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Bücher: An einem kalten Januartag

Liebe Buchhändlerinnen, liebe Buchhändler, Anfang des Jahres hat mich dtv gebeten, Ihnen einen Brief zu schreiben. Etliche Entwürfe musste ich, nachdem ich sie zu Ende formuliert hatte, verwerfen. Einer, den ich noch für den besten hielt, hatte den Krieg in Gaza zum Thema. Ich wollte Ihnen erzählen, dass mich dieser grausame Krieg wieder daran erinnert, wie überaus notwendig es ist, sich in vielen kleinen Gesten um den Frieden zwischen Israelis und Palästinensern zu bemühen…

Von Rafik Schami (Brief an die Buchhändler)

Ich wollte Ihnen erzählen, wie sehr ich mich gegen die aufdringliche Frage wehre, die angesichts dieser ungeheuren Zerstörung immer wieder gestellt wird: ob denn all die Bemühungen für ein friedliches Zusammenleben umsonst gewesen sind. Dieser Brief enthielt einen Aufruf an Sie, nicht so feige zu sein wie manche Politiker oder Journalisten, die sich vorlaut auf die eine oder andere Seite schlagen und einen angeblichen Sieg mitfeiern. Ich wollte Sie bitten, mutig und geduldig für das Recht beider Völker auf Frieden einzutreten, für das Recht der palästinensischen und israelischen Kinder auf unbeschwertes Spielen und fröhliches Lachen.

Aber dann habe ich auch diesen Brief verworfen, denn er war letztendlich zu einer einzigen Anklage gegen die Medienvertreter und Politiker geworden. Eine solche Schelte passte nicht, wenn es darum gehen sollte, Buchhändlerinnen und Buchhändler zum Jahresbeginn zu ermuntern und sie auf die wunderbaren Möglichkeiten hinzuweisen, die ihr Beruf bietet, um einen kleinen Beitrag zum Frieden, auch im Nahen Osten, zu leisten. Anders als im Radio oder Fernsehen nämlich überwiegt im Buch die sachliche Aufklärung, und Frieden ist nur möglich durch die Aufklärung der Hintergründe eines Konflikts.

Nein, ich musste also etwas anderes schreiben. Auf der Suche nach der geeigneten Botschaft, die ich in eine passende Form giessen wollte, um am Ende einen lesbaren Brief entstehen zu lassen, begleitete mich der Misserfolg den ganzen Januar hindurch treu wie mein Schatten. Um mir Luft zu verschaffen, erwog ich zwischenzeitlich, den Verlag anzurufen und einen Osterbrief vorzuschlagen. Als Urchrist würde ich den Buchhandel auf die wenig christliche Haltung des Papstes Benedikt XVI. aufmerksam machen, der Feinde der Menschlichkeit und Antisemiten begnadigt und alle unsere evangelischen, jüdischen und muslimischen Brüder und Schwestern beleidigt und ihnen den Krieg erklärt. Sein Arbeitgeber aber hat uns als Erster in der Geschichte der Menschheit beigebracht, unsere Feinde zu lieben.

Mir kamen allerdings Zweifel, ob eine kritische Rede über den Papst im Buchhandel überhaupt etwas verloren hatte. Wie wäre es, das Vorhaben auf den nächsten Januar zu verschieben, aber dann gestand ich mir beschämt ein, dass Verschieben keine gute Lösung war. Ich grübelte weiter. Ergebnislos. Die Erlösung kam an einem Tag, an dem ich nichts erwartet hatte.

Am frühen Morgen war ich in Köln mit einem klugen Taxifahrer zum Bahnhof gefahren. Taxifahrer sehen viel und müssen sich im Telegramm- oder, heutzutage naheliegender, im SMS-Stil unterhalten, denn achtzig bis neunzig Prozent ihrer Fahrten enden nach weniger als zehn Minuten.

Er war Chemiestudent, den die Uni angewidert hatte. Er brach sein Studium ab und wurde Taxifahrer, der nun Tag für Tag zwölf Stunden am Steuer sass. Wie nebenbei erkundigte er sich nach meinem Beruf. Schriftsteller, sagte ich. Wer sich in dieser Zeit noch den Luxus leisten könne, Bücher zu kaufen. Die Merkel verschenke kein Geld für Bücher. Sie unterstütze die Autoindustrie und die Banken, in denen Manager Millionengehälter abkassieren, um die Karre dann an die Wand zu fahren, sagte er und lachte laut.

"Sie irren sich, Monsieur." Er hatte mich wegen meiner Baskenmütze anfänglich für einen Franzosen gehalten, und ich spielte ein wenig damit. "Das Buch ist keine Luxusware, sondern gerade in Zeiten wie diesen eine Notwendigkeit." Schon waren wir am Bahnhof angekommen. Er stoppte das Taxameter und kassierte, hielt mich dann aber am Ärmel fest. "Doch", sagte er. "Ein Buch ist Luxus wie Parfum. Ich kann auch ohne leben."

"Der Vergleich hinkt", erwiderte ich. "Das Buch sieht nach Luxus aus. Aber das ist eine Tarnung. In Wirklichkeit ist es eine Notwendigkeit. Sie können natürlich ohne ein Buch leben, aber mit einem Buch leben Sie besser, klarer. In Zeiten, in denen Piraten wie Zumwinkel, Mehdorn und andere nicht einmal ihr Leben auf hoher See in Gefahr bringen müssen, um Beute zu machen, ist das Buch unabkömmlich, wenn es darum geht, die Hintergründe einer solchen Fehlentwicklung zu erfassen."

"Aber was bringt das Wissen? Diese Mehdorns kommen nicht immer, aber immer öfter davon", sagte er, auf den Werbeslogan anspielend. Er hatte Recht. Ich stieg aus. Ich hätte ihm noch sagen wollen, dass das Wissen zwar nicht unmittelbar verändert, dass es aber uns befähigt, etwas zu verändern. Aber ich merkte schon, dass ich an eine Stelle gekommen war, an der ich nicht sein wollte, denn Bücher sind weit mehr als ein Werkzeug für die Veränderung. Sie trösten, geben Halt in einer unsicheren Zeit, machen Mut und oft auch Spass. Sie informieren, öffnen uns die Augen, helfen uns in den Schlaf und entführen uns in andere Welten.

Im ICE auf der Fahrt nach Frankfurt bedauerte ich, dass mir nicht rechtzeitig eingefallen war, dem Taxifahrer noch zu sagen, dass Bücher auch befähigten, durch Raum und Zeit zu reisen. Ich stellte mir sein verwundertes Gesicht vor. "Ja", hätte ich gesagt, "ich kenne das Frankreich des 19. Jahrhunderts und Kolumbien und die USA der fünfziger Jahre, Brasilien und Indien von heute und das Leben der Frauen in Südafrika, ohne jemals dort gewesen zu sein. Und mit Roberto Saviano bekommen Sie so gefahrlos einen intimen Einblick in die Strukturen der Mafia wie selten zuvor", hätte ich ein wenig triumphierend hinzugefügt. Schade, vielleicht hätte ich einen neuen Bücherliebhaber gewonnen, der, müde von der Arbeit, Freude an der Lektüre hat.

Ich sass am Fenster, draussen raste eine traumhafte Landschaft vorbei, Raureif unter einem blauen Himmel. Doch plötzlich war der Genuss zu Ende. In der Reihe vor mir klingelte ein Handy, der Stress im Taschenformat. Ein Mann begann laut über die Krise zu schwadronieren. Unerträglich dumm! Was für einen Müll müssen wir nur immer mit anhören. Ich packte meine Bücher und wanderte fünfzehn Reihen weiter, fand zum Glück einen ruhigen Platz und dachte über meine Tournee nach, die mich bislang in über fünfzig Städte gebracht hatte. Eigenartig! Im Buchhandel stiess ich nie auf Unmut oder Niedergeschlagenheit. Wo immer ich hinkam, strahlende Gesichter. Sicher, auch dort spürt man die Krise, aber die Arbeit mit Büchern verleiht offenbar eine besondere, krisenimmune Haltung, die ihrerseits auf die Kunden abstrahlt. Und ein Kunde, der sich wohl fühlt, greift zum Buch.

Woher kommt die Zuversicht in Zeiten der Krise? Vielleicht rührt diese bewundernswerte Haltung der Buchhändler daher, dass Deutschland ein Paradies des Buches ist. Das wissen die allerwenigsten Deutschen. Sieht man sich im Ausland um, erkennt man rasch, welche Vorteile wir in diesem Land haben. Die Vertriebswege für das Buch sind derart perfektioniert, dass kaum ein anderer Industriezweig konkurrieren kann, abgesehen vielleicht von der Pharmaindustrie. Binnen 24 Stunden bekommt man auch in den abgelegensten Buchhandlungen fast jedes Buch, das man bestellt.

Seit 28 Jahren reise ich durch das Land. Wie viele Erzählabende habe ich gehalten? Ich habe aufgehört zu zählen. Wie kaum ein anderer Autor konnte ich Buchhändler intensiv aus der Nähe erleben. Ein ungeheuer schwerer Beruf. Tragen, ordnen, rechnen, informieren, geduldig beraten und fast immer unterbesetzt arbeiten. Und zu alledem gilt es, auf jeden Kunden stets freundlich einzugehen. Ich suchte nach einem Vergleich und fand schliesslich einen, der mich selbst überrascht hat: Kaum jemandem ähnelt ein Buchhändler mehr als einem Zirkusartisten, der mit einem Lächeln im Gesicht auf dem Hochseil seine Sprünge vollführt, als ginge er spazieren. Aber vielleicht wird die Zuversicht noch aus einer anderen Quelle gespeist. Vielleicht geht sie, bei aller Arbeit, die in einer Buchhandlung anfällt, auf die Möglichkeit zurück, an der Freude der Menschen teilhaben zu können, die nach einer Lesung oder nach Lektüre eines Buches, das ihnen empfohlen wurde, in die Buchhandlung zurückkommen und sich bedanken.

Diese zauberhafte Freude zu ermöglichen und an ihr teilzuhaben — darin liegt ein kleiner aber stetiger Beitrag zum Frieden.