, entsetzt über das hohe Mass an muslimischer Präsenz." Er erwähnt jedoch nicht die Tatsache, dass die jüdische Gemeinde Österreichs die muslimfeindliche Hetze der FPÖ mehrfach öffentlich verurteilt hat, denn auf eine minimale Fairness und Ausgewogenheit legt Matti Bunzl keinen Wert.

Als Beweis für das von ihm gesehene"Gespenst Antisemitismus" meint er: "Tatsächlich gibt es keine politische Partei von Bedeutung, die derzeit für ein spezifisch antisemitisches Programm eintritt, selbst unter den zahlreichen rechtsextremen Bewegungen des Kontinents". Nun auch wenn der "US.-amerikanische Anthropologe" Europa aus der Vogelperspektive sieht und politische Programme überbewertet, hätte doch ein Blick in die Reisewarnungen des State Department genügt, um festzustellen, dass es in unserem Nachbarland Ungarn nicht empfohlen wird Kontakt zur Ungarischen Garde zu haben, die "dank ihrer radikalen nationalistischen Botschaft der Intoleranz gegenüber Juden, Roma und Homosexuellen Zuspruch" erhält. Und die Garde wurde von der rechtsextremistischen Partei Jobbik gegründet, die ständig postuliert "Ungarn darf nicht Palästina werden" und fast 15% der Stimmen bei den Wahlen zum europäischen Parlament erhalten hat. Leider ist der aggressive Antisemitismus in Ungarn nicht auf diese Gruppe beschränkt, aber ein Blick darauf und auf die Passivität der EU in diesem Fall genügt, um die Verlogenheit des folgenden Satzes festzustellen: "Dringlicher [als der Antisemitismus K.P.] jedoch ist die Frage der Islamophobie, sowohl hinsichtlich der Zukunft Europas wie hinsichtlich der geopolitischen Gesamtlage."

Bemerkenswert ist die "diskursanalytische Analyse" [Tautologie!] eines Interviews "des Grünen Bundesrat [sic!] Efgani Dönmez" von Farid Hafez, dem er "islamophobe Diskursstrategie" vorwirft. Dönmez hat u.a. "Kameltreiber aus Anatolien" erwähnt. Das wurde zu Recht von Grünen kritisiert. Wenn aber Dönmez einiges am islamischen Religionsunterricht kritisiert, dann befindet er sich auf solidem Grund. Es gab in letzter Zeit einige Skandale, so musste ein Wiener Islamlehrer wegen Antisemitismus entlassen werden und das — was positiv zu bewerten ist — aufgrund von Beschwerden von Eltern. Es gibt keinen plausiblen Grund Dönmez deswegen zu kritisieren. Auch ist nicht zu leugnen, dass Islamisten hier "eine Parallelgesellschaft forcieren". Dönmez hat mit seinem Beitrag auf reale Probleme aufmerksam gemacht, die weniger mit der Religion Islam und viel mit der Stellung bildungsferner Einwanderer aus der Türkei zu tun hat. Von aus dem Iran stammenden muslimischen Einwanderern und ihren Nachkommen hört man in der Regel nichts von Ausgrenzung. Jeder Hinweis auf reale Probleme von bildungsfernen Einwanderern soll tabuisiert werden und Dönmez hat mit einer unpassenden und unbedachten Äusserung dem noch Vorschub geleistet.

Rüdiger Lohlker untersucht einen islamfeindlichen Blog in Österreich, in dem "hauptsächlich islamfeindliche Bücher" beworben werden. Und er beanstandet: "Dann findet sich in einem langen Posting ein Interview mit der israelischen Autorin Bat Yeor wieder, die eine Konstruktion der "dhimmitude" erdacht hat, die dazu dienen soll, die Superioritätsansprüche "des Islams"™ gegen Nichtmuslime bezeichnen und inzwischen pejorativ in islamfeindlichen Kreisen verwendet wird." Eine seltsame Bemerkung des Islamwissenschaftlers Lohlker, der damit einfach versucht die Praxis in muslimischen Ländern Nichtmuslime zu diskriminieren in Vergangenheit und Gegenwart als "Konstruktion" hinzustellen..

Die Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer sieht in ihrer Einführung in die Islamwissenschaft keine Konstruktion der dhimmitude, sondern schildert präzise was der Begriff bedeutet: "Nach Koran 9,29 sollen die Ungläubigen (unter den Schriftbesitzern) solange bekämpft werden, bis sie "klein" sind und eine nicht näher spezifizierte Abgabe entrichten." Im Verlauf der islamischen Eroberungen wurde den Nichtmuslimen zumeist ein Angebot gemacht, das dann vertraglich festgehalten wurde: Schutz (dhimma; daher der Begriff "Schutzbefohlener", Sgl. ²immñ, im Dt. häufig Dhimmi, "für den dauerhaft im islamischen Herrschaftsbereich lebenden Nichtmuslim) von Leib, Leben, Besitz und (eingeschränkter) Kultausübung gegen variable Abgaben.["] Deutlich blieb das Bestreben nach Abgrenzung zwischen Muslimen und Nichtmuslimen, ausgedrückt vor allem in Kleider- und Haartracht." [2]

Und wie steht es mit dhimmitude 2009? Nun die Islamisten — und die gibt es, auch wenn irgendwelche Islamwissenschaftler sie wegretuschieren wollen — halten daran fest. Die FAZ berichtet über Kirgistan am 23. Juli 2009 "Die guten Argumente der Islamisten" über Sandschjar, einen lokalen Anführer der in allen zentralasiatischen Staaten verbotenen "Islamischen Partei der Befreiung" — Hizb ut-Tahrir al Islamijja, der erklärt, wenn der Diktator Karimow stürze, dann werde nicht nur im Fergana-Tal, sondern bald auch in ganz Zentralasien der Gottesstaat verwirklicht und schliesslich die islamische Weltrevolution kommen: "Aber wir sind keine Unmenschen, den Christen werden wir vorschlagen, zum Islam überzutreten, und wenn sie ablehnen, dürfen sie weiter in streng umrissenen Grenzen ihren Glauben ausüben, müssen aber für dieses Recht eine Sondersteuer an uns leisten." Doch "zu viel Toleranz" sei nicht angebracht, sagt Sandschjar: "Die Juden werden wir vernichten." Irgendwo hat die zuvor beteuerte Gewaltlosigkeit offenbar Grenzen.[3] Lohlkers Beitrag ist Teil einer in diesem Buch konsequent verharmlosten beziehungsweise geleugneten Realität.

Eigenartig und nicht akademischen Gepflogenheiten entsprechend wenn ein Wiener Universitätsprofessor wie Rüdiger Lohlker einen bereits in der "Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes" publizierten Verriss des 2008 von Thomas Schmidinger und Dunja Larise herausgegebenes Buches über den politischen Islam in Österreich noch einmal in diesem Buch publiziert ohne auf die in der selben Nummer der "Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes" erschienene Replik von Schmidinger und Larise einzugehen. [4]

Man erwartet von einem Sammelband auch unterschiedliches Herangehen an Probleme. In diesem Sammelband wurde das sicher nicht zufällig versäumt. Man erkennt die Absicht und ist enttäuscht.

John Bunzl/Farid Hafez (Hrsg.) Islamophobie in Österreich, StudienVerlag, 2009, 224 Seiten

Anmerkungen:
(1) John Bunzl / Alexandra Senfft (Hg.): Zwischen Antisemitismus und Islamophobie. Vorurteile und Projektionen in Europa und Nahost, VSA, Hamburg, 2008
(2) Krämer: Einführung in die Islamwissenschaft / WS 2003/4 Kurzprotokoll: Nichtmuslime unter islamischer Herrschaft
(3) Die guten Argumente der kirgisischen Islamisten FAZ 23.7.09
(4) Zwischen "Aufklärungsfundamentalismus" und affirmativ verstandene Moderne. Eine Replik auf Prof. Lohlkers Buchbesprechung;  Rüdiger Lohlkers Rezension auf Islaminitiative