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Intoleranz als demokratische Notwendigkeit und Tugend

Henryk M. Broder, einer der streitbarsten Publizisten im deutschsprachigen Raum, wenn es um die Verteidigung der demokratischen Werte und Kultur, um das Eintreten für Menschenrechte und die Bekämpfung extremistischer Tendenzen geht, hat mit „Kritik der reinen Toleranz“ ein neues Buch vorgelegt, das, wie man es von Broder kennt, scharfsinnig und auch polemisch-provozierend zum Nachdenken anregt und gefährliche Fehlentwicklungen ungeschminkt beim Namen nennt"

Von Jörg Fischer-Aharon und Holger Raak

Wie ein roter Faden zieht sich die Botschaft Broders durch sein Buch: Toleranz ist nicht ausschliesslich eine Tugend und ein besonderes Merkmal für demokratische Gesinnung. Es kommt darauf an, was man unter Toleranz versteht und wem man diese Toleranz gewährt. Wenn man sich über Ruhestörer vor seiner Haustür aufregt, wenn man Leute kritisiert, die pöbelnd durch das Bahnabteil marodieren, wenn man radikale Glaubensfanatiker ablehnt, die am liebsten sofort  die Scharia einführen wollen, so hört man von selbsternannten „Gutmenschen“ den wohligen Rat: „Seien Sie doch mal tolerant!“ Die Antwort auf diese weltfremde Aufforderung, die sich aus der Lektüre des Buches ergibt, lautet: „Nein! Man muss gegenüber Intoleranten und Rücksichtslosen, gegenüber Radikalen und Verbrechern auch mal völlig und total intolerant sein.“ Toleranz heisst, etwas zu dulden, nicht etwas uneingeschränkt gut zu finden: diese Toleranz haben nicht alle verdient und sie würde an falscher Stelle nur die Missstände fördern. Wem soll eine uneingeschränkte Toleranz gewährt werden? Dem überzeugten Vegetarier genauso wie dem praktizierenden Kannibalen? Dem gläubigen Juden genauso wie dem hasserfüllten Antisemiten? Dem Schwulen genauso wie dem gewalttätigen „Schwulenklatscher“?

Im Klappentext des Buches heisst es: „Toleranz ist eine Haltung, mit der sich viele gerne schmücken – die Reichen gegenüber den Armen, die Starken gegenüber den Schwachen, die Heteros gegenüber den Homos. Wer es sich leisten kann, ist tolerant. Wenn aber „Ehrenmorde“ als ganz normale Verbrechen gelten, wenn Terroristen zu „Widerstandskämpfern“ deklariert werden und ein rechtskräftig verurteilter Kindermörder Prozesskostenhilfe bekommt, um einen Prozess gegen die Bundesrepublik führen zu können, weil ihm bei der Vernehmung Ohrfeigen angedroht wurden – dann wird Toleranz zu einem gesellschaftlichen Selbstmord auf Raten. Unter solchen Bedingungen, so Henryk M. Broders provokative These, wird Intoleranz zur Pflicht und Tugend: Intoleranz gegenüber dem wohlfeilen Gutmenschentum, gegenüber totalitären Utopien – gegenüber Menschen und Kulturen, die ihrerseits nichts von Toleranz halten.“ Broder selber schreibt über sein neues Buch: „Bei der Lektüre dieses Buches könnte bei Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, der Eindruck entstehen, dass ich kein Anhänger der reinen Toleranz, sondern eher sogar bereit bin, der gezielten Intoleranz das Wort zu reden. Ihr Eindruck ist richtig….“

Mit deutlichen Worten geisselt Broder den fast schon pathologischen Drang mancher „Intellektueller“, die mit pseudowissenschaftlichem Wortschwall  nicht nur die Unterdrückung von Frauen „verstehen“, sondern sogar rechtfertigen wollen. Über zwei Wissenschaftlerinnen, die behaupten, dass "die Entblössung des weiblichen Körpers" nicht viel schlimmer sei als "die Verhüllung des weiblichen Körpers in der islamischen Kultur" , bemerkt er süffisant: "Man kann keinen Akademiker dazu zwingen, täglich mindestens eine Tageszeitung zu lesen, man muss ihn nur daran hindern, seine eigenen Wahrnehmungsstörungen als wissenschaftliche Erkenntnis auszugeben".

Das Buch eignet sich fast schon auch als eine Art Nachschlagewerk. Seitenweise führt Broder zahlreiche Beispiele aus verschiedenen Bereichen an, um aufzuzeigen, wohin eine falsche Toleranz gegenüber erklärten Feinden der Freiheit führt und in welchem Zusammenhang diese fatale Entwicklung mit einer ebenso fatalen wie gefährlichen Fehlentwicklung in der Aussenpolitik und im Umgang mit kriegstreiberischen Despoten führt. Sehr richtig verweist er in diesem Zusammenhang darauf, dass eine Gesellschaft, die nicht in der Lage ist, das Entstehen von „national befreiten Zonen“ durch Rassisten und Neonazis und das Entstehen von rechtsfreien Parallelgesellschaften in den Grossstädten durch Islamisten zu verhindern, dann auch entsprechend unfähig ist, wirksam gegen einen Diktator und Kriegstreiber wie Achmadinejdchad vorzugehen, der nicht nur die eigene Bevölkerung unterdrückt und massakriert, sondern auch ganz offen die Vernichtung anderer Staaten als Ziel proklamiert.

Auch hier wird an einigen nachvollziehbaren Beispielen die besondere Doppelmoral und Heuchelei mancher „Terroristenversteher“ deutlich beschrieben. Die gleichen Leute, die wegen jedem Frosch das Auto stoppen, aussteigen und diesen per Hand über die Autobahn tragen, bekommen die Zähne nicht auseinander, wenn im Iran schwule Jugendliche an Baukränen aufgehängt und vergewaltigte Frauen zu Tode gesteinigt werden. Dafür ereifern sich aber nicht wenige voller Zorn, dass sich die Israelis hartnäckig weigern, sich ohne Gegenwehr von fanatischen Gotteskriegern in die Luft sprengen zu lassen und der israelische Staat seiner Verantwortung nachkommt, nicht nur seine Bürger vor Terrorangriffen zu schützen, sondern auch vor den Drohgebärden islamfaschistischer Extremisten nicht in die Knie zu gehen. Bei der völlig Verdrehung der Realität, machen sie ausgerechnet Israel und indirekt Europa für die Situation im Gazastreifen verantwortlich und verschweigen dabei, dass der Gazastreifen, das am meisten subventionierte Gebiet der Welt ist – und das Problem darin besteht, dass sich die regierende Hamas nicht um die Bevölkerung kümmert, sondern darum, mit möglichst vielen Raketenangriffen auf israelische Ortschaften so viele Juden wie nur möglich zu ermorden. Und wenn man eben Terroristen zu „Widerstandskämpfern“ verklärt und aus mörderischen Tätern Opfer macht, „Opfer“ einer „israelischen Aggressionspolitik“, dann kann es nicht verwundern, dass die gleichen Personen auch fundamentalistische Gewalttäter in den eigenen Städten versuchen, romantisierend zu verklären.

Informativ – weil auch das Gedächtnis aufgefrischt wird – ist, wie Broder in diesem Zusammenhang das Einknicken insbesondere Europas vor den iranischen Plänen zur atomaren Bewaffnung anhand zahlreicher, chronologisch geordneter Beispiele dokumentiert. Der Iran tanzt dem Westen auf der Nase herum und arbeitet weiter an seinen Vorbereitungen zu einem atomaren Angriffskrieg. Allerdings, und das ist ein kleiner Schwachpunkt in Broders Buch, geht der Autor zu wenig darauf ein, dass diese Kriegsvorbereitungen sich nicht nur gegen Israel richten. Wenn der Iran heute dabei ist, Interkontinentalraketen zu entwickeln und zu testen, dann richten sich diese nicht nur gegen Israel, sondern auch gegen Europa.

Broder legt mit seinem Buch „Kritik der reinen Toleranz“ ein engagiertes Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung, zur offenen Gesellschaft und zu einem liberalen und demokratischen Europa ab – aber auch zur uneingeschränkten universellen Gültigkeit von Menschen- und Grundrechten. Gerade auch deshalb kann sich Broder sicher sein, keinen Beifall von der „falschen Seite“ zu erhalten. Denn seine Kritik richtet sich eben nicht gegen die offene und multiethnische Gesellschaft, sondern dagegen, die Basis, die politische und gesellschaftliche Kultur durch Extremisten und Fundamentalisten untergraben zu lassen. Deshalb kann es auch nicht wirklich verwundern, wenn Broder mit seinen Thesen bei nicht wenigen Migranten und vor allem bei Ex-Muslimen offene Türen einrennt und heftigen Zuspruch erntet – verwundern kann dies freilich nur realitätsfeindliche Besserwisser in Elfenbeintürmen, die der Phantasie nachjagen, Zivilisation und Scharia, Freiheit und Faschismus seien doch irgendwie kompatibel.

Henryk M. Broder: Kritik der reinen Toleranz
wjs Verlag Berlin 2008, gebundene Ausgabe, 214 Seiten
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